Speisen aus dem Restaurant Gaspar’s in Vilnius, das im ersten Michelin-Guide Litauens für guten Service und das Preis-Leistungs-Verhältnis prämiert wurde.
Gehobene Gastronomie gibt es in Litauen natürlich schon länger, doch der erste Michelin-Guide des Landes ließ auf sich warten. Nun gibt es einen. 34 Restaurants werden darin aufgeführt, von denen vier den begehrten Michelin-Stern bekamen. Bildrechte: Krystsina Fernandes

Gastronomie Gourmet-Paradies oder Geldverschwendung? Litauens Michelin-Sterne in der Kritik

02. Juli 2024, 04:04 Uhr

Es hat lange gedauert, doch nun ist es endlich so weit: Der prestigeträchtige "Guide Michelin" hat erstmals Sterne an Restaurants in Litauen vergeben. Gleich vier Lokale erhielten im ersten Litauen-Guide die begehrten Auszeichnungen. Doch Kritiker bemängeln die hohen Summen, die Litauen für die Bewertung der Restaurants bezahlen muss. Sie sprechen von Geldverschwendung und "gekauften Sternen".

Porträt Markus Nowak
Bildrechte: Markus Nowak/MDR

Zwei-Kilogramm-Langusten, frische französische Trüffel und Thunfisch aus Spanien – in den Kochtopf von Gaspar Fernandes kommen besondere Zutaten. "Ich kaufe nur die besten Produkte von den besten Zulieferern aus ganz Europa", sagt der 34-jährige Chefkoch des nach ihm benannten Restaurants Gaspar’s am Rande der Altstadt von Vilnius. Jene besonderen Zutaten postet der in Goa gebürtige Fernandes voller Stolz auch auf seinen Social-Media-Kanälen. "Was Mittwoch oder Donnerstag an der französischen Küste gefangen wird, das können wir schon am Samstag auf den Teller bringen", ergänzt er und betont so, dass trotz der peripheren Lage Litauens dennoch frische Meeresfrüchte auf den Tisch kommen.

Gaspar Fernandes, Chefkoch des Restaurants Gaspar’s in Vilnius, das mit einem Michelin-Stern ausgezeichwurde
Chefkoch Gaspar Fernandes hat sich mit seinem Restaurant in Vilnius gleich zwei Auszeichnungen im ersten Michelin-Guide Litauens erarbeitet. Auf der Speisekarte stehen u.a. Meeresfrüchte aus Westeuropa. Bildrechte: MDR / Markus Nowak

Erste Michelin-Sterne für Litauen

Gaspars neuester Social-Media-Post hat aber nicht so viel mit Zutaten und Essen zu tun: Stattdessen sind darauf er und sein Restaurant-Personal zu sehen, dahinter an der Wand eine kleine rote Tafel. "Michelin 2024" steht darauf und unter dem Post: "Danke an mein wunderbares Team." Das Lokal Gaspar’s hat zwar keinen der begehrten Sterne bekommen, wurde aber gleich mit zwei anderen Auszeichnungen im neuen Michelin-Guide prämiert: einer für den guten Service und außerdem mit dem "Bib Gourmand" für das Preis-Leistungs-Verhältnis. "Alle im Team sind so stolz darauf", sagt Fernandes. "Mir persönlich bedeuten die Auszeichnungen sehr viel, es war all die Mühe wert."

Speisen aus dem Restaurant Gaspar’s in Vilnius, das im ersten Michelin-Guide Litauens für guten Service und das Preis-Leistungs-Verhältnis prämiert wurde.
Speisen aus dem Restaurant Gaspar’s in Vilnius, das im ersten Michelin-Guide Litauens für guten Service und das Preis-Leistungs-Verhältnis prämiert wurde. Bildrechte: Krystsina Fernandes

"Es regnet Michelin-Sterne auf Litauen", frohlockte vergangene Woche auch Aušrinė Armonaitė, Litauens Wirtschaftsministerin, vor laufenden Kameras an einem Galaabend in Vilnius. Michelin hat zum ersten Mal litauische Restaurants prämiert und seinen Guide für das baltische Land herausgebracht. Neben dem Gaspar’s werden darin weitere 33 Restaurants erwähnt und gleich vier mit dem begehrten Stern prämiert. "Das wird Litauen mehr Sichtbarkeit geben und den Restaurant-, Hotel- und Tourismussektor anspornen", ist sich die 35-jährige Politikerin der Liberalen sicher.

Gute Investition oder unnötige Ausgabe?

Die Wirtschaftsministerin glaubt, dass das auch bares Geld in die Staatskassen spült: Bis zu vier Millionen im Jahr sollen nach Berechnungen des Ministeriums an Mehreinnahmen fließen. "Es wird sich positiv auf die Wirtschaft auswirken", sagt Armonaitė und will damit Kritikern Wind aus den Segeln nehmen, denn erst einmal muss Litauen bares Geld für die Herstellung des Michelin-Guides hinblättern, den sich Michelin regelrecht vergolden lässt. Vor allem in Internetforen echauffieren sich viele Menschen über die 1,5 Millionen Euro, die der Staat Litauen den Michelin-Inspektoren dafür zahlt, dass sie das Land in den Fokus nehmen. Offiziell wird von einer "Analyse des gastronomischen Potenzials" gesprochen, die in Litauen drei Jahre dauern soll.

