Mähdrescher in Kornfeld in der Ukraine
Kornfelder soweit das Auge reicht. Ein Schatz, den die Ukraine seit Russlands Angriff kaum mehr heben kann. Bildrechte: IMAGO/YAY Images

Russlands Krieg Ukrainische Landwirte kämpfen ums Überleben

07. Juni 2022, 15:36 Uhr

Russlands Krieg stellt den Status der Ukraine als Agrar-Supermacht in Frage. Weil die Getreide-Exporte blockiert sind, bangen die ukrainischen Bauern um ihre Existenz. Gleichzeitig beschlagnahmt Russland in den besetzten Gebieten tonnenweise ukrainisches Getreide und exportiert es selbst.

Fotomontage Mann vor Fahne
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Als Ihor Schumejko vor ein paar Jahren einen alten Landwirtschaftsbetrieb in der Nähe von Odessa übernahm, schaute er mal hoffnungsvoll, mal besorgt gen Himmel. Wie viel Regen im Frühling und vor allem im Sommer von dort herunterfiel, bestimmte den Ertrag seiner Felder. In den vergangenen Jahren lief es gut für den Ukrainer. Er vergrößerte seine Farm von 300 auf 2.500 ha, kaufte Traktoren und Mähdrescher, baute eigene Silos für die Lagerung. Auf seinen Feldern wachsen Sonnenblumen, Weizen, Raps und sogar Kichererbsen.

Doch zuletzt sind seine Blicke gen Himmel zusehends besorgter - und das nicht, weil es an Regen fehlt. Vor ein paar Wochen, erzählt Schumejko, fiel eine russische Bombe direkt neben seine Farm. "Ich war gerade auf dem Feld mit der Aussaat beschäftigt, als es passierte." Das Geschoss verfehlte sein Haus nur knapp. Scheiben zersplitterten, doch Technik und Silos blieben unversehrt. "Auch beim Nachbarn fielen drei Raketen aufs Feld, sie sind aber nicht explodiert."

Traktor in der Nähe eines Feldes bei Dnipro
Ackern in Zeiten des Krieges. Die Bauern in der Ukraine haben jetzt einen lebensgefährlichen Job. Bildrechte: IMAGO / Agencia EFE

Exportwege blockiert

Der Krieg hat Schumejkos Arbeit verändert. Nicht nur weil er nun jeden Tag Angst vor neuen Angriffen haben muss. "Wir haben vor allem für den Export gearbeitet", erklärt der Bauer. Noch im vergangenen Herbst holten LKW Weizen oder Sonnenblumen direkt aus seinen Silos ab und brachten sie in den Hafen von Odessa. Von dort ging es per Schiff nach Nordafrika. Im Gegenzug kamen Düngemittel aus der ganzen Welt. Doch seit Russland einen Feldzug gegen die Ukraine führt, sind die Häfen blockiert. Zudem haben russische Raketen bei Odessa eine wichtige Eisenbahnbrücke Richtung Rumänien zerstört. Seine Ernte, fürchtet Schumejko, wird er in diesem Jahr wohl deutlich billiger an ukrainische Händler verkaufen müssen.

So wie Schumejko geht es derzeit vielen ukrainischen Landwirten. In den vergangenen Wochen haben viele von ihnen teils unter Lebensgefahr Getreide für die kommende Ernte ausgesät. "Manche Landwirte sind mit Helm und schusssicherer Weste aufs Feld gefahren, weil sie die Pacht für ihre Felder bezahlen müssen und sich einen Ernteausfall nicht leisten können", sagt Roman Grinischin, der in der Ukraine landwirtschaftliche Unternehmen berät. Blockierte Logistik, verminte Felder, knappe Treibstoffvorräte und fehlende Düngemittel treiben eine Branche um, die etwa zehn Prozent zur ukrainischen Wirtschaftsleistung beisteuert. Im Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil bei unter einem Prozent.

Landkarte der Ukraine und Weizen
Die Ukraine versinkt fast in ihrem Getreide. Die Speicher sind noch von der letzten Ernte voll, weil Russland die Exportwege blockiert. Bildrechte: IMAGO / Steinach

Das größte Problem sind die verstopften Exportkanäle. In guten Monaten liefert die Ukraine etwa fünf bis sieben Millionen Tonnen Getreide, meistens über die Schwarzmeer-Häfen, an Länder in Nordafrika, im Nahen Osten oder nach China. Weil Russland die Seewege blockiert, sind die Exporte deutlich eingebrochen. Derzeit können ukrainische Händler das Getreide nur per LKW oder Bahn in europäische Häfen bringen. Doch die Kapazität des Landweges ist begrenzt. Zuletzt beliefen sich die Ausfuhren auf eine Million Tonnen im Monat.

