
Nach Wahlannullierung Rumänien wählt noch einmal einen neuen Präsidenten
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02. Mai 2025, 17:47 Uhr
Das rumänische Verfassungsgericht hatte im Dezember 2024 die Präsidentschaftswahl nach dem ersten Wahlgang wegen Wahlunregelmäßigkeiten annulliert. Nun wird der Urnengang am 4. Mai wiederholt. Ein rechtspopulistischer Kandidat könnte davon profitieren, dass die Wahl noch einmal ausgetragen wird.
TikTok-Kampagne beeinflusst rumänische Präsidentschaftswahl
Handwerker Emil Trifon aus dem siebenbürgischen Copsa Mica ist sauer, dass die Präsidentschaftswahl noch einmal ausgetragen wird. Im vorigen Jahr hatte der 40-Jährige für den extrem rechten Kandidaten Calin Georgescu gestimmt – einen politischen Außenseiter, der mit 23 Prozent der Stimmen völlig überraschend den ersten Wahlgang gewonnen hatte. Er habe den etablierten Parteien "eine Lektion erteilen wollen", sagt Trifon. Der Wahlgang wurde im Dezember jedoch vom Verfassungsgericht wegen Unregelmäßigkeiten annulliert. TikTok teilte im Nachgang mit, dass der parteilose Wahlsieger Georgescu mit Hilfe tausender Fake-Accounts quasi aus der Bedeutungslosigkeit ins Rampenlicht befördert wurde. Auch deshalb wird die Präsidentschaftswahl jetzt neu aufgerollt.
Wer die Drahtzieher der orchestrierten Cyberkampagne für Calin Georgescu, ist bislang unklar. Gegen den Wahlsieger vom November laufen mehrere Ermittlungsverfahren.Die rumänischen Geheimdienste sprachen im Dezember davon, dass "ein staatlicher Akteur" auf die Wahl habe Einfluss nehmen wollen. Manche erkannten sogar die Handschrift Moskaus. Handwerker Trifon hält dieses Szenario jedoch bis heute für "wenig glaubhaft".
Viele Rumänen misstrauen der Wahlannullierung
Doch nicht nur Trifon misstraut der Annullierung der Wahl, gut 46 Prozent der Befragten halten sie in repräsentativen Umfragen von Meinungsforschungsinstituten für nicht gerechtfertigt. Viele Rumänen vermuten, dass das Ergebnis den beiden politischen Schwergewichten im Land – der sozialdemokratischen PSD und der nationalliberalen PNL – nicht gepasst und die Wahl deshalb abgesagt worden sei. Erstmals war kein Kandidat der beiden Regierungsparteien in die Stichwahl gekommen, sondern zwei Kandidaten, die für den Protest gegen das politische Establishment standen.
Seit Jahren ist das Vertrauen der Rumänen in die Arbeit von Regierung, Parlament aber auch Präsidentschaft stark rückläufig. Viele Wähler kritisieren den intransparenten Regierungsstil, die Selbstbereicherung ihrer politischen Elite, den Parteifilz in den Behörden, aber auch die politische Beeinflussung der Justiz. Seit 2021 regieren die beiden Erzrivalen – die sozialdemokratische PSD und die nationalliberale PNL – in einer großen Koalition, sehr zum Unmut ihrer Anhänger. Zur Begründung hieß es inmitten der Corona-Pandemie, dass man eine stabile Regierung wolle. "Aber viele haben bis heute das Gefühl, dass die beiden Parteien ein Machtkartell halten, das nicht mehr zerschlagen werden kann, auch nicht mit Wahlen", sagt der Politikwissenschaftler Cristian Preda.
Umso wichtiger ist den Rumänen gerade, wer ihr direkt gewählter Präsident ist. Sie sehen in ihm den aktiven Gegenspieler zur Regierung, wenngleich seine Machtbefugnisse ganz andere sind: Er ist nicht in der Innenpolitik tonangebend, sondern in der Sicherheits- und Außenpolitik. Umso überraschender war, dass fast ein Viertel der Wähler für Calin Georgescu stimmte – in seinem Wahlkampf stilisierte er sich als EU- und Nato-kritisch, stellte unverhohlen Gebietsansprüche an die benachbarte Ukraine, ähnlich dem russischen Kreml. Einen solch provozierenden Kurs gab es noch nie. Bislang gilt Rumänien der EU als verlässlicher Partner. Dem Nato-Mitgliedsland kommt eine Schlüsselrolle für Militärtransporte in die kriegsgebeutelte Ukraine zu, mit dem es eine lange Grenze hat.
