Bunker in Albanien: Zukunft auf altem Stahlbeton
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08. Januar 2019, 11:02 Uhr
Als Hotels, Museen oder Tattoostudios: In Albanien werden immer mehr Bunker aus kommunistischer Zeit umgenutzt. Das gefällt nicht allen, bietet dem armen Land aber große Chancen.
Knatternd kommt das selbstgebaute schwarze Motorrad auf dem staubigen Feldweg zum Stehen. Auftritt Keq Marku: sonnengegerbte Haut, akkurat getrimmter Spitzbart, verwittertes Gesicht. Die tätowierten Handrücken und die schwarze Sonnenbrille runden den Mad Max-Look perfekt ab.
Aus der kargen steppenartigen Landschaft Nordalbaniens erhebt sich vor dem 50-Jährigen dessen Arbeitsplatz: reiner Stahlbeton, acht Meter im Durchmesser, fünf Meter hoch, markantes halbrundes Iglu-Dach. "Pilz" sagen die Albaner zu diesem Stahlbeton-Standardbunker vom Typ "Feuerstelle". Insgesamt stehen in Albanien schätzungsweise 200.000 solcher und ähnlicher Bunker, vielleicht sind es auch 750.000. Niemand weiß das heute genau.
Bunker als Lebensgrundlage
"Ich habe eine spezielle Beziehung zu diesem Bunker", sagt Marku. Im Jahr 2000 hatte er das Grundstück nebenan gekauft: "Der Bunker war halt da. Statt ihn zu zerstören, wollte ich etwas daraus machen. Also habe ich ein Tattoo-Studio eröffnet." Skeptisch hätten die Menschen in der Gegend reagiert, erinnert sich Marku. Wohl auch, weil er das Tätowieren im Gefängnis gelernt hat. Eine Lebensphase, über die er heute ausgesprochen ungern spricht.
Dafür sprach sich sein ausgefallenes Studio schnell rum. Aus dem In- und Ausland kommen mittlerweile Menschen zu Marku, um sich von ihm ein Tattoo stechen zu lassen. "Viele kommen auch einfach vorbei, um sich den Ort anzuschauen", meint der 50-Jährige. Heute kann Marku davon leben, seine Frau und drei Kinder ernähren. "Deswegen liebe ich meinen Bunker", schwärmt Marku: "Ich liebe alle Bunker. Ich besuche sie gerne, gehe rein und gucke sie mir an: die spezielle Struktur, wie alles zusammengebaut ist."
Relikte der kommunistischen Diktatur
So positiv wie Keq Marku sehen nur wenige Albaner die allgegenwärtigen Stahlbeton-Pilze. Sie sind Relikte aus einer Zeit, die sie gerne vergessen würden. Von 1944 bis 1990 herrschte in Albanien eine Einparteiendiktatur. Die "Sozialistische Volksrepublik Albanien" war Gründungsmitglied des Warschauer Paktes. Doch der kommunistische Diktator Enver Hoxha überwarf sich Anfang der 1960er-Jahre mit der Sowjetunion, 1978 auch mit der Verbündeten Volksrepublik China.
Im Alter fürchtete der paranoid werdende Hoxha zunehmend eine Invasion der ehemaligen Partner, des Nachbarlandes Jugoslawien oder der USA. Und so ließ der Diktator in den 1970er- und 80er-Jahren jene Bunker errichten, die bis heute die Landschaft Albaniens prägen. Nach Hoxhas Tod und dem Zusammenbruch des Regimes im Jahr 1990 stellte die neue Regierung es jedem Albaner frei, die Altlasten selbst zu zerstören.
Schwierger Umgang mit der eigenen Geschichte
Vielerorts blieben die Bunker aber einfach stehen, meist aus Geldmangel. Und so versuchten viele Albaner, die Altlasten einfach zu vergessen, erzählt Ergys Gezka: "Die haben auch ganz persönliche Erinnerungen an diese Zeit, die sie vergessen wollen." Gezka ist Direktor der NGO "Qendra Ura" in der albanischen Hauptstadt Tirana. Die versucht, die Albaner dazu zu bringen, sich mit den dunklen Kapiteln ihrer Geschichte auseinander zu setzen - mit einer Dauerausstellung in einem ehemaligen Bunker mitten in Tirana.
"Gerade die jungen sind erstmal total fasziniert von diesem besonderen Ort direkt unter dem Zentrum der Stadt. Und dann fangen sie an zu lesen und beginnen zu verstehen, warum ihre Eltern und Großeltern bestimmte Reaktionen zeigen", meint Gezka. Denn die Ausstellungsräume beherbergten einst die Folterkeller des kommunistischen Geheimdienstes. Tausende Menschen wurden hier gequält und ermordet.
