Albanien Erinnerungskultur: "Wir müssen uns diese Orte zurückerobern"
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25. Oktober 2017, 10:45 Uhr
Bis zu 200.000 Bunker wurden während der kommunistischen Diktatur in Albanien errichtet. Viele Albaner würden sie gerne zerstören oder vergessen. Das Geschichts-Projekt "Bunk’art" versucht genau das Gegenteil.
Die Ausstellung "Bunk’art 2" befindet sich seit November 2016 in einem ehemaligen Folterkeller des Geheimdienstes der kommunistischen Hoxha-Diktatur. Die bunkerartige Einrichtung liegt unweit des zentralen Skanderbeg-Platzes im Zentrum Tiranas. Zwei Jahre zuvor wurde "Bunk'art 1" in einer riesigen unterirdischen Bunkeranlage am Stadtrand errichtet, die für die damalige kommunistische Regierung errichtet wurde. Initiiert hat das Projekt die albanische NGO "Qendra Ura". Deren Direktor Ergys Gezka sieht in der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur eine der größten Herausforderungen der albanischen Gesellschaft, erklärt er im Gespräch mit dem MDR.
Heute im Osten: Herr Gezka, was ist die Idee hinter diesem Projekt?
Ergys Gezka: Wir wollen die Vergangenheit Albaniens aufarbeiten und helfen, eine kollektive Erinnerungskultur in unserem Land zu schaffen. Unsere Grundidee war, die vorhandenen Einrichtungen neu zu nutzen. Aus denen wollen wir einen Ort für die Zivilgesellschaft schaffen, um öffentlich zu zeigen, wie die Realität unter diesem Regime aussah und welche Verbrechen es begangen hat. Denn der Umgang mit der eigenen Vergangenheit ist bis heute eine Herausforderung für Albanien.
2001 haben wir die Ausstellung "Bunk’art 1" eröffnet. Sie befindet sich in einem riesigen vierstöckigen unterirdischen Bunker am Stadtrand, der 200.000 Quadratmeter Nutzfläche hat. In dem sollte im Kriegsfall die gesamte kommunistische Führung unterkommen. Diesen Ort haben wir in einen sozialen Treffpunkt für alle Menschen verwandelt.
Darin gibt es zum Beispiel eine riesige Halle, die für das Parlament des Regimes gedacht war. In der haben wir Jazz und Rock-Konzerte veranstaltet - Musikrichtungen, die unter den Kommunisten verboten waren. Das war ein echter Wow-Effekt.
Trotzdem gab es massive Proteste gegen die zweite Ausstellung im Zentrum der Stadt. Sie würde Kapital aus dem Unrechtsregime schlagen, war einer der Vorwürfe. Viele hielten einen solchen Erinnerungsort aber auch schlicht für überflüssig. Warum?
Viele Albaner wollen nicht an die schrecklichen Dinge erinnert werden, die hier passiert sind. Sie haben persönliche Erinnerungen an diese Zeit, die sie vergessen wollen. Für sie gibt es nichts Positives, dass man kultivieren und an die nächste Generation weitergeben kann. Und es ist wahr, dass viele Albaner unsere Ausstellungen bis heute nicht besuchen wollen.
Andererseits kommen besonders viele Albaner her, die in Nachbarländern großgeworden sind: Albaner aus dem Kosovo, aus Mazedonien und Montenegro. Die wollen selbst sehen, welche Grausamkeiten dieses Regime begangen hat, von denen sie bislang nur gehört haben.
Und auch die jüngere Generation ist neugierig. Denn wenn deine Eltern dir nicht erzählen wollen, wie es war, dann willst du natürlich herausfinden, woran das liegt. Seit vergangenem Jahr haben wir auch eine Kooperation mit dem Bildungsministerium. Seitdem haben Schüler aus fast allen Schulen in Tirana das Museum besucht.
Und wie reagieren die Besucher auf die Ausstellung?
Gerade die jungen Besucher sind erstmal total fasziniert von diesem besonderen Ort direkt unter dem Zentrum der Stadt. Und dann fangen sie an zu lesen und beginnen zu verstehen, warum ihre Eltern und Großeltern bestimmte Reaktionen zeigen. Dann beginnen sie, darüber nachzudenken. Und das ist genau, was wir erreichen wollen: Dass sie darüber nachdenken, was passiert ist und warum das Land sich in dem Zustand befindet, in dem es gerade ist. Warum die Wirtschaft so schlecht ist und warum so viele Menschen auswandern zum Beispiel. Die Gründe dafür findet man hier, aber natürlich nicht nur hier.
Auch an anderen Orten werden die alten Bunker in Albanien neu genutzt: als Tattoo-Studios, Bars oder Hotels. Verändert sich die Wahrnehmung dieser Altlast der Geschichte, die man eh nicht loswird?
Ja. Ich denke auch: "Ok, das ist unsere Vergangenheit, es ist passiert. Nun müssen wir daraus etwas aufbauen, etwas für unsere Zukunft." Wir sollten es als unser gemeinsames Vermächtnis verstehen, unser Eigentum. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir unsere Heimat gestalten wollen. Und dabei sollten wir an diesen Orten das Gegenteil davon tun, wofür sie einmal erbaut wurden.
Aus einem Bunker ein Tattoo-Studio zu machen wirkt erst einmal befremdlich. Aber für mich ist das etwas wirklich Schönes. Genau, wie Konzerte im ehemaligen Parlament dieses Regimes zu veranstalten. So können wir aus diesen Orten etwas Neues für die nächste Generation erschaffen. Denn es ist unglaublich wichtig, uns einerseits an unsere kollektive Identität zu erinnern und gleichzeitig die Kontrolle über unser Leben und unser Land zurück zu erlangen.
Ergys Gezka ist Direktor der Nichtregierungsorganisation "Qendra Ura" (deutsch: "Brücke Zentrum"), die die albanische Erinnerungskultur stärken will. Außerdem ist er Mitglied im "EU Policy Lab" und berät die albanische Regierung in Fragen der zivilgesellschaftlichen Entwicklung.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: TV | 29.07.2017 | 18:00 Uhr