
Beliebtes Konsumgut Kochen in Polen: Statussymbol Thermomix
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30. April 2025, 05:00 Uhr
Der Thermomix erreicht in Polen hohe Verkaufszahlen. Als Symbol für Wohlstand, Gemeinschaft und Wandel polarisiert der Küchenhelfer aber auch wie kaum ein anderes Produkt. Während seine Fans gern ein kleines Vermögen für ihn ausgeben, sehen Kritiker in ihm nur einen teuren Hype. Ein Küchengerät, an dem sich gesellschaftliche Trends – aber auch Krisen – ablesen lassen.
Der Thermomix, die bekannte deutsche Küchenmaschine, erobert seit einigen Jahren auch die Herzen der polnischen Kundschaft. Er verkauft sich sehr gut, obwohl er nicht billig ist. Mit einem Preis von umgerechnet etwa 1.500 Euro reicht er fast an ein durchschnittliches polnisches Monatsgehalt heran, das Anfang 2024 bei knapp 1.900 Euro lag. Einmal angeschafft, tauschen die Nutzerinnen und Nutzer rege ihre Erfahrungen und Rezepte aus, vor allem in den sozialen Medien. Der offizielle polnische Facebook-Account des Produkts hat mehr als 400.000 Follower, traditionelle Werbekampagnen, etwa mit Plakaten, gibt es dagegen nicht.
Polen ist nach Deutschland der zweitgrößte Markt für den Thermomix weltweit, sagt Wojciech Ćmikiewicz. Er ist Chef von Vorwerk Polska, dem Hersteller des Thermomix. In den 30 Jahren seiner Marktpräsenz in Polen hat das Unternehmen nach eigenen Angaben mehr als 1,7 Millionen Geräte verkauft. Das entspräche mehr als 10 Prozent der polnischen Haushalte, wenn man annehmen würde, dass das Küchengerät pro Familie nur einmal angeschafft wurde. Allein im Jahr 2023 gaben die Polinnen und Polen umgerechnet etwa 280 Millionen Euro für Thermomix-Geräte aus. Beachtliche Zahlen angesichts der großen Konkurrenz und des hohen Preises.
Wie sich hohe Verkaufszahlen erklären
Die Polen lieben das Kochen und die Küche ist für sie der zentrale Ort der familiären und sozialen Integration. Das könnte einer der Gründe sein, warum sich der Thermomix in Polen so gut verkauft. Soziologin Katarzyna Krzywicka-Zdunek, die für ein polnisches Marktforschungsinstitut arbeitet, beobachtet den Aufstieg des deutschen Kochgeräts seit Jahren. Begonnen habe der Thermomix-Boom während der Coronavirus-Pandemie, sagte sie dem MDR. Weil Restaurantbesuche wegfielen, suchten die Menschen nach einem Ersatz für ihr soziales Leben. Bald tauchten etwa Kaffeemaschinen der Spitzenklasse in den Haushalten auf, die vorübergehend für viele zum Home-Office geworden waren. Bei der Arbeit zu Hause wuchs auch das Bedürfnis, schnell und unkompliziert Mahlzeiten zuzubereiten. Da der Thermomix mit seiner digitalen Rezeptdatenbank auch Koch-Einsteigern genau das verspricht, fand er den Weg in viele polnische Küchen.
"Günstiges" Statussymbol in Krisenzeiten
Die Marktforschungs-Expertin Krzywicka-Zdunek verweist aber auch auf andere Gründe für die Beliebtheit des Geräts: "Früher war das Statussymbol der Mittelschicht ein Haus oder ein Auto." Die Krisen der letzten Jahre hätten aber bei der Kaufkraft der Polen ihre Spuren hinterlassen. "Anschaffungen wie eine Wohnung sind heute für ältere Menschen, die Angst vor Krediten haben, unerschwinglich. Aber auch für Junge, die sich aufgrund ihres geringen Einkommens einfach keine Wohnung leisten können. Also müssen sie ihren Wunsch, ihren Status und ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auszudrücken, irgendwo unterbringen." Der Thermomix als Premiummarke erfülle diesen Zweck, so die Soziologin.
Krzywicka-Zdunek macht jedoch darauf aufmerksam, dass das Phänomen auch im Zusammenhang mit einem weltweiten Trend zu verstehen sei: dem Mangel an Gemeinschaftsgefühl. Funktionen der Kirchengemeinde oder Familie seien durch Gruppen von Menschen mit gemeinsamen Interessen ersetzt worden. Der Thermomix als gemeinsames Interesse erfordere zwar viel Aufwand und Geld, schaffe aber auch dauerhafte Bindungen und vermittele das Gefühl der Einzigartigkeit, sagt Krzywicka-Zdunek.
Kritik am Rummel um das Küchengerät
Allerdings sind viele Menschen in Polen von dem Hype um den Thermomix schlichtweg genervt. Sie können sich nicht vorstellen, einen Topf für beinahe den Preis eines durchschnittlichen Bruttogehalts zu kaufen. Die Nutzerinnen und Nutzer des Thermomix werden sogar als eine "Sekte von Verehrern" bezeichnet, die ein günstigeres Produkt mit einer ähnlicher Funktionalität nie kaufen würden. Im Internet finden harte verbale Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern und Gegnern des Geräts statt. Vor allem auf X, wo "Thermomix" bei den Polen weit oben in der Rangliste häufig verwendeter Begriffe steht.
So gibt es neben den Fan-Communities auch viel Häme: "Thermomix ist für Leute, die beim Teekochen den Wasserkocher anbrennen lassen" oder ähnele "einer Urne mit einem Tablet", spotten diejenigen, die es fragwürdig finden, so viel Geld für ein Küchengerät auszugeben.
Auch unter den Profiköchen sind die Meinungen über den Thermomix gespalten. Zwar besitzen viele von ihnen einen, aber sie betrachten ihn eher als eine Art Küchenassistent. Einige Köche behaupten sogar, dass er die Kreativität zunichte mache und dazu führe, dass in den Haushalten immer das Gleiche gegessen würde. "Durch die Anweisungen der Thermomix-App wird uns vorgegaukelt, wir wüssten, wie man brillant kocht. Das ist aber kein Kochen, sondern nur das Befolgen von Anweisungen", behauptet Rafał, Chefkoch in einem renommierten Restaurant.
Selbst wenn es kritische Kommentare oder ironische Memes sind – die Marketingabteilung des Thermomix dürfte es freuen, wenn on- und offline über das Gerät gesprochen wird. Ob der Hype anhält oder als Statussymbole wieder Autos, Urlaube und Immobilien übernehmen, wird sich zeigen. 2024 ging der Umsatz, den der Hersteller mit dem Küchengerät erzielt hat, gegenüber dem Vorjahr etwas zurück.
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 26. April 2025 | 07:22 Uhr