Immobilienmarkt Warum in Kroatien so viele junge Menschen bei den Eltern wohnen
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29. Oktober 2024, 09:32 Uhr
Mario ist 32 und teilt sich bei seinen Eltern noch immer ein Zimmer mit seiner Großmutter. Und er ist kein Einzelfall. In kaum einem europäischen Land wohnen junge Menschen so lange bei ihren Eltern wie in Kroatien, denn es herrscht Wohnungsnot. Jetzt will die Regierung gegensteuern.
"Lange mache ich das nicht mehr mit", stöhnt Mario. "Ich liebe meine Großmutter, aber das ist doch nicht normal, dass ich mir mit über 30 noch ein Zimmer mit ihr teilen muss." Mario ist 32 Jahre alt und lebt immer noch bei seinen Eltern in Zagreb. Die Wohnung ist klein, weshalb er sich sein Zimmer mit seiner Großmutter teilen muss. "Sie ist Anfang 80 und macht sich jedes Mal Sorgen, wenn ich ausgehe. Sie schläft nicht, bis ich zurück bin. Was für ein Leben", erzählt Mario.
Doch Mario ist kein Einzelfall: Laut der EU-Statistikbehörde Eurostat verlassen junge Kroatinnen und Kroaten ihr Elternhaus im Durchschnitt erst im Alter von 31,8 Jahren. Im Vorjahr lag der Altersdurchschnitt sogar noch bei knapp 34 Jahren. Zum Vergleich: In Deutschland ziehen junge Erwachsene im Schnitt mit 23,9 Jahren aus; in Finnland, dem europäischen Rekordhalter, sogar mit 21,4 Jahren.
Kauf- und Mietpreise schießen in die Höhe
Aber warum verlassen junge Erwachsene "Hotel Mama" in Kroatien so spät? Ist es Bequemlichkeit oder gar Faulheit, die das komfortable Leben im Elternhaus attraktiver macht als ein eigenständiges Leben? Vielleicht bei einigen. Doch der Hauptgrund ist eindeutig der kroatische Immobilienmarkt, dessen Preise seit Jahren nur eine Richtung kennen – nach oben.
Allein im letzten Jahr stiegen die Kaufpreise für Wohnungen um 10,4 Prozent, die Mieten im Schnitt um 6,3 Prozent. Am teuersten ist es in der Hauptstadt Zagreb sowie in den Touristenhochburgen Dubrovnik, Split oder Istrien. In Zagreb bewegen sich die Mietpreise im Moment je nach Stadtviertel zwischen 10,35 und 16,67 Euro pro Quadratmeter, was einen Preisanstieg von bis zu 47 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Für eine 50-Quadratmeter-Wohung ergibt sich damit in einem Stadtviertel mit höheren Mieten ein Kaltmietpreis von rund 830 Euro.
Der durchschnittliche Kaufpreis pro Quadratmeter liegt in Zagreb bei 2.830 Euro. Für eine Wohnung von 50 Quadratmetern muss man demnach etwa 141.500 Euro zahlen. Diese Preise übersteigen oft die Möglichkeiten von Normalbürgern, denn ein kroatisches Durchschnittseinkommen beträgt nur rund 1.300 Euro netto im Monat. Nach Abzug von Miete und Nebenkosten bleiben so oft nur 400 Euro für alle anderen Ausgaben übrig. Schnell wird klar, dass ein Aufenthalt im "Hotel Mama" selbst bei Beteiligung an den Kosten für Essen und Wohnung deutlich billiger ist als ein Leben in den eigenen vier Wänden.
Warum Miet- und Kaufpreise in Kroatien steigen
Doch was treibt die Immobilienpreise in Kroatien so sehr in die Höhe? Ein wesentlicher Grund ist der Tourismus. Viele Kroaten haben ihre Wohnungen in Ferienapartments umfunktioniert. Der Grund ist simpel: Je nach Lage und Anzahl der Betten können Vermieter damit in wenigen Tagen mehr verdienen als mit regulären Mieteinnahmen über Monate hinweg. Besonders an der Küste wird dies zu einem Problem: Studenten etwa können in Touristenhochburgen, die auch Universitätsstädte sind, Wohnungen oft nur zwischen Oktober und Mai anmieten. Sobald die Urlaubssaison beginnt, müssen sie ausziehen – selbst wenn das Semester noch nicht zu Ende ist. Manche Vermieter ziehen während der Saison selbst in Garagen, um ihre Wohnungen für Touristen freizugeben.
Lana Mihaljinec Knežević, Besitzerin einer Immobilienagentur in Zagreb, sieht weitere Gründe für die Preisexplosion: "Seit der letzten Immobilienkrise übersteigt die Nachfrage das Angebot. Wir hatten eine der längsten Wirtschaftskrisen in Europa und der Bausektor brach ein. Als sich der Markt erholte, stieg die Nachfrage – begünstigt durch niedrigere Arbeitslosigkeit, das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, niedrige Zinsen und den boomenden Tourismus", so die Immobilienmaklerin im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender HRT.
Trotzdem stehen laut dem kroatischen Amt für Statistik rund 600.000 Immobilien leer. Viele davon gehören Auslandskroaten oder sind als Spekulationsobjekte gekauft worden. Nach der Finanzkrise 2008 verloren viele Kroaten das Vertrauen in die Finanzmärkte und investierten stattdessen in Immobilien. Professor Gojko Bežovan von der Universität Zagreb forderte in einem Interview mit dem Privatsender N1 Maßnahmen, um diese leerstehenden Wohnungen wieder in den Mietmarkt zu bringen: "Ein erheblicher Teil dieses 'leeren' Wohnungsbestandes ist gerade durch Immobilieninvestitionen in Großstädten entstanden. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Vermietung solcher Wohnungen zu fördern."
Regierung will Preisanstieg mit neuen Steuern bremsen
Genau dies plant die kroatische Regierung: Ab 2025 soll eine neue Immobiliensteuer auf leerstehende oder nur kurzzeitig vermietete Wohnungen erhoben werden. Diese soll zwischen 60 Cent und 8 Euro pro Quadratmeter betragen, abhängig von der Region. Zudem wird die jährliche Steuerpauschale für touristische Apartments auf bis zu 300 Euro pro Bett erhöht. Die Regierung hofft, so mehr Wohnraum für lokale Mieter verfügbar zu machen.
Doch was bedeuten diese Maßnahmen für Menschen wie Mario? Trotz der geplanten Reformen bleibt er skeptisch: "Ich werde wohl einen Kredit aufnehmen müssen und ihn die nächsten 30 bis 40 Jahre abbezahlen – wie alle anderen auch." Damit könnte er sich eine kleine Wohnung am Stadtrand von Zagreb leisten. Doch die Vorstellung, jahrzehntelang für Wohneigentum Schulden abzubezahlen, schreckt ihn ab. "Vielleicht mieten meine Freundin und ich uns erst einmal eine Wohnung, mal sehen", sagt er unsicher. Solange in Kroatien Wohnraum von einem Teil der Bevölkerung eher als Investition denn als Lebensgrundlage gesehen wird, bleibt für viele, wie Mario, der Traum vom eigenen Zuhause in weiter Ferne – und "Hotel Mama" die einzige Alternative.
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 12. Oktober 2024 | 07:17 Uhr