Tschechien Tschechisches Erzgebirge: Müssen Touristen dem Naturschutz weichen?
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18. September 2024, 20:30 Uhr
Das tschechische Erzgebirge ist beliebt bei Wanderern und Wintersportlern. Der Klínovec (Keilberg) lockt mit quasi-alpinen Abfahrtspisten und modernen Liftanlagen. Diskussionen, ob ein Schlepplift durch einen Sessellift ersetzt werden darf, gibt es hier kaum, denn der Berg liegt in keinem Naturschutzgebiet und damit gelten hier keinerlei Auflagen. Dies könnte sich aber bald ändern, denn die Regierung in Prag will die tschechische Seite des Erzgebirges unter Schutz stellen.
Auf deutscher Seite ist das Erzgebirge mit seinen Landschafts- und Naturschutzgebieten seit 1990 zum Naturpark Erzgebirge/Vogtland zusammengefasst und steht unter Schutz. Auf tschechischer Seite stehen jedoch nur ausgewählte "Inseln" unter Naturschutz. Das Erzgebirge ist das einzige Gebirge in Tschechien ohne Flächenschutz.
Wertvolle Landschaft und Unesco-Welterbe
Auch der Naturschutzexperte Jaromir Bláha wundert sich, "warum der Vorschlag, ein Landschaftsschutzgebiet auszuweisen, erst jetzt kommt." Vielleicht hängt das mit dem schlechten Ruf des Erzgebirges zusammen, der seit dem Sozialismus der Region anhaftet, als die hiesige Landschaft durch Kohleabbau und Schwerindustrie stark geschädigt wurde, meint Iveta Rabasová Houfová, die Bürgermeisterin von Blatno bei Chomutov und gebürtige Erzgebirgerin: "Als ich klein war, gab es hier viele zerstörte Wälder, kranke Bäume, die auf verschiedene Weise verdreht waren. Das alles hatte mit der mangelnden Entschwefelung der Kraftwerke und massivem Kohleabbau zu tun. Aber dank verschiedener Maßnahmen hat man alles in den Griff bekommen und die Natur hat sich erholt."
Das Erzgebirge, das sich entlang der sächsisch-böhmischen Grenze erstreckt, ist u.a. als eine Bergbauregion bekannt, die seit 2019 zum UNESCO-Welterbe gehört. Auch im Hinblick auf die Natur handelt es sich um ein sehr wertvolles Gebiet, betont Bláha, Experte für Wald- und Naturschutz bei der Umweltorganisation "Bewegung Regenbogen" (tschechisch "Hnutí Duha"): "Es gibt hier ausgedehnte Torfmoore, Feuchtgebiete, erhaltene Ökosysteme von alten Laubwäldern, Feuchtwälder sowie artenreiche Bergwiesen. Darüber hinaus gibt es hier eine Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten – Vögel, Insekten und Pilze, von denen Hunderte relativ selten sind."
Gemeinden erkämpfen sich Zugeständnisse
Vor allem die Ski- und Wintersportzentren waren wegen der Pläne aus Prag in großer Aufregung. Die Bürgermeister von Jáchymov, Loučná pod Klínovcem oder Abertamy hatten Angst vor möglichen Einschränkungen, insbesondere bei Baugenehmigungsverfahren. In Verhandlungen mit dem Umweltministerium erreichten die unzufriedenen Gemeinden ein Zugeständnis: Die bebauten und bebaubaren Gebiete dieser Gemeinden wurden aus dem geplanten Schutzgebiet komplett herausgenommen. Dadurch hat sich die Debatte deutlich entschärft. Zu einem ähnlichen Kompromiss ist man bei den Skizentren gekommen – diese sind nun ausdrücklich nicht Teil des künftigen Naturschutzgebietes.
Deshalb dürfte die Einrichtung des Naturschutzgebietes keine größeren Veränderungen für die Touristen bedeuten. Die meisten Teile des Gebiets werden frei zugänglich bleiben. Nur in ein paar kleinen, strenggeschützten Gebieten wird man sich künftig an die vorgeschriebenen Wege halten müssen – das ist aber bereits heute der Fall, etwa in den Moorgebieten. Auch Skifahren wird weiterhin möglich sein. Selbst über eine Erweiterung der bestehenden Skizentren, zum Beispiel am Klínovec, wird noch gesprochen.
