Das Ende einer Diktatur Rumänien: "Ich habe die Ceausescus erschossen"
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25. Dezember 2021, 05:00 Uhr
1989 gehörte Dorin Carlan zum Hinrichtungskommando, das das rumänische Diktatorenpaar Nicolae und Elena Ceausescu töten musste. Viele Rumänen halten die Hinrichtung inzwischen für ein grausames Verbrechen.
Dorin Carlan spricht am Autosteuer sitzend unablässig von den Ceausescus, derweil sieht sich sein Sohn auf der Rückbank ein englischsprachiges Video eines Influencers an. Die beiden, Vater und Sohn, trennen Welten. Der 59-jährige Frührentner versteht nur wenig Englisch, sein zehnjähriger Sohn dagegen nur wenig von dem, was seinen Vater emotional so stark bewegt: die Exekution des Tyrannenpaares. Die 1989er-Revolution in Rumänien war die einzige Revolution in Osteuropa, die blutig verlief. Über 1.100 Menschen wurden beim Aufstand getötet, über 3.000 verletzt. Nachdem das Dikatoren-Ehepaar Ceausescu am 25. Dezember 1989 in einem Scheinprozess zum Tode verurteilt wurde, hatten drei Soldaten das Urteil zu vollstrecken. Carlan war einer von ihnen. Bei jedem Weihnachtsfest, sagt er, steigen die quälenden Erinnerungen an die Hinrichtung wieder hoch.
Feldwebel Carlan gehörte in den Dezembertagen 1989 zu einem Fallschirmjägerregiment in Boteni - einer Eliteeinheit der rumänischen Armee nahe Bukarest: "Ein Kamikazetrupp, der bereit war, sein Leben für Land und Staatspräsidenten zu opfern." Carlan hatte seinen militärischen Eid auf den Conducator (rumänisch für "Führer") geschworen, gehörte dank guter Partei-Kontakte zur kommunistischen Oberschicht. Damit wurde er in Sonderkantinen versorgt, musste nicht wie der Rest der Bevölkerung in den Großstädten nach Lebensmitteln Schlange stehen. "Mir ging es finanziell sehr viel besser als heute", sagt Carlan. Im Dezember 1989 wollte er zur Leibgarde der Parteiführung wechseln, er wäre Ceausescu gerne noch ein Stück näher gekommen. Doch es kam anderes: Der damals 27-Jährige sollte seinen obersten Dienstherren erschießen.
1989er-Revolution war nicht mehr zu stoppen
1989 war in Osteuropa ein gesellschaftlicher Umbruch in Gang gekommen, der Mitte Dezember Rumänien erreichte - als letztes Land des Warschauer Paktes. Im Land herrschten widrige Lebensbedingungen: Strom, Wärme, Grundnahrungsmittel gab es in den 1980er-Jahren in den Großstädten nur noch auf Zuteilung. Das sorgte für gewaltigen Frust und Hass auf den Diktator Nicolae Ceausescu. Ab dem 15. Dezember 1989 kam es zu Protesten in der westrumänischen Stadt Timisoara, die das Staatsoberhaupt noch von der Armee und dem Geheimdienst niederschlagen ließ. Doch die Revolution war nicht mehr zu stoppen, Tage später erfasste sie das Machtzentrum in Bukarest. Teile von Carlans Regiment wurden zu den Straßenkämpfen gerufen, der Feldwebel selbst erlebte die 1989er-Revolution per Fernsehübertragung in seiner Einheit. Als der staatliche Rundfunk am 22. Dezember die Flucht der Ceausescus vermeldete, brach in Carlans Kaserne frenetischer Jubel aus.
Weltweit erste TV-Direktübertragung einer Revolution
Doch dem Freudentaumel folgten weitere Straßenkämpfe. Die neue politische Führung warnte im Fernsehen wiederholt vor "Terroristen" und geschulten Ceausescu-Getreuen, die den Diktator angeblich um jeden Preis verteidigen wollten. Es war eine beispiellose Fake-News-Kampagne in der weltweit ersten TV-Live-Übertragung einer Revolution. Es wurde rund um die Uhr gesendet, mit Übertragungswagen von zentralen Plätzen, auf denen geschossen wurde. Auch hatte die Übergangsregierung in einem Fernsehstudio ihre Kommandozentrale eingerichtet, in der sie sich bei ihren Entscheidungen live filmen ließ.
Jetzt, drei Jahrzehnte später, beschuldigt die Generalstaatsanwaltschaft den ersten Nachwende-Präsidenten und Revolutionsführer Ion Iliescu der gezielten Irreführung in den Revolutionstagen - auch mithilfe der Medien. Dem 91-Jährigen wird vorgeworfen, Hunderte Tote zu verantworten, die im Dezember 1989 starben, wenngleich Ceausescu schon gestürzt war. Ob der Prozess gegen Iliescu noch zustande kommen wird, ist äußerst fraglich. Erst im November 2021 hat der Oberste Gerichtshof den Fall an die Militärstaatsanwaltschaft zurückgegeben, wegen Unregelmäßigkeiten in der Anklageschrift.
