Neuer Bibliotheksentwicklungsplan Thüringen: Wenn eine Bibliothek die Kneipe ersetzt
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07. März 2024, 11:57 Uhr
Die Anforderungen an öffentliche Bibliotheken in Thüringen haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Sie dienen im Freistaat als zentrale Pfeiler einer Gesellschaft, die Integration, Bildung und gesellschaftliche Teilhabe fördern. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle Bibliotheksentwicklungsplan, der nun in Marksuhl vorgestellt wurde. Doch die technische Ausstattung bleibt weiterhin eine Baustelle.
- Bibliotheken sind in Thüringen vor allem im ländlichen Raum wichtige Orte der Begegnung.
- Für viele sind die Einrichtungen im Alltag zu weit entfernt – digitale Angebote sollen Abhilfe schaffen.
- Laut aktuellem Bibliotheksentwicklungsplan besteht besonders bei Personal und IT Handlungsbedarf.
Vom neuesten Buch eines Youtubers über Smartphone-Treffs für Rentner zu Leseförderung und Kulturveranstaltungen – Thüringens Bibliotheken sind seit 2015 stark zu Orten gesellschaftlichen Zusammenhalts geworden. Sie spielen eine entscheidende Rolle in der Bildungs- und Kulturinfrastruktur des Freistaates, sagte Kulturstaatssekretärin Tina Beer bei der Vorstellung des aktuellen Bibliotheksentwicklungsplans (BEP) am Mittwoch in Marksuhl.
Wenn wir uns den ländlichen Raum anschauen, sind Bibliotheken häufig ein ganz wichtiger Anker. Es gibt vielleicht manchmal keine Kneipe mehr, aber eben eine Bibliothek, in der man sich treffen kann.
Dabei gehe es auch um Chancengleichheit: "Wenn wir uns den ländlichen Raum anschauen, sind Bibliotheken häufig ein ganz wichtiger Anker. Es gibt vielleicht manchmal keine Kneipe mehr, aber eben eine Bibliothek, in der man sich treffen kann", betonte Beer im Gespräch mit MDR KULTUR.
In die Zukunft von Thüringer Bibliotheken investieren
Insgesamt gibt es im Freistaat den Angaben nach 243 Bibliotheksstandorte. Rund 1,75 Millionen Thüringerinnen und Thüringer hätten damit in ihrem nahen Umfeld Zugang zu einer öffentlichen Bibliothek. Für fast 17 Prozent der Bevölkerung sind die Einrichtungen dagegen zu weit entfernt, um sie im Alltag zu erreichen. Eine Aufgabe laut BEP ist es deshalb, landesweit nutzbare digitale Angebote weiter auszubauen und dass Kommunen untereinander stärker zusammenarbeiten.
Bei dem aktuellen Bibliotheksentwicklungsplan handelt es sich um eine Fortschreibung des 2015 veröffentlichten Strukturpapiers. Seitdem hätten sich die Anforderungen an Bibliotheken stark gewandelt. "Es hat sich schon viel getan: der demografische Wandel, die Migrationsbewegungen in alle Richtungen, die Abwanderung aus ländlichen Kommunen, der Zuwachs in den Städten – das sind Dinge, die sich in der Bibliotheksarbeit nun wiederfinden", sagt die Vorsitzende des Thüringer Bibliotheksverbandes Milena Pfafferott. Sie hat am BEP mitgearbeitet. "Der Plan sagt eindeutig, dass Bibliotheken Geld kosten, aber dass es eine Investition in die Zukunft ist", so Pfafferott.
Fast alle Grundschüler in Marksuhl nutzen die Bibliothek
Engagement und Ideenreichtum der Bibliothekarinnen und Bibliothekare machen dabei den Erfolg der öffentlichen Einrichtungen aus. In der Gemeinde Gerstungen nutzen fast 90 Prozent der Grundschülerinnen und –schüler die Bibliothek, sagt Leiterin Andrea Jäger: "Das Rezept ist tatsächlich, dass man auf die Nutzer zugeht. Die Kinder erreichen wir so gut, weil wir in die Schulen gehen." So fahre man beispielsweise regelmäßig dienstags eine Bücher- und Medienkiste in die Schule des Nachbarorts. Die Kinder können vorab ihre Wünsche äußern und im Onlinekatalog stöbern. "Somit erreichen wir auch Kinder, bei denen das Elternhaus nicht so dahintersteht", so Jäger.
Der Trick sei es einfach, immer im Gespräch zu bleiben. "Die Kinder fragen nach irgendeinem aktuellen Youtuber, der uns vielleicht gar nicht bekannt ist, weil wir nicht ständig auf diesen Kanälen unterwegs sind. Aber wenn sie fragen, wird das sofort aufgeschrieben", erzählt die Bibliotheksleiterin. "Ich schaue, ob es von dem auch Bücher gibt und was der so gemacht hat und dann nehmen wir das in den Bestand auf." Eines zeigt auch der BEP deutlich: Am meisten werden in Thüringen immer noch gedruckte Bücher ausgeliehen.
Bibliotheken in Thüringen kämpfen mit Unterfinanzierung
Doch Engagement allein reicht nicht. Laut Bibliotheksentwicklungsplan besteht vor allem beim Personal Handlungsbedarf. Knapp 300 Vollzeitstellen wiesen die Einrichtungen aus. Alleine mit den rund 200 Ehrenamtlichen werde die Zukunft nicht zu stemmen sein, hieß es. Die Leiterin der Landesfachstelle für öffentliche Bibliotheken in Thüringen, Sabine Brunner, greift zur Untermalung auf Märchen zurück: Mit dem "Drachen der Unterfinanzierung" hätten Bibliotheken zu kämpfen.
Milena Pfafferott vom Thüringer Bibliotheksverband sieht die Wahlen in diesem Jahr als die zentrale Herausforderung. "Die Kommunalwahlen fast noch mehr als die Landtagswahlen. Das wird für uns als Bibliotheken, aber auch die gesamte Gesellschaft, glaube ich, eine noch nicht abzuschätzende Herausforderung sein, wie sich das entwickeln wird und was das wiederum an Konsequenz bringt für die Kultur und Bildungslandschaft", sagte Pfafferott MDR KULTUR.
Für die Finanzierung sind die Kreise, Städte und Gemeinden zuständig. Der Freistaat unterstützt jedoch. Im vergangenen Jahr flossen laut Staatskanzlei 821.000 Euro in Projekte für Leseförderung, digitale Ausstattung der Bibliotheken und die Landesfachstelle.
Nicht in jeder Thüringer Bibliothek gibt es WLAN
Dank der Fördermittel des Landes konnten Thüringer Bibliotheken in den vergangenen acht Jahren vielerorts schon digital nachrüsten. Doch es bleiben Lücken, insbesondere bei der technischen Ausstattung ist man noch nicht auf der Höhe der Zeit. Weniger als die Hälfte verfügten 2022 laut Entwicklungsplan über eine IT-Ausstattung. Knapp ein Drittel bot WLAN an. Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur sei heutzutage jedoch unabdingbar, hieß es weiter. Dazu gehörten neben leistungsfähigem Internet auch moderne Bezahlsysteme.
Quelle: MDR KULTUR (Linda Schildbach)
Redaktionelle Bearbeitung: vp
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Nachmittag | 07. März 2024 | 17:10 Uhr