Automatencasinos und Wettbüros sind in der serbischen Hauptstadt Belgrad allgegenwärtig.
Automatencasinos und Wettbüros sind in Serbien allgegenwärtig. Die Folge: Immer mehr Jugendliche verfallen dem Glücksspiel und werden süchtig. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Spielsucht Serbien: Wettbüros und Spielcasinos an jeder Ecke

04. März 2023, 05:00 Uhr

Nach der Schule oder in der Pause schnell zocken gehen, ist bei Jugendlichen in Serbien sehr beliebt. Auch viele Erwachsene sind dem Glücksspiel verfallen. Das Balkan-Land hat auf die Einwohnerzahl bezogen die höchste Dichte an Wettbüros, Casinos und Spielsalons in ganz Europa, und das Gesundheitsministerium, das die zunehmende Spielsucht eigentlich bekämpfen müsste, lässt sich von einem großen Wettbüro sponsern.

Fotomontage Mann vor Fahne
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"Warst du mal in einer Wettstube oder einem Casino mit Spielautomaten", fragte ich die 17-jährige Sara (Name geändert und der Redaktion bekannt). "Jaaaa", antwortete sie zögernd, "im Slot Club". "Und hast du was gewonnen?" "Nein." "Gehen deine Freunde in Wettbüros oder Spielstätten?", wollte ich noch wissen. "Ja!", antwortete sie unverzüglich, "fast alle".

Sara geht in das Dritte Belgrader Gymnasium im Zentrum der serbischen Hauptstadt und hat gute Noten. Etliche ihrer Schulkameraden wetten regelmäßig auf Sportspiele oder vertreiben sich die Zeit in Spielhallen. Die naheste ist, laut Google Maps, nur 180 Meter von ihrer Schule entfernt, obwohl die gesetzlich vorgeschriebene Entfernung von Schulen für Glücksspielanbieter 200 Meter beträgt. Ein Katzensprung – da kann man in der Pause schnell ein bisschen zocken gehen. Natürlich dürfen Minderjährige nicht wetten – theoretisch. Doch mancherorts drückt man gern ein oder auch beide Augen zu, und manche in der Klicke sind schon volljährig und zahlen Wetttickets für die anderen ein.

Das Suchtpotential scheint hoch. Während des Winterurlaubs im beliebten serbischen Skizentrum Kopaonik verbrachten einige ihrer Freunde mehr Zeit in Spielsalons als auf der Piste, erzählt Sara. Fünf von ihnen verspielten zusammen rund 2.000 Euro – Geld, das ihre Eltern ihnen für Skipässe mitgegeben hatten. Es sei eigentlich ganz nett in solchen Lokalen, sagt Sara – gute Musik, man darf rauchen und Getränke gibt’s für Spieler oft umsonst, auch alkoholische. Manche Spielsalons haben bis fünf Uhr morgens geöffnet.

Die enorme Beliebtheit von Automatencasinos und Wettbüros beunruhigt Fachleute, denn zocken kann genauso süchtig machen wie Drogen, Alkohol oder Zigaretten. Bei jungen Menschen sei Prävention am wichtigsten, so der Psychologe Stevan Kas. Bei ersten Anzeichen eines Drangs nach Zocken, sollten sie zur Beratung in eine auf Suchtkrankheiten spezialisierte Klinik gehen. Es sei allerdings für Eltern enorm schwierig, bei ihren Kindern rechtzeitig eine Spielsucht zu erkennen.

Europas Spitzenreiter beim Glücksspiel

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) war Serbien bereits im Jahr 2008 das europäische Land mit den meisten Glücksspiellokalen im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Auf Platz zwei lag das benachbarte Bosnien und Herzegowina. Fünfzehn Jahre später sind die Zahlen in Serbien noch alarmierender. Bei etwa 300.000 Menschen hat sich laut WHO eine pathologische Sucht entwickelt (alle Glücksspielarten). Die meisten Betroffenen seien zwischen 18 und 26 Jahre alt.

Nach Angaben der Spezialklinik für Suchtkrankheiten in Belgrad gibt es in Serbien inzwischen mehr Glücksspiel- als Drogensüchtige. Zwischen September 2021 und Januar 2022 ist die Anzahl der nach Glücksspielen süchtigen Patienten um 30 Prozent gestiegen.

Eine wissenschaftliche Erklärung für diesen sprunghaften Anstieg haben die Psychiater nicht. Dr. Sbutega Filipović von der Spezialklinik sagt, ihr jüngster Patient sei 16 Jahre alt. Die Patienten stammten aus unterschiedlichen sozialen und Bildungsverhältnissen. Sie habe zudem bemerkt, dass immer mehr verheiratete 30- bis 40-Jährige mit Kleinkindern in die Klinik kommen, wöchentlich zwischen drei bis fünf Familien.

