Zensur und Blockaden Wie Russland westliche Social-Media-Plattformen kontrolliert
Hauptinhalt
05. Dezember 2024, 05:55 Uhr
Westliche Social-Media-Plattformen wie Instagram und Facebook werden in Russland wegen "Extremismus" blockiert. Bei anderen, wie YouTube, wird die Geschwindigkeit gedrosselt. An ihre Stelle sollen russische Klone wie Rutube, Ruwiki oder VK Video treten, die mehr Kontrolle über die Inhalte gewähren. Viele Russen – selbst Staatsbedienstete oder Promis, die als "Turbopatrioten" bekannt sind – nutzen sie aber mittels VPN weiter. Doch der Staat arbeitet daran, auch dieses Schlupfloch zu schließen.
An unabhängige Informationen zu kommen, wird in Russland immer schwieriger. "Um die Folgen der Zensur zu umgehen, in Verbindung zu bleiben und weiterhin uneingeschränkt bevorzugte Internetservices zu nutzen, empfehlen wir Euch die VPN-Software namens XY!" – Werbespots dieser Art sind in letzter Zeit auf vielen Kanälen unabhängiger russischer Journalisten im Exil zu sehen. Nicht ohne Grund, denn die VPN-Technologie hilft dabei, Blockaden von Webseiten zu umgehen und anonym im Internet zu surfen. Nur so kann man sich innerhalb Russlands bei sonst gesperrten Medien informieren.
Dass Russland YouTube blockieren will, war bereits 2022 im Gespräch. Offiziell hieß es, man reagiere damit auf die Sperrung staatlicher russischer Nachrichtenkanäle wie RT und YouTube-Kanälen von Kreml-Propagandisten. Seit dem 1. August dieses Jahres ist YouTube in Russland gedrosselt, die Ladegeschwindigkeit fiel im September um fast das Zehnfache. Laut dem größten russischen Internetprovider Rostelekom liegt das an technischen Schwierigkeiten bei Google. Es ist jedoch offensichtlich, dass der Service in Russland absichtlich gedrosselt wird. Der Duma-Abgeordnete Alexander Chinschtein etwa gab offen zu, die Drosselung sei eine Folge davon, dass YouTube gegen russische Gesetze verstoße.
Diese Maßnahme passt gut ins Bild, schließlich hat Russland seit Kriegsbeginn in der Ukraine westliche Internetplattformen immer mehr eingeschränkt und gesperrt. Bereits 2022 wurden Facebook und Instagram als "extremistisch" eingestuft, ein Gericht untersagte den Plattformen Aktivitäten auf russischem Staatsgebiet. Seitdem sind sie in Russland blockiert und nur mit Hilfe von VPN zu erreichen. Eine Strafe für die Nutzung von Facebook und Instagram ist jedoch nicht vorgesehen. Die Plattform X (ehemals Twitter) wurde nicht direkt verboten, aber ebenfalls blockiert.
Russland will Internet-Schlupflöcher schließen
Je weniger die Russen direkten Zugang zu diesen Online-Diensten haben, desto mehr nutzen sie VPN-Dienste, um auf blockierte Inhalte zuzugreifen. Die russische Regierung plant jedoch, auch diesen Ausweg zu versperren. So will sie im Rahmen des Projekts "Infrastruktur für Cybersicherheit" rund 59 Milliarden Rubel (etwa 590 Millionen Euro) investieren, um Blockaden effizienter zu machen. VPNs könnten damit für die meisten Nutzer nutzlos werden.
Paradoxerweise haben selbst viele Staatsbeamte Accounts auf den "extremistischen" westlichen Plattformen, die sie privat wie dienstlich nutzen, ohne dafür irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen, und russische Stars schalten dort Werbung. Eine Bloggerin, die auf Instagram 20.000 Follower hat, ist Chefin des kremlnahen Projekts "Choroschije nowosti" – zu Deutsch "Gute Nachrichten" – geworden. Dabei handelt es sich um eine App, die mithilfe eines Präsidentenstipendiums ins Leben gerufen wurde, und Nachrichten über russische Errungenschaften und positive Inhalte aus Russland veröffentlicht.
Auch Popstar Olga Busowa präsentiert patriotische Inhalte für ihre 24 Millionen Follower auf Instagram. In einem Video steht sie mit der russischen Flagge in der Hand auf dem höchsten Turm in Zhengzhou, grüßt ihre Follower zum "Tag der nationalen Einheit" und singt "Made in Russia – niemand kann uns etwas anhaben".
