Übung an der Militäruniversität der Landstreitkräfte in Wrocław
Polen will seine Armee von knapp 200.000 auf 300.000 Mann aufstocken. Ein Ferienprogramm soll Schulabsolventen und Studenten für den Dienst begeistern. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

Verteidigung Bezahlter Abenteuerurlaub: Wie Polen Soldatennachwuchs lockt

16. Juli 2024, 14:57 Uhr

Junge Polinnen und Polen können im Sommer eine vierwöchige Grundausbildung beim Militär absolvieren. Mit Ferien hat das aber nichts zu tun: Schießen, Nahkampf und Überlebenstechniken stehen auf dem Programm. Die Armee lockt mit guter Bezahlung, die das Trainingslager als eine lukrative Alternative zum klassischen Ferienjob erscheinen lässt. Denn Polen braucht militärischen Nachwuchs – angesichts des Ukraine-Krieges will das Land seine Armee kräftig aufstocken.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Cezary Mariusz Bazydlo
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Es sieht nach einem echten Krieg aus: Junge Männer und Frauen rennen mit Sturmgewehren durch die Gegend, werfen sich zu Boden, robben und schießen los. Die Gesichter sind mit einem Tarnanstrich in Schmutzig-Grün versehen, die Helme mit Zweigen und Blättern. Sie üben für den Ernstfall, einen befürchteten russischen Angriff auf Polen. "Ferien bei der Armee" heißt das vierwöchige Trainingsprogramm, für das sich junge Erwachsene zwischen 18 und 35 freiwillig melden können. Es richtet sich ganz besonders an frisch gebackene Schulabgänger und Studenten, die in den Ferien viel Zeit haben – doch "es ist kein Sommerlager, sondern eine richtige militärische Ausbildung", betont Leutnant Natalia Fiedoruk, Pressesprecherin des 18. Logistik-Regiments, das in Łomża, etwa 120 Kilometer nordöstlich von Warschau, stationiert ist.

Die Rekruten werden in Militärtaktik, Nahkampf und Schießen ausgebildet. Sie lernen, wie man im Wald weitab der Zivilisation überlebt und machen erste Erfahrungen mit Militärfahrzeugen. Das Ziel: Nachwuchs fürs Militär gewinnen, denn angesichts des Ukraine-Kriegs will Polen seine Armee von derzeit knapp 200.000 Mann auf 300.000 aufstocken. Als eines der wenigen NATO-Länder gibt Polen rund vier Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus, doppelt so viel wie die geforderten zwei Prozent, die Deutschland erst in diesem Jahr erreichen will.

Junge Menschen stehen auf einem Gang. Ihnen gegenüber stehen Soldaten.
Rekruten des Programms "Ferien bei der Armee" bei der Aufnahme in der Kaserne Bildrechte: Polnisches Verteidigungsministerium

Die Aufrüstung genießt großen Rückhalt in der Bevölkerung. Eine "Friedensbewegung", die Militärausgaben lautstark kritisiert, gibt es hierzulande nicht – eine Folge der historischen Erfahrungen, die Polen mit Russland gemacht hat. "Seit dem groß angelegten Angriff gegen die Ukraine beobachten wir eine große Kampfbereitschaft. Wir wissen, wo der Feind ist. Eine solche Gefahr hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Uns ist das bewusst und jungen Menschen genauso", sagt Major Michał Tomczyk vom Operativen Zentrum des polnischen Verteidigungsministeriums.

Wie wichtig das Ferienprogramm zur Nachwuchsgewinnung dem Ministerium ist, lässt sich auch an dem Aufwand ablesen, der dafür getrieben wird. Durch eine Bezahlung von umgerechnet rund 1.400 Euro ist die 28-tägige Militärausbildung für junge Menschen eine attraktive Alternative zu einem Ferienjob. Den Bewerbern wird zudem ein roter Teppich ausgerollt – sie können sich ihren Schulungsort und den Termin aussuchen: 70 Standorte stehen zur Auswahl, an denen in drei Durchgängen über den Sommer verteilt die vierwöchigen Kurse angeboten werden. Selbst die Waffengattung dürfen sich die künftigen Vaterlandsverteidiger selbst aussuchen: Infanterie, Marine, Panzer- oder Raketeneinheiten. Für Interessenten gibt es nicht nur eine kostenlose Hotline – im Internet sind auch die Adressen der Kasernen aufgelistet, die die Kurse durchführen, und die Telefonnummern eigens dafür benannter Kontaktoffiziere.

Gruppe Soldat:innen marschiert mit großen Rucksäcken
Rekruten des Programms "Ferien bei der Armee" bei der der 18. Mechanisierten Division in Siedlce Bildrechte: Polnisches Verteidigungsministerium

Statt zu Hause zu zocken, könnten die jungen Leute etwas fürs Vaterland tun und obendrein ein Abenteuer erleben, suggeriert das Verteidigungsministerium in einem Werbevideo. Nach offiziellen Angaben ist das Interesse groß. 10.000 Plätze seien vorbereitet gewesen, 11.000 Freiwillige haben man am Ende aufgenommen, hieß es dazu. Einer von ihnen ist der 18-jährige Dominik Rojek. Er wollte eigentlich Informatik studieren. Aufgrund der aktuellen Sicherheitslage habe er seinen Berufswunsch aber überdacht und sich fürs Militär entschieden. Er wolle das Vaterland verteidigen. "Ich mag Angst haben, aber ich muss die überwinden. Es ist unsere Aufgabe, das auszuhalten. Nicht jeder kann das, aber irgendjemand muss das tun, und wir tun das", sagt er.

Meist sind es Jungs mit frisch rasierten Köpfen, die die Ausbildung absolvieren, aber auch Frauen sind dabei – und im Unterschied zu den Männern dürfen sie ihre Haartracht behalten. Die 34 Jahre alte Magdalena Kłos ist eine der Frauen. "Ich bin stolz, diese Uniform zu tragen. Denn ich bin nicht nur Mutter und Ehefrau, sondern auch Soldatin", sagt sie. Sie habe schon lange davon geträumt, in die Armee einzutreten, wollte aber warten, bis ihre Kinder alt genug sind, um ohne sie auszukommen. Jetzt, wo sie neun und elf Jahre alt sind, hält sie den Zeitpunkt für richtig.

Die Gewöhnung an die militärische Disziplin fällt allerdings nicht allen leicht, so Unterleutnant Patryk Szkolniak von der 18. Mechanisierten Division in Siedlce in einer ersten Zwischenbilanz für das Fachportal "Polska Zbrojna" (zu Deutsch "Wehrhaftes Polen"). In der ersten Woche erlebten die jungen Menschen einen kleinen Schock, denn vom ersten Tag an gälten strenge Disziplin sowie Dienstvorschriften, die sie aus dem Zivilleben nicht kennen würden. Auch das tägliche Wecken um 6 Uhr früh mache den Rekruten zu schaffen. Außerdem stelle die körperliche Fitness für manche ein Problem dar. Von den 68 Rekruten, die den ersten Kurs in Siedlce begonnen haben, brachen zehn die Ausbildung laut Szkolniak ab.

Wer sie ganz durchlaufen hat, legt am Ende einen Eid ab und kann entscheiden, ob er bzw. sie sich in die Reserve versetzen lässt, einen elfmonatigen freiwilligen Grundwehrdienst absolviert, nach dem man sich als Berufssoldat(in) verpflichten lassen kann, oder sich an einer Offiziersschule bewirbt.

MDR/Reuters/Polska Zbrojna

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | Unsere Nachbarn | Sachsenspiegel | 14. Juli 2024 | 19:00 Uhr

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