Restaurant in Klaipeda (Litauen)
Restaurant in Litauens drittgrößter Stadt Klaipeda. Die Preise in der litauischen Gastronomie sind, gemessen an den Einkommen, relativ hoch. Bildrechte: MDR / Markus Nowak

Solche "Analysen" wurden bereits auch von den baltischen Nachbarn Lettland und Estland in Auftrag gegeben. Lettland hat seit 2023 einen Michelin-Stern, Estland seit 2022 und mittlerweile drei. Experten wie Urtė Mikelevičiūtė sehen in der Finanzierung eines Michelin-Guides eine übliche Praxis. "Egal bei welchem Wettbewerb man teilnehmen will, muss man eine Gebühr zahlen", sagt die in Litauen bekannte Food-Bloggerin und Restaurantkennerin. Sie sieht die Michelin-Sterne positiv – für sie sind sie ein Zeichen, dass Litauen mehr als 30 Jahre nach der Unabhängigkeit zu anderen Ländern in Europa aufschließt – nun auch im Gastrosektor.

Gastro-Szene in Litauen professionalisiert sich

"Nach der Transformation in den Neunzigern gab es kein Geld und keinen Markt dafür", sagt Mikelevičiūtė. "Dann begannen die Menschen mehr Geld zu verdienen und zu reisen, und sie kamen zurück mit Ideen, was man hier realisieren kann." Im Zuge der EU-Osterweiterung vor 20 Jahren kam es zudem zu einem "Braindrain", also einer Abwanderung von Hochqualifizierten. "Das Land blutet aus", hieß es damals, und in der Tat ging die Einwohnerzahl von 3,5 Millionen beim Zensus 2001 auf derzeit 2,8 Millionen zurück. Allerdings gibt es inzwischen auch Rückkehrer, von deren Knowhow das Land nun profitiert – auch im Gastgewerbe. "Ein Teil der heutigen Chefköche waren einst Emigranten. Sie kehrten mit ihrer Erfahrung zurück, um ein Restaurant zu eröffnen", sagt die Food-Bloggerin.

Die litauische Foodbloggerin Urtė Mikelevičiūtė
Gastro-Influencerin und Foodbloggerin Urtė Mikelevičiūtė: Die umstrittenen Zahlungen an Michelin hält sie für vertretbar – sie vergleicht sie mit einer Startgebühr bei einem Wettbewerb. Bildrechte: MDR / Markus Nowak

"Litauens Gastro-Szene war lange Zeit unterschätzt", sagt Mikelevičiūtė. Ob das an dem als schwer verdaulich geltenden Essen liegt? Zu den Nationalgerichten gehören mit Hackfleisch gefüllte Kartoffelklöße (Cepelinai) und kalter Borschtsch aus Kefir und roter Bete (Šaltibarščiai). Auf den Tisch kommen auch viele Pilze und Wild, das es in den dichten Wäldern des Landes gibt.

Zahlungskräftige Gäste dank Michelin-Guide?

Die vier Michelin-Sterne und 34 Nennungen im Guide jedenfalls können Touristen mit prall gefüllten Portemonnaies ins Land spülen bzw. einfliegen lassen, glaubt Bloggerin Mikelevičiūtė. Und einen prall gefüllten Geldbeutel braucht man allemal, wenn man in Litauen essen gehen will. Die Preise in den dortigen Lokalen sind, insbesondere am Lohnniveau gemessen, relativ hoch. Beträgt der Nettolohn in Deutschland statistisch rund 2.400 Euro monatlich, so liegt er in Litauen bei nur 1.100 Euro. Restaurantessen in Vilnius oder in Touristenstädten wie Nida oder Palanga an der Ostsee bewegen sich dagegen spätestens seit Pandemie und Inflation, die 2022 bei über 18 Prozent lag, auf einem ähnlichen Niveau wie in deutschen Städten.

Speisen aus dem Restaurant  Gaspar’s in Vilnius, das zu den ersten vier Restaurants in Litauen gehört, die mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurden.
Freisitz eines Restaurants in Vilnius: Die Gastronomie-Szene in Litauen professionalisiert sich und profitiert dabei auch von den Erfahrungen von Heimkehrern, die im Ausland gearbeitet haben. Bildrechte: Krystsina Fernandes

"Es ist schon teuer in Litauen", bestätigt die Food-Bloggerin. "Früher brauchte ich viel Geld, wenn ich nach Cannes oder Rom geflogen bin. Heute sind da die Restaurantpreise, Champagner ausgenommen, höchstens um nur noch 20 Prozent höher als bei uns." Das liege an vielen Regulierungen, glaubt die Restaurantexpertin, aber auch daran, dass gute Chefköche auch mehr Gehalt verlangen können. Gaspar Fernandes, Chefkoch in seinem eigenen Lokal, denkt länger nach. Dass Michelin hier nach Litauen kommt, bedeute doch, dass der Markt in den vergangenen zehn Jahren gereift sei, sagt er. "Man sieht, dass wir ein starker Markt sind und auch als Land ernst genommen werden." Er muss es wissen, schließlich lebt er bereits seit zehn Jahren in dem baltischen Land.

MDR (baz)

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Neues aus Osteuropa | 06. Juli 2024 | 07:17 Uhr

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