Boží Dar befürchtet Naturschutzauflagen
Eine Gemeinde bleibt jedoch nach wie vor unnachgiebig: die kleine Bergstadt Boží Dar. "Das Landschaftsschutzgebiet wird eine Reihe von Einschränkungen mit sich bringen. Jeder solche Schritt bringt Einschränkungen mit sich", fürchtet Jan Horník, der bereits seit 1990 als Bürgermeister von Boží Dar im Amt ist. Er wirft dem Umweltministerium in Prag vor, dass das Vorhaben den betroffenen Gemeinden ungenügend kommuniziert wurde. Einige Orte im Erzgebirge hat der Umweltminister persönlich besucht, nicht aber Boží Dar, obwohl dessen Verwaltungsgebiet unter den strengsten Schutz fallen sollte, beschwert sich Horník.
Sehr kritisch äuβert sich auch Förster Karel Picura, der seit den 1990er Jahren die Wälder im Besitz der Stadt Boží Dar verwaltet. Seiner Meinung nach ist die Schaffung eines großen Landschaftsschutzgebietes überflüssig. "Wir haben nationale Naturschutzgebiete, die von der Agentur für Natur- und Landschaftsschutz verwaltet werden. Diese genießen die strengste Form des Schutzes. Dann gibt es Natura-2000-Gebiete von europäischer Bedeutung, die eine geringere Form des Schutzes haben und von regionalen Behörden verwaltet werden. Und um den Rest der Natur kümmern sich die Gemeinden selbst. Die staatliche Verwaltung im Bereich des Naturschutzes ist also sehr vielfältig. Wenn jemand einen Fehler macht, wirkt er sich nicht überall aus. Vielfalt in der Verwaltung und Vielfalt in der Entscheidungsfindung ist sehr wichtig", so Picura, der in dem Ministerialvorschlag auch eine genauere Beschreibung vermisst, wie genau der Schutz in verschiedenen Schutzzonen aussehen würde.
Kein Aus für Windenergie und Tourismus
Der Naturschutzexperte Bláha versteht die Kritik aus Boží Dar nicht, denn die Stadt "schützt ihre Natur sehr gut. Die Wälder werden vorbildlich bewirtschaftet, und der Bürgermeister selbst hat sich gegen eine Reihe von unangemessenen Entwicklungsprojekten in der Gegend des Klínovec ausgesprochen. Insofern kann ich seinen Widerstand nicht wirklich verstehen."
Außerdem bedeute ein Naturschutzgebiet "keineswegs das Ende der Entwicklung des Erzgebirges – auch nicht im Sinne von Tourismus, Rohstoffabbau oder dem Aufbau von Windkraftanlagen. Es bedeutet lediglich, dass jedes derartige Projekt ein Verfahren durchläuft, an dem Vertreter einer Institution beteiligt sind, deren Hauptziel der Schutz von Natur und Landschaft ist", betont die Bürgermeisterin von Blatno, Rabasová Houfová.
Ungebremster Ausbau des Skiareals Klínovec?
Dem Umweltschützer Bláha geht der aktuelle Ministerialvorschlag nicht weit genug. Ihn stört dabei nicht so sehr die Herausnahme einiger Gemeinden aus dem Schutzgebiet, auch nicht die Herausnahme des Skizentrums Klínovec, sondern vor allem die geplante "Herausnahme der großen Komplexe wertvoller Bergfichtenwälder auf dem Klínovec und der Wiesen südlich von Boží Dar. Im Falle von Klínovec riecht das nach einem Plan zum weiteren Ausbau der Skipisten auf Kosten wertvoller Wälder", befürchtet Bláha.
Ebenso problematisch ist für ihn die "zu kleine Gesamtfläche der streng geschützten ersten und zweiten Schutzzone". In diesem Sinne wird die Umweltorganisation Hnutí Duha nun ihre Einwände zu dem Ministerialvorschlag vorlegen. Aber auch die Stadt Boží Dar und andere Akteure bereiten ihre Stellungnahmen vor. Die offizielle Einrichtung des Landschaftsschutzgebiets Erzgebirge wird voraussichtlich 2026 erfolgen. Mit einer Fläche von rund 1.200 km2 wäre es dann das größte Naturschutzgebiet Tschechiens.
MDR (dh/baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Neues aus Osteuropa | 31. August 2024 | 07:17 Uhr