Ausstellungskonzept ruft Protest hervor
Für viele Albaner gäbe es daher "nichts Positives, dass man kultivieren und an die nächste Generation weitergeben kann", erklärt Gezka, während er durch die Ausstellungsräume führt. An einer Wand gegenüber eine Verhörzelle ist eine Tafel angebracht, die 36 nachgewiesene Foltermethoden aus jener Zeit aufführt. "Einer Frau wurde der nackte Unterleib in einen Sack gesteckt. Darin befand sich eine Katze, die von außen geschlagen wurde“, referiert Gezka und überlässt den Rest der Vorstellungskraft des Besuchers.
Es sind auch solche Methoden der Geschichtsvermittlung, die Protest gegen die Ausstellung hervorriefen. Vor der Eröffnung im November 2016 belagerten Protestierende den Eingang zur unterirdischen Ausstellung. Sie warfen den Machern um Gezka vor, das Leid der Opfer zu monetarisieren. Andere bezweifelten, dass es überhaupt einer Aufarbeitung bedürfe. "Doch ein Teil der Gesellschaft will nun endlich diese Aufarbeitung", glaubt der Historiker.
Erinnerungskultur als Grundlage für die Zukunft
Er wolle, dass die Besucher durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte darüber nachdenken "warum das Land sich in dem Zustand befindet, in dem es gerade ist. Warum die Wirtschaft so schlecht ist und warum so viele Menschen auswandern zum Beispiel." Nur so könne der bitterarme Staat, der offizieller EU-Beitrittskandidat ist, sich entwickeln. Einen neuen Umgang mit den Bunkern findet Gezka dafür besonders wichtig.
"Wir sollten es als unser gemeinsames Vermächtnis verstehen, als unser Eigentum. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir unsere Heimat gestalten wollen," schließt er seine Ausführungen, während aus dem Lautsprecher über ihm die Namen tausender Opfer des Regimes verlesen werden. Gezka will, dass sich die Albaner einerseits daran erinnern und zugleich eine eigenen Zukunft aufbauen. Und die Bunker seien eben da, also müsse man sie dazu nutzen, formuliert Ergys Gezka fast wortgleich mit Tätowierer Keq Marku.
Selfmade-Hotelier dank "Feuerstelle"
Wie erfolgreich das sein kann, lässt in Golem besichtigen, etwa 30 Kilometer östlich von Tirana, direkt an den Sandstränden der albanischen Adria. Anfang Oktober ist die Hochsaison hier bereits vorbei, also schlendert Kujtim Roçi entspannt im Trainingsanzug durch die Vorhalle des "Hotel Elesio" und biegt in die Küche ab. Direkt neben der Tür zeigt er auf eine unverwechselbare Betonform: den Eingang zu einem "Feuerstelle"-Bunker.
"1992 war hier nichts, nur Sand und Bunker, den ganzen Strand entlang", erinnert sich der 53-Jährige. Da er damals gerade einen Sohn bekommen hatte, brauchte Roçi Geld. Also nahm er alle Stühle und Tische aus seinem Elternhaus und stellte sie vor den Bunker. "Dann habe ich den Nachbarn aus dieser Tür selbstgemachten Kaffee verkauft, für 10 Lek pro Tasse." Umgerechnet sind das etwa acht Cent.
Als es mit dem Kaffee läuft, verkauft Roçi Fleischspieße, irgendwann Wein und Bier. "Drei Tische hier, einer da drüben und hier war die Bar“, erinnert sich Roçi stolz im Inneren des kleinen Bunkers. "Die Lampe ist sogar noch Original", sagt er lachend und zeigt auf die nackte Birne, die von der Decke baumelt.
Das Herz des Gebäudes
Immer, wenn sein Bunkerrestaurant genug abgeworfen hatte, baute Roçi an: erst eine Terrasse, dann Gästehäuser daneben, irgendwann begann er mit dem Hotel. Drei Obergeschosse hat das achteckige Gebäude mittlerweile. Neben den Außenwänden trägt eine massiver Stahlbetonträger in der Mitte des Gebäudes das Gewicht. Der steht direkt auf dem Dach des Bunkers.
"Der Bunker ist das Herz des Gebäudes. Ohne ihn würde das Hotel nicht existieren. Und er ist auch ein Teil von mir. Alles was ich bin, verdanke ich diesem Bunker", sagt der 53-jährige. Währenddessen führt er zur Suite im obersten Geschoss des Hauses. Das Zimmer kostet in der Hochsaison bis zu 180 Euro pro Nacht. "Das ganze Stockwerk ist erst Anfang des Jahres fertig geworden", erzählt Roçi.
Es sei immer noch wie früher: wenn er wieder Geld verdient hat, baut er weiter - immer oben drauf auf seinen Bunker. "Wie viele Stockwerke ich noch plane? So viele wie gehen!“, schließt Kujtim Roçi schmunzelnd und schlendert zum Treppenhaus zurück. Die Stufen zum nicht vorhandenen vierten Stock sind bereits eingebaut: natürlich Stahlbeton.
(Zuerst veröffentlich am 21.10.2017.)
Über dieses Thema berichtete MDR auch im: TV | 29.07.2017 | 18:00 Uhr