Extreme Dürre in Ungarn Wird die Puszta zur Wüste?
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28. Juli 2022, 04:56 Uhr
Der Klimawandel ist auch in Ungarn spürbar: die Temperaturen steigen, Niederschläge werden unregelmäßiger und die Niederschlagmenge unvorhersehbarer. Besonders hart trifft die diesjährige Dürre die Bauern in der Puszta, einer Tiefebene im Osten des Landes. Doch die Trockenheit in der Region ist nicht nur eine Folge des Klimawandels, sondern auch der intensiven Landwirtschaft selbst.
Schon die letzten Jahre waren in Ungarn ungewöhnlich trocken. Als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung galt bereits das vergangene Jahr: 2021 ging als eines der trockensten Jahre der letzten 120 Jahre in die Geschichte ein. Es regnete 20 Prozent weniger als üblich. Doch dieses Jahr scheint noch trockener zu werden. Schon jetzt ist von einer extremen Dürre die Rede. Die Wasserstände mehrerer größerer Flüsse, unter anderem der Theiß und des Eipels, sind auf ein Rekordtief gesunken und zahlreiche kleinere Seen ausgetrocknet.
Besonders extrem ist die Dürre in der Puszta, erklärt Klára Kerpely, die Klimaexpertin des World Wide Fund for Nature (WWF) Hungary: "Bereits der Winter war in diesem Jahr sehr trocken. In einigen Gebieten der Puszta ist in diesem Jahr weniger als die Hälfte der üblichen Niederschläge gefallen. Es gibt Orte, wo die fehlende Niederschlagmenge sogar 150-250 mm erreicht. Das ist eine besonders große Menge, in der Puszta liegt der Jahresdurchschnitt bei etwa 500 mm", erklärt die Expertin.
Große Dürre, kleine Ernte
Gerade die Landwirtschaft trifft die Trockenheit hart. Die Bauern in der Puszta müssten mit einer "tragisch schlechten" Weizenernte rechnen, teilte der Vorsitzende des Nationalen Verbands der Getreideerzeuger (GOSZ), Tamás Petőházi, im Juli mit. In der Puszta sei eine Getreideproduktion zwischen 2 und 4 Tonnen je Hektar zu erwarten, was tief unter dem Landesdurchschnitt der vergangenen Jahre (4,5-5 Tonnen je Hektar) liegt.
Die zu erwartenden Ernteeinbußen in Ungarn gehen an der Wirtschaft des Landes nicht spurlos vorbei. Schließlich macht Landwirtschaft gut 4 Prozent des ungarischen BIPs aus, mehr als fünfmal so viel wie in Deutschland. Und auch auf dem europäischen Markt dürften die Folgen spürbar werden: 2021 entfiel 2,1 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Produktion der EU auf Ungarn. Nach Angaben des nationalen Statistischen Zentralamtes ist dieser Anteil bei einzelnen Produkten sogar höher: 4,9 Prozent bei Getreide, und bei Mais gar 11 Prozent.
Nackte Zahlen, denen jedoch ein großes Risiko innewohnt: Denn fällt neben dem ukrainischen künftig auch das ungarische Getreide für den Export weg, könnte das den Warenmangel sowie den Preisanstieg bei Getreideprodukten in ganz Europa weiter vorantreiben. Gleiches gilt für Mais, der oft als Futtermittel, beispielsweise für Rinder, genutzt wird. Bleibt der Export aus Ungarn aus, dürfte sich das auch auf den Preis von Milchprodukten in der gesamten EU auswirken.
Ungarn könnte "Wassersupermacht" sein
Regen könnte die Dürre in der Puszta und ihre globalen Folgen zumindest ein bisschen abmildern. Das dieser solange ausblieb, ist auch eine Folge des Klimawandels, der die Niederschlagsbedingungen in der Puszta zunehmend verändert. Doch nicht nur der ausbleibende Regen, auch die Landwirtschaft selbst sei für die extreme Dürre verantwortlich, meint Klára Kerpely. Ungarn liegt im Karpatenbecken, wo das Klima von Natur aus regenarm ist. Die potenzielle Verdunstung ist hier höher ist als die Niederschlagsmenge. Lange Jahre sorgte das Hochwasser der Flüsse für die Bewässerung der umliegenden Landflächen – bis in Ungarn damit begonnen wurde, die Flussläufe zu regulieren.