Über Mission herrschte Stillschweigen
Der 25. Dezember 1989 war ein sonniger Weihnachtsfeiertag. Als in seiner Einheit Freiwillige für einen lebensgefährlichen Sondereinsatz gesucht wurden, sah Carlan seine Chance gekommen, doch noch an der Revolution teilzunehmen. Er war bereit, sein Leben zu opfern, für das freie Rumänien, so wie wenige Tage zuvor noch für Ceausescu, den er abgöttisch verehrte.
Beim Zwischenstopp in Bukarest stiegen "graue Eminenzen" mit in seinen Helikopter, die Carlan nur aus dem Fernsehen kannte. Darunter auch der damalige stellvertretende Verteidigungsminister Victor Stanculescu. Im Hubschrauber herrschte eisiges Schweigen, kein Wort über die bevorstehende Mission, kein Wort darüber, wohin sie eigentlich flogen.
Todesurteil stand schon vor Prozess fest
Sie landeten in der Militärkaserne Targoviste, rund 70 Kilometer entfernt von Bukarest, wo die Ceausescus festgehalten wurden. Im Staatsfernsehen hatte man ihre Festnahme gemeldet, den Ort kannte jedoch nur eine Handvoll Funktionäre der neuen Machtelite. Noch bevor der Militärprozess begann, erfuhr Carlan, dass die Ceausescus im Verfahren zum Tode verurteilt würden. Die politische Führung rechtfertigte später die vollzogene Hinrichtung damit, dass das Volk die beiden gelyncht hätte, wenn sie am Leben geblieben wären.
Was auch immer geschehe, schärfte der Vorgesetzte dem Hinrichtungskommando ein, die Ceausescus dürften nicht lebend entkommen. "Seid ihr in der Lage, das Urteil zu vollstrecken?", fragte Verteidigungs-Vizeminister Stanculescu. "Ja!" rief Carlan mit den zwei anderen Soldaten im Chor. Nur gut zwei Stunden dauerte der Prozess, ein Berufungsverfahren wurde den Ceausescus nicht gewährt. Wenig später starb das Tyrannenpaar im Kugelhagel dreier Sturmgewehre im Innenhof der Militärkaserne.
Damals Jubel, heute barbarischer Akt
"Carlan hat mit seinen Händen Geschichte gemacht", sagt der Bukarester Fotograf Cornel Brad. Er fotografierte in den vergangenen Monaten zahlreiche Prominente, die für 100 Jahre rumänische Geschichte stehen - wie den erste Nachwende-Präsidenten Ion Iliescu oder die im Banat geborene Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Carlan durfte und wollte im Fotoband nicht fehlen, sagt Brad.
Stundenlang hätten sich die beiden unterhalten - über die Hinrichtung, über den inszenierten Militärprozess. Viele Rumänen hadern heute mit ihrer Revolution, auch weil die neue Machtelite so kurzen Prozess mit den Ceausescus gemacht hatte und sich damit im Rechtsverständnis so wenig von dem Diktator unterschieden hatte. Brad war zur Revolution gerade mal 15 Jahre alt, verfolgte die Geschehnisse vom Fernseher aus. Als die Todesnachricht der Ceausescus kam, spürte der Teenager "eine Erlösung". Inzwischen nennt er die Hinrichtung einen "barbarischen Akt". Wie Brad denkt heute ein Großteil der Rumänen, den einstigen Jubel über die toten Diktatoren blenden Viele aus.
Einmal Henker, immer Henker
Carlan dachte 1989, er würde "als Held in die Geschichte eingehen". Er wurde beim Militär befördert, arbeitete im Verteidigungsministerium, profitierte von alten und neuen Seilschaften. Als er merkte, "dass sich beim Staat auch im neuen System Vieles nur um Lügen und Stehlen dreht", ging er in die Privatwirtschaft. Er habe nicht mehr bedingungslos mitmachen wollen, so wie damals am 25. Dezember 1989.
Sein Gesicht kennen viele im Land: Er gilt als "Henker der Ceausescus" – den grausamen Ruf kann er bis heute nicht abstreifen. Er arbeitete für eine Sicherheitsfirma, bis er merkte, dass die ihn wegen seiner Vergangenheit eingestellt hatte: "Ich sollte als Schreckgespenst den Leuten das Fürchten beibringen." Als früherer Militär durfte er mit 52 Jahren in Rente gehen, auch erhält er monatlich einen staatlichen Zuschuss als "Revolutionskämpfer mit ungewöhnlichen Verdiensten". Mit umgerechnet gut 640 Euro im Monat bekommt er mehr als das Doppelte einer rumänischen Durchschnittsrente. Mit einstigen hochrangigen Militärs kann sich Carlan aber nicht messen, sie bekommen das Sechsfache seiner Rente.
Sein erster Sohn ist so alt wie die Wende. Kontakt haben sie keinen mehr. Er schäme sich für das, was sein Vater 1989 getan hat. Der jüngere Sohn, solle von seiner Vergangenheit verschont bleiben, sagt Carlan. Künftig soll deshalb alles anders werden: Er will keine Interviews mehr zur Hinrichtung der Ceausescus geben. Drei Jahrzehnte seien genug, "über diese dunkle Seite der Geschichte zu sprechen". Carlan will nicht ewig der Henker bleiben.
(Der Artikel ist erstmals am 22.12.2019 erschienen.)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 21. Dezember 2019 | 12:21 Uhr