Händler drücken die Abnahmepreise

Der Branchenverband der ukrainischen Getreidehändler in Kiew schätzt aktuell, dass die Ernte der wichtigsten Kulturen wie Weizen, Mais und Gerste im Herbst trotz aller Kriegswirren 52 Millionen Tonnen betragen wird, gegenüber etwa 80 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr. Das übersteigt den inländischen Verbrauch um ein Vielfaches. Zudem lagern seit vergangenem Herbst noch etwa 20 Millionen Tonnen Getreide in den Silos. Demgegenüber schätzt der Verband die aktuelle Exportkapazität wegen der blockierten Häfen auf maximal 18 Millionen Tonnen. Lieferungen nach Europa per Zug, wie sie zuletzt die Deutsche Bahn auf den Weg gebracht hat, wirken da nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

Andrej Polischjuks Felder und Technik sind bislang vom Krieg verschont geblieben. Auf mehr als Tausend Hektar baut er im Gebiet Winniza in der Westukraine Mais, Weizen und Raps an. Die Kampfhandlungen sind Hunderte Kilometer entfernt. Und doch fürchtet er um seine Existenz. Vor einem Jahr habe er für die Tonne Mais etwa 250 Euro von den Händlern bekommen. Weil die Exporte stocken, ist die Nachfrage jedoch gering. "Wie soll ich im Herbst meine Ernte verkaufen, wenn kein Markt dafür da ist", fragt der Ukrainer. Einige Händler versuchten, so Polischjuk, den Preis auf die Hälfte des Niveaus vom vergangen Jahr zu drücken. "Sie wissen, dass die Lager begrenzt sind und wir verkaufen müssen." Auf der anderen Seite sind Technik, Dünger und Treibstoff deutlich teurer geworden, mitunter doppelt so teuer, klagt Polischjuk. Ernten will er trotzdem; er hofft, dass sich die Lage im Herbst verbessert.

Peace-Symbol auf einem Acker bei Erfurt
Mit dem Grubber hat ein Landwirt bei Erfurt ein riesiges Friedenszeichen auf seinen Acker gezogen - Solidarität mit der Ukraine. Bildrechte: IMAGO/Steve Bauerschmidt

Weltweite Folgen

Das ukrainische Getreide-Problem betrifft aber nicht nur die Bauern in der Ukraine. Weltweit sorgt es dafür, dass die Preise für Weizen oder Mais zuletzt auf den höchsten Stand seit etwa 15 Jahren gestiegen sind - allein seit Februar zwischenzeitlich um etwa 40 Prozent. Eigentlich liegt der Anteil der Ukraine an der weltweiten Getreideproduktion, die etwa 2,2 Milliarden Tonnen beträgt, bei weniger als einem Prozent. Da die Ukraine jedoch hauptsächlich für den Export anbaut und nur einen Bruchteil zu Hause verbraucht, ist der Einfluss der Ukraine auf die Weltmarktpreise riesig, vor allem bei Weizen und Mais. Etwa 10 Prozent des Weizens und 14 Prozent des international gehandelten Maises stammen aus der Ukraine. Fällt diese Menge weg, steigen die Preise auf der ganzen Welt. Experten der Vereinten Nationen schätzen, dass in diesem Jahr wegen des Krieges zusätzliche 30 bis 50 Millionen Menschen nicht genügend Geld haben werden, um sich mit Nahrung einzudecken.

Verschiedene Brotsorten im Angebot einer Bäckerei auf dem Viktualienmakt
Auch hierzulande ist Brot teurer geworden. In anderen Weltregionen droht wegen der Getreidekrise in der Urkaine Hunger. Bildrechte: IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Die Lösung liegt allein in Moskau

Der Schlüssel für die Lösung des Problems liegt bei Russland. Aktuell verhandelt nicht nur die UN, sondern auch die Türkei mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Russland soll einen Korridor für den Export von Getreide aus der Ukraine freigeben. Russland seinerseits verlangt im Gegenzug eine Lockerung der Sanktionen. Türkische Medien berichteten am Donnerstag, dass die Türkei bei Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine vermitteln will. Branchenkenner bleiben skeptisch, ob eine Einigung mit Russland und ein von Moskaus Militär gewährter Korridor tatsächlich Exporte in nennenswerter Höhe erlauben würde.

Russland macht in den von ihm besetzten ukrainischen Gebieten derweil Nägel mit Köpfen. Satellitenbilder des US-amerikanischen Unternehmens Maxar Technologies haben zuletzt gezeigt, dass Russland offenbar tonnenweise Getreide aus dem besetzten Süden der Ukraine auf die von Russland schon 2014 annektierte Krim bringen lässt. Mindestens zwei Schiffsladungen sollen von dort nach Syrien verfrachtet worden sein. Die Chancen für eine Einigung zwischen Moskau und Kiew auf sichere Export-Korridore für ukrainisches Getreide stehen damit denkbar schlecht.

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Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell Fernsehen | 06. Juni 2022 | 19:30 Uhr

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