Mit diesen Eingriffen sollte Hochwasser vermieden und neue wirtschaftliche Nutzfläche gewonnen werden, doch daraus folgten auch negative Konsequenzen: "Aufgrund der Flussregulierung wird dieses überschüssige Wasser zwischen den Dämmen ins Schwarze Meer geleitet. Das Gleiche gilt für das Binnenwasser, das über ein ausgedehntes Netz von Kanälen ebenso in die Flüsse geleitet wird", erklärt Klára Kerpely. All dies habe dazu geführt, dass das Karpatenbecken heute viel trockener ist, als es trotz der Auswirkungen des Klimawandels sein müsste.
Dabei hätte es das Land selbst in der Hand, etwas gegen seine trockenen Böden zu tun, findet Kerpely: "Ungarn könnte eine 'Wassersupermacht' sein, aber das Land verwaltet dieses Vermögen nicht." Denn die Menge des überschüssigen Wassers, das entweder als Hochwasser aus der Bergen oder als Regenwasser aus künstlichen Kanälen in die Flüsse und von dort aus dem Land fließt, ist enorm, wie die Klimaexpertin weiß: "Sie beträgt das Dreifache der Wassermenge des Plattensees.".
Klimaexpertin: "Ackerbau untergräbt die Selbsterhaltung von Landschaften"
Die Art der großflächigen Landwirtschaft, die in Ungarn bislang praktiziert wurde, ist nach Ansicht der Expertin nicht mehr nachhaltig: "Indem wir immer mehr Ackerkulturen anbauen, untergraben wir die Selbsterhaltung von Landschaften, die dazu beitragen würde, dass die Landschaft auf den Klimawandel reagieren und ihre Fruchtbarkeit erhalten könnte", sagt Kerpely.
Dazu kommt, dass ein nachhaltiger und schonender Umgang mit den kostbaren Wasserressourcen bei großflächiger und intensiver Landwirtschaft kaum möglich ist. Denn die Landschaftsstruktur in der Puszta ist dominiert von Ackerland, was die Aufrechterhaltung einer künstlichen Bewässerung erforderlich mache. Dabei war das nicht immer so: Lange Zeit fanden sich in der Puszta auch zahlreiche Wälder, Wiesen, Sümpfe, Schilfgebiete und Fischteiche, die als Wasserspeicher auf natürliche Weise dazu beitrugen, die Trockenheit zu verringern. Doch vielerorts mussten sie landwirtschaftlichen Anbauflächen weichen.
Klimaexpertin Kerpely ist der Meinung, dass die Entwicklung auch maßgeblich von der gemeinsamen Agrarpolitik der EU befeuert wird. Diese macht mehr als 30 Prozent des EU-Haushalts aus, und der größte Teil davon fließe in die einheitliche Flächenprämie, die die Erhaltung von großen Ackerflächen unterstütze. "Ökosystemleistungen - Wasserschutz, biologische Vielfalt, Bodenschutz - sollten viel stärker in den Vordergrund gerückt werden, und die lokalen Gegebenheiten in den verschiedenen Regionen Europas sollten mehr beachtet werden", findet die WWF-Expertin.
Ein Weckruf für die Bevölkerung
Die ungarische Agrarpolitik hat bisher keine umfassende Strategie entwickelt, wie sie dem Problem der hausgemachten Trockenheit in Zukunft entgegentreten will. Klar ist, das die Verhältnisse, die in den vergangenen 200 Jahren in der Puszta geschaffen wurden, nicht über Nacht verändert werden können. Doch die diesjährige Dürre hat den Fokus vieler Ungarn für Themen wie Wasserversorgung geschärft. Bilder von ausgetrockneten Flüssen und Seen und von der Trockenheit ruinierter Ernte bewegen viele Menschen im Land und haben zu einer öffentliche Debatte geführt.
Und mancherorts nehmen engagierte Ungarn den Kampf gegen die Dürre gar selbst in die Hand. In der besonders trockenen Region Homokhátság experimentieren einige Bauer seit Jahren damit, mit dem Wasser aus dem dortigen Kanalnetz ihre Felder zu überschwemmen. Erste Ergebnisse stimmen optimistisch: Durch die künstliche Flut nahm der Feuchtigkeitsgrad der Böden tatsächlich zu, infolgedessen stieg der Ernteertrag und auch die Biodiversität hat in der Gegend wieder zugenommen. Ein Projekt, das Schule machen und ein ersten Ansatz zur Bekämpfung der extremen Dürre in Ungarn sein könnte.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell Radio | 23. Juli 2022 | 07:15 Uhr