Ruwiki – staatstreuer Wikipedia-Klon
Während Russland westliche soziale Netzwerke verbietet, schafft es parallel dazu eigene Alternativen: Die "Ruwiki", ein russisches Wikipedia-Pendant, wurde im Januar dieses Jahres in Betrieb genommen und basiert auf Artikelkopien aus der russischsprachigen Wikipedia. Wladimir Medejko, einer der Initiatoren, bezeichnet die Plattform als notwendige Alternative, um "unzuverlässige" Wikipedia-Inhalte seit Beginn der "militärischen Sonderoperation" zu ersetzen.
Die neue Plattform mit über zwei Millionen Artikeln ist eine zensurkonforme Online-Enzyklopädie und unterliegt strikten Vorgaben der Regierung. Unabhängige Journalisten von "Nowaja Gaseta Europa" und "The Insider" haben berichtet, dass in den aus der Original-Wikipedia kopierten Ruwiki-Artikeln nachträglich regelmäßig Links zu Medien "ausländischer Agenten" entfernt werden. Auch andere kritische Inhalte, etwa im Artikel "Menschenrechte in Russland", seien in der Ruwiki rigoros gekürzt worden. In der Biografie von Alexej Nawalny wurde seine Todesursache als "kombinierte Krankheit" angegeben, und aus dem Artikel zur Dystopie "1984" von Orwell wurde ein ganzer Absatz über das "Wahrheitsministerium" entfernt.
Unterdessen erwägt die Duma, die originale Wikipedia in Russland auf Grundlage des VPN-Verbotsgesetzes zu blockieren. Die dafür notwendige technische Lösung sei bereits in Entwicklung, hieß es aus Duma-Kreisen. Die "wertvollen Informationen" aus Wikipedia seien schon auf russische Plattformen wie Ruwiki übertragen worden.
VK – Social Media unter Kreml-Kontrolle
Eine ernstzunehmende Konkurrenz zu westlichen sozialen Netzwerken existierte in Russland bereits vor dem Ukraine-Krieg. Das "russische Facebook" und größte russische soziale Netzwerk VK, einst von Telegram-Gründer Pawel Durow entwickelt, zählt laut Betreiber über 100 Millionen aktive User, davon 90 Prozent in Russland. Auf den heutigen VK-Chef Wladimir Kirijenko, einen ehemaligen Rostelekom-Manager und Sohn eines Funktionärs der Präsidialverwaltung, kann man sich im Kreml verlassen.
Wissenschaftler von Citizen Lab, einem interdisziplinären Forschungszentrum an der Universität Toronto, fanden nämlich heraus, das VK Inhalte zu Themen wie Ukraine und LGBTQ+ blockiert. Aus einem Bericht von Citizen Lab geht hervor, dass VK allein in den ersten acht Monaten nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine 30 Mal mehr Inhalte blockiert hat als zuvor. Regelmäßig wurden in Russland Konten blockiert, die Kritik an Wladimir Putin oder der russischen Invasion in der Ukraine übten.
VK Video will YouTube-Stars abwerben
Mittlerweile gibt es auch für Googles Videoplattform YouTube einen möglichen russischen Ersatz: VK Video. Um gähnender Leere vorzubeugen, lädt die Plattform Inhalte von YouTube hoch. Außerdem versucht sie, erfolgreiche russische YouTuber zum Wechsel auf VK Video zu bewegen. Dank der YouTube-Drosselung wuchs die VK-Video-Nutzerschaft im August im Vergleich zum Juli um mehr als das Doppelte. Ziel sei es laut dem unabhängigen russischen Online-Medium "Wjerstka", YouTube-Inhalte zu übernehmen, um eine "kontrollierte, aber komfortable Umgebung" zu schaffen.
Allerdings wagt der Kreml bislang nicht, westliche Videohosting-Dienste und soziale Netzwerke ganz zu sperren. Dafür sind sie zu beliebt. Wenn sie nicht mehr zugänglich wären, könnte das zu großem Unmut unter den Russen führen. So beschwerte sich sogar der Generaldirektor des Filmstudios "Mosfilm", Karen Schachnasarow, bei einem Treffen mit Putin über die Verlangsamung von YouTube. Daraufhin sagte der Präsident zu, sich "der Sache anzunehmen".
Die "digitale Souveränität" Russlands schreitet dennoch unaufhaltsam voran: Jüngst wurde die Plattform für Online-Communitys wie Discord "aufgrund von Gesetzesverstößen" blockiert. Allerdings bleibt der Aufbau eigener Infrastruktur offenbar eine ziemliche Herausforderung. So musste VK nach Berichten der "Nowaja Gaseta" im Oktober massiv Stellen streichen. VK dementiert das zwar. Aber viele vermuten, die Strategie von VK, Blogger von YouTube und TikTok abzuwerben, hat sich als kostspieliges Unterfangen erwiesen, das sich nicht auszahlt.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 07. Dezember 2024 | 07:17 Uhr