Automatencasinos und Wettbüros sind in der serbischen Hauptstadt Belgrad allgegenwärtig.
Eine Filiale des Glücksspielanbieters MaxBet in Belgrad Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Alarmierende Zahlen

Doch das Problem beschränkt sich nicht auf die Hauptstadt Belgrad. Aus einer Studie der Klinik für Suchtkrankheiten Vita von 2019 geht hervor, dass 45 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren in Serbiens zweitgrößter Stadt Novi Sad Erfahrung mit Glücksspiel hatten. Und nach Angaben des Forschungsanalytischen Zentrums der Vojvodina (VOICE) gibt es allein im Stadtkern von Novi Sad 131 registrierte Wettstuben, also je eine Wettstube auf 1.700 Einwohner.

Das serbische Staatsfernsehen berichtete, dass es in Serbien etwa 33.000 Spielautomaten und über 2.000 Wettstuben gibt – bei rund 6,8 Millionen Einwohnern im Land. Und das Institut für Öffentliche Gesundheit gab bekannt, Serbien habe die meisten Wettstuben pro Kopf auf dem Balkan und mehr als 50 Prozent der Einwohner des Landes hätten Glücksspiel-Erfahrung versucht.

Glücksspiel in Serbien allgegenwärtig

Die Serbische Sängerin Severina Vučković
Auch Stars wie die serbische Sängerin Severina werben fürs Glücksspiel. Bildrechte: IMAGO / Pixsell

Man muss kein Wissenschaftler sein, um zumindest eine der Ursachen für die alarmierend wachsende Anzahl von Glücksspielsüchtigen zu erkennen: Auf die verlockend glitzernden Wettstuben und Spielstätten trifft man buchstäblich auf Schritt und Tritt. Und das nicht nur auf der Straße, sie sind allgegenwärtig, werben überall, sponsern alles Mögliche und protzen auf Trikots der serbischen Nationalmannschaften und der größten Sportklubs.

So war der Wettanbieter Mozzart zum Beispiel einer der Sponsoren der serbischen Fußballnationalmannschaft in Katar, sponsert den Basketball- und den Volleyballverein Serbiens und ist Hauptsponsor des Basketballclubs Partizan – auf den Trikots der Basketballspieler prangt dann natürlich der Schriftzug "Mozzart".

Für Mozzart werben auch serbische Schauspieler-Stars wie der legendäre, weltweit bekannte Rade Šerbedžija (Mission: Impossible II, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1, Downton Abbey), Miloš Biković oder die kroatische Sängerin und "eine der schönsten Frauen der Welt" Severina. Den Hollywoodstar Šerbedžija sieht man im Fensehen beispielsweise im Casino mit leuchtenden Spielautomaten in Gesellschaft bildhübscher, dürftig angezogener junger Frauen, wie er das Leben, so scheint es, so richtig genießt. Und wenn er und all die bekannten Sportler fürs Zocken werben, da, könnte man meinen, kann doch nichts Falsches dabei sein. Vor allem Teenager machen diesen Denkfehler.

Automatencasinos und Wettbüros sind in der serbischen Hauptstadt Belgrad allgegenwärtig.
Zwei Gücksspieleinrichtungen im gleichen Haus: MaxBet und Mozzart. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wettbüro sponsert Gesundheitsministerium

Am bizarrsten war es jedoch, als die Mozzart-Stiftung vor einigen Tagen als Sponsor eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit mit dem serbischen Gesundheitsministerium unterzeichnete. Der Glücksspielanbieter will Inkubatoren oder Mammographiegeräte spenden. Als die Gesundheitsministerin Danica Grujičić strahlend in die laufenden Kameras lächelt, erscheint das wie eine gute Werbung für Mozzart.

Das machte die oppositionelle Politikerin Mila Popović von der Partei der Freiheit und Gerechtigkeit (SSP) richtig wütend. Wenn die Gesundheitsministerin wisse, dass es in Serbien über 300.000 Glücksspielsüchtige gebe und dass Wettstuben das Leben von rund 900.000 Menschen, den Angehörigen von Spielsuchtopfern, zerstören würden – warum promote sie dann den Wettanbieter Mozzart, fragte sie. Allein in Belgrad hielten sich Glücksspielanbieter im Umfeld von 30 Schulen nicht an die gesetzlich vorgeschriebene Mindestentfernung von 200 Metern, merkte Popović an – es geschehe diesbezüglich gar nichts.

Mächtige Glücksspiel-Lobby

Einzelne Studien zeigen, dass die steigende Anzahl der glücksspielsüchtigen Teenager in Serbien sehr wohl mit der massiven Werbung zu tun hat. Trotzdem stieß der Appell der Präsidentin der Serbischen Psychologenvereinigung, Prof. Tamara Džamonja Ignjatović, die Werbung für Glücksspiel zu verbieten und Wettstuben und Spielsalons von Schulen fernzuhalten, auf taube Ohren.

Dass solche Appelle bei Politikern nicht ankommen, könnte auch mit Lobbyismus zu tun haben. Wie mächtig die Lobby der Glücksspielanbieter ist, wie vernetzt sie mit Entscheidungsträgern sind, zeigte sich nicht zuletzt während der Corona-Pandemie, als ihre Lokale trotz des strengen und langen Lockdowns fast die ganze Zeit über arbeiten durften. Und es gibt derzeit kaum Anzeichen dafür, dass der Einfluss der Glücksspiellobby sich bald verringern könnte.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 12. Mai 2022 | 21:00 Uhr

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