Lukaschenkos Repressionen Belarus: Wenn Opposition als Terror eingestuft wird
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26. Oktober 2022, 15:54 Uhr
Schon zwei Jahre lang gibt es in Belarus keine Proteste mehr. Die Menschen sind entweder eingeschüchtert oder ins Ausland abgewandert. Trotzdem verstärkt die belarussische Führung aber die Repressionen. Mittlerweile wird aus Regimekritik sogar "Terrorismus" gemacht, um schärfer dagegen vorzugehen. Ähnlichkeiten zu Putins Kampf gegen die Opposition in Russland drängen sich auf.
"Ich habe mich 2020 an den Protesten beteiligt und war Abonnent verschiedener extremistischer Telegram-Kanäle", sagt ein junger Mann mit Brille in einem Propagandavideo, das seit Mitte Oktober von staatlichen Stellen aus Belarus verbreitet wird. Die Spezialeinheit GUBASiK (dt.: Hauptamt zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption) hat sich in den letzten zwei Jahren immer mehr zu einer politischen Polizei entwickelt. Um Videos mit Schuldbekenntnissen von Inhaftierten zu posten, hat GUBASiK auf der Online-Plattform Telegram immer wieder eigene Kanäle eingerichtet. Mehrmals hat der Online-Dienst diese Kanäle jedoch auch blockiert. Telegram ist in Belarus einer der meistgenutzten Messengerdienste, der auch zur Berichterstattung über aktuelle Ereignisse genutzt wird. Auch die staatliche Propaganda versucht hier ihre Leser zu finden. Ihr wichtigstes Ziel dabei: Einschüchterung, damit es nicht wie 2020 noch einmal zu Protesten kommt.
Allein im Oktober wurden mindestens vier Menschen wegen der Teilnahme an den Protesten von 2020 zu Freiheitsstrafen von ein bis zwei Jahren verurteilt. Offiziell lautet die Anklage jedes Mal "Organisation oder Teilnahme an Gruppenaktionen, welche die öffentliche Ordnung grob verletzen". Sie stützt sich auf Artikel 342 des Strafgesetzbuches. Er wird am häufigsten für politische Anklagen herangezogen und wir deshalb auch "Volksartikel" genannt.
Die Menschenrechtsorganisation Wjasna (dt.: Frühling) zählt etwa 1.300 politische Gefangene im Land. Allerdings geht Wjasna davon aus, dass ihre Zahl deutlich höher ist. Weil Angehörige Angst haben und kaum Menschenrechtsaktivisten im Land geblieben sind, werden viele Fälle nicht dokumentiert. Sieben Aktivistinnen und Aktivisten von Wjasna selbst befinden sich in Haft, der prominenteste von ihnen ist der Gründer der Organisation Ales Bjaljazki, der Anfang Oktober mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Einstufung als Terroristen
Dass Staaten Terrorlisten führen, ist an sich nichts Ungewöhnliches. In Belarus fanden sich auf der Liste bis 2020 Personen und Organisationen, die auch vom UN-Sicherheitsrat als Terroristen eingestuft wurden. Etwa islamistische Gruppen oder auch Vertreter des Regimes in Nordkorea. Allerdings haben die belarussischen Sicherheitsdienste der Liste der meistgesuchten internationalen Terroristen nach den Protesten 2020 noch gut 200 belarussische Aktivisten, Journalistinnen, Blogger, Anarchisten, ehemalige Polizisten und Politikerinnen hinzugefügt.
So stehen auch die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja und die Bürgerrechtlerin Maria Kolesnikowa auf der öffentlich einsehbaren Liste. Kolesnikowa sollte vor zwei Jahren vom KGB gezwungen werden, das Land zu verlassen. Sie zerriss jedoch an der Grenze ihren Pass und wurde später wegen angeblicher "Verschwörung zur Machtergreifung mit verfassungswidrigen Mitteln" zu elf Jahren Haft verurteilt.
Auf der Terrorliste stehen jedoch einfache Bürger, wie der Arzt Andrej Lubezkij, dessen "Vergehen" es war, auf Facebook das Regime Lukaschenko scharf zu kritisieren. Auch das von Warschau aus agierende Medienprojekt Nexta mit seinem wichtigen Telegram-Kanal sowie den regimekritischen Verband der ehemaligen Polizisten Bypol stuften die belarussischen Sicherheitsbehörden als terroristische Organisationen ein. Vor Kurzem wurden auch der Korrespondent der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza, Andrzej Poczobut, sowie die Chefredakteurin des nichtstaatlichen Online-Mediums tut.by, Marina Solotowa, auf die Liste gesetzt. Auch ohne neue Proteste im Land wird die Liste von den Behörden ständig erweitert.
Ausweitung des Straftatbestandes "Extremismus"
Doch nicht nur die Teilnahme an den Protesten dient als Vorwand für Repressionen. Die belarussische Führung hat sich noch weitere "rechtliche Neuerungen" einfallen lassen, um gegen unliebsame Kritik vorzugehen. So wurde 2021 die Definition von strafbarem Extremismus auch um die "Mitwirkung an einer extremistischen Tätigkeit" ausgeweitet.
Als "extremistisch" können Videos, Bücher, Telegram-Kanäle, Webseiten, Medien oder auch Gegenstände wie Souvenirs eingestuft werden. Im Moment listet das Informationsministerium hunderte Dinge auf, die vor Gericht als "extremistisch" gelten. Für den Besitz und die Verbreitung solcher Materialien können Bürger bis zu 15 Tage in Haft genommen werden.
Da fast alle nichtstaatlichen Medien nach Ansicht der Behörden "extremistisch" sind, reicht es sogar aus, wenn man einfach nur Follower solcher Medien in den sozialen Netzwerken ist. Auf dieser Grundlage werden jeden Monat dutzende Menschen festgehalten. Auch wenn man "extremistischen" Medien ein Interview gibt, wird das bereits als Straftat eingestuft. So wurde laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Wjasna der Militärexperte Jahor Lebiadok im Juli für Aussagen im regierungskritischen Euroradio verhaftet, wofür ihm nun bis zu sieben Jahre Gefängnis drohen.
Neue Repressionen seit Ukraine-Krieg
Der Krieg in der Ukraine hat die Repressionen in Belarus noch einmal zusätzlich verstärkt. So begann Mitte Oktober in Gomel ein Prozess gegen einen Rentner, der 160 SMS an die polnische Telefonnummer des als "extremistisch" eingestuften Fernsehsenders Belsat geschickt hatte. Seine Kurznachrichten hatten Informationen über russische Truppenbewegungen in Belarus enthalten. Ihm wird wie dem Militärexperten Lebiadok "Mitwirkung an extremistischer Tätigkeit" vorgeworfen. Sein Handy und sein Fernseher wurden als "Tatwerkzeuge" beschlagnahmt.
Die Öffentlichkeit soll von diesen Verfahren nichts mitbekommen. So ermöglicht es die geltende Gesetzgebung den Behörden, Gerichtsverhandlungen zum Straftatbestand "Extremismus" hinter verschlossen Türen durchzuführen. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ist es verboten, öffentlich über die Prozesse zu sprechen und auch gegen sie richten sich Repressionen. Ein Zusammenschluss von Rechtsanwälten benennt auf seiner Webseite defenders.by die Ausmaße der Einschüchterungen: In den letzten zwei Jahren entzogen die Behörden 70 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ihre Lizenz, 11 sind derzeit inhaftiert. Sie alle haben politische Gefangene verteidigt.
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 07. Oktober 2022 | 16:36 Uhr