Wahlwiederholung: Gute Chancen für Rechtspopulisten Simion
Von der Wahlwiederholung ist Georgescu jetzt ausgeschlossen, das heißt aber nicht, dass er keine Rolle mehr spielt. Im Gegenteil. Seinem früheren Parteifreund, dem Rechtspopulisten George Simion, werden in Umfragen gute Chancen eingeräumt, am Sonntag in die Stichwahl zu ziehen. Bei der Wahl im November kam der 38-jährige Chef der rechtsradikalen AUR-Partei nur auf Platz vier. Nun hofft Simion, dass die Anhänger von Georgescu ihn als Art Ersatz nehmen. So verspricht er – wie schon Georgescu – "den Brüsseler Bürokraten endlich mal Paroli zu bieten". Die Wahl am Sonntag hält Politikwissenschaftler Cristian Preda daher für richtungsweisend, ob man pro-europäisch bleibe oder, "ob wir einen EU-kritischen Kurs übernehmen wie Viktor Orbán in Ungarn".
In EU-weiten Umfragen gehört Rumänien bis heute zu den Ländern mit den größten EU-Enthusiasten. Im Zuge des Beitritts 2007 kam es zu einem wahren Wirtschaftsboom, von dem vor allem die Großstädte überproportional stark profitieren. Zahlreiche multinationale Firmen entstanden, die, verglichen zum Landesdurchschnitt, hohe Gehälter zahlen. Doch ist der neue Wohlstand längst nicht bei allen angekommen. Die ländlichen Regionen und viele Kleinstädte fühlen sich abgehängt und von der Bukarester Regierung im Stich gelassen.
EU-Skepsis in der rumänischen Provinz
In der siebenbürgischen Stadt Copsa Mica haben die beiden größten Firmen – eine Rußfabrik und eine Buntmetallhütte – längst dicht gemacht. Hunderte Jobs gingen verloren, die Industriestadt wurde zum Provinzkaff. Weder Staat noch Privatinvestoren waren bereit, die maroden Unternehmen zu sanieren. Viele suchen die Schuld für den wirtschaftlichen Niedergang in der Provinz nicht nur bei der eigenen Regierung, sondern auch in Brüssel, "das ständig etwas verlange".
Euroskepsis macht sich breit - auch in Copsa Mica. Für Bürgermeister Nicolae-Bogdan Tapalaga von der nationalliberalen PNL ist der Stimmungswandel "unverständlich". Der 35-Jährige sagt: "Ich bin viel im Land unterwegs, so viele EU-Projekte wie jetzt gab es noch nie." Auch in seiner Kleinstadt hat sich dank EU-Fördermitteln vieles verändert: Straßen wurden geteert, Wohnblöcke bekamen eine Wärmedämmung oder einen neuen Farbanstrich.
Bürgermeister Tapalaga hofft, dass seine Partei bei dieser Wahl besser aufgestellt ist als noch im November. Die Regierungsparteien PNL, PSD und der Ungarnverband gehen mit Crin Antonescu als gemeinsamen Kandidaten ins Rennen, um bessere Chancen zu haben. Auf einem vorderen Platz in den Umfragen liegt auch der Oberbürgermeister von Bukarest, Nicusor Dan, der als parteiloser Einzelkandidat antritt. Der studierte Mathematiker punktet vor allem bei einem bürgerlichen Publikum in den Großstädten.
Nationaler Alleingang als Mittel gegen Armut?
Doch wer kann bei der Wahl am 4. Mai die Anhänger von Calin Georgescu gewinnen, der nicht noch einmal antreten darf? Wer holt jene Wähler ab, die sich von der postkommunistischen Erfolgsgeschichte Rumäniens ausgeschlossen fühlen? "Georgescu hat seine Anhänger wie in eine Trance versetzt. Sie glaubten, dass ein nationaler Alleingang die Lösung ihrer Probleme sein könnte", sagt die Politikwissenschaftlerin Roxana Stoenescu. Auch der Rechtspopulist George Simion setzt im Wahlkampf auf nationale Autarkie, verspricht gegen die soziale Ungleichheit im Land vorzugehen.
Rumänien hat in der EU eine der höchsten Armutsquoten. Das mittlere Haushaltseinkommen liegt mit gut 7.100 Euro pro Jahr bei weniger als einem Drittel des EU-Durchschnitts. Diese Summe reicht nach Berechnungen von Sozialexperten nicht aus, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Inflation ist mit über fünf Prozent anhaltend hoch, die Lebenshaltungskosten haben sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt: Die Preise für Lebensmittel sind gestiegen, aber auch für Strom, Gas und Medikamente.
Handwerker Emil Trifon will bei der Wiederholungswahl den etablierten Parteien "eine Lektion erteilen" – wie schon im November. Gelingt ihm das nicht, wird sein Ärger auf die Regierung und die Behörden nur noch größer.
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 03. Mai 2025 | 07:22 Uhr