Westthüringen Alltag in der Grenzkaserne: So leben Flüchtlingsfamilien in der Gemeinschaftsunterkunft Gerstungen
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30. Dezember 2024, 11:57 Uhr
Rund 180 Menschen leben in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Gerstungen im Wartburgkreis, mehr als ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche. Viele Familien wohnen dort schon ein Jahr und länger. Extrem belastend und hinderlich für die Integration, findet Bürgermeister Daniel Steffan (CDU). Nicht ideal, heißt es beim Landkreis - aber durchaus in Ordnung. Der Wohnungsmangel behindere dezentrale Lösungen.
- Die Grenzkaserne in Gerstungen bietet Platz für bis zu 208 Menschen, darunter Familien und Alleinstehende, und wird rund um die Uhr bewacht.
- Mehr als ein Drittel der Bewohner sind Kinder und Jugendliche.
- Viele Bewohner hoffen auf eine baldige dezentrale Unterbringung.
Bunte Quadrate lockern die helle Fassade der Grenzkaserne auf. Abseits am Dorfrand liegt sie am Hang, das Gelände ist eingezäunt und wird rund um die Uhr von einem Sicherheitsdienst bewacht. 2015 wurden zusätzlich Container aufgestellt. Damit können hier bis zu 208 Menschen untergebracht werden. Im Haus leben Familien, in den Containern Alleinstehende sowie drei Großfamilien mit fünf und mehr Kindern.
Mitte Dezember sind mehr als ein Drittel der rund 180 Bewohner Kinder und Jugendliche, 27 von ihnen jünger als sechs Jahre. Für sie wurde ein Spielzimmer im Erdgeschoss eingerichtet, das sie nur gemeinsam mit ihren Eltern nutzen dürfen, dann wird es aufgeschlossen. Auf jeder Etage gibt es eine Gemeinschaftsküche mit jeweils vier Herden und Spülen sowie Sanitärtrakte für Männer und Frauen. Die Frauen dürfen auf der Etage duschen, die Männer müssen dazu in den Keller gehen.
Wie es für die Kinder ist, hier zu leben? "Die kommen viel schneller in Kontakt als die Eltern", sagt Heimleiter Torsten Cyrus. Ein Mann aus Ägypten, der bereits seit 15 Jahren im Heim zuhause ist, stellt nur kurz fest: "Für Familien ist es nicht schlecht hier - geht. Aber besser ist eine Wohnung."
Deutsch sprechen und bald ausziehen
Seit einem halben Jahr wohnt eine Frau aus dem Iran mit ihrer Tochter in einem schmalen Zimmer. Rechts und links vom Fenster die Betten. Jacken, Pullover und Blusen hängen offen auf Kleiderstangen. Am Fenster lehnt ein Adventskalender. Die Unterkunft an sich sei an gut, sagt die Mutter, nur die Anbindung an den Ort und nach Eisenach schwierig.
Die Tochter müsse sehr früh raus, um den Zug zur Schule zu bekommen. Ansonsten bleibe das Kind viel im Zimmer, der Kontakt zu den anderen Kindern sei wegen der Sprache schwierig. Was sich das Mädchen für die Zukunft wünscht? Deutsch sprechen können, sagt sie - und sobald wie möglich ausziehen aus der Gemeinschaftsunterkunft.
Fußball spielen in einer Mannschaft
Eine Etage höher geht es etwas turbulenter zu. Die Söhne einer syrischen Familie haben auf dem Flur den Kreisbeigeordneten Martin Rosenstengel (CDU) angesprochen, sie wollen Fußball spielen. "Im Verein", fragt er, "in einer Mannschaft?" - "Ja, in einer Mannschaft", sind die Jungen begeistert. Rosenstengel verspricht, sich darum zu kümmern.
Tatsächlich gibt es ein wöchentliches Angebot des Kreissportbunds für die Gemeinschaftsunterkunft in Kooperation mit der Grundschule. Allerdings stehen dafür lediglich acht Plätze zur Verfügung, ausschließlich für Grundschüler. Der Bedarf ist höher. Im Sommer können sie auf ihrem eigenen Sportplatz oberhalb der Containerbauten spielen. Und in einer der ehemaligen Garagen der Kaserne steht eine Tischtennisplatte.
Es ist natürlich nicht ideal.
Die syrische Familie wohnt bereits seit einem Jahr zu fünft in einem großen Raum. Sie haben ihn mit Metallspinden geteilt, auf denen sich ihr Gepäck in Plastik verpackt stapelt. Zu wenig Platz, sagt die Mutter und die Söhne übersetzen. Sie hoffen ebenfalls darauf, die Unterkunft bald für eine größere Wohnung oder ein Haus verlassen zu können. Nach Syrien zurück wollen sie nicht - "zu viele Probleme dort".
"Extrem belastend" für Familien
Die Flüchtlinge sind Einwohner von Gerstungen, Daniel Steffan (CDU) versteht sich auch als ihr Bürgermeister. Er schätzt die Arbeit, die der Leiter und sein Team leisten, sie geben ihr Bestes, sagt Steffan, auch die Mitarbeitenden des Landratsamtes. Ihn beschäftigen vor allem die Kinder in der Gemeinschaftsunterkunft.
Das geballte Zusammenleben sei extrem belastend für Familien, sagt der Bürgermeister. "Wenn ich mir vorstelle, ich müsste mit meinen Kindern auf solch beengtem Raum leben und auch noch in einem Umfeld, wo man permanent mit Fremden konfrontiert ist, wo man nicht weiß: muss ich mir Sorgen machen oder nicht - das ist nicht gut."
Dabei seien gerade Kinder der Schlüssel zur Integration: Viel schneller als Erwachsene lernten sie Sprache und Gepflogenheiten. Steffan ist Anhänger des dänischen Einwanderungssystems - klare Regeln, feststellen, wer sich integrieren will - und diejenigen nach Kräften fördern. Wenigstens Flüchtlinge mit einer klaren Bleibeperspektive solle man doch besser schnell dezentral unterbringen, fordert der Bürgermeister, und so ihre Integration voranbringen.
Nur für den Übergang gedacht
Der Kreisbeigeordnete Martin Rosenstengel (CDU) kennt die Kritik. Die Gemeinschaftsunterkunft sei an sich nur für kurze Aufenthalte vorgesehen, "idealerweise nur wenige Wochen". Das aber klappe leider nicht immer, weil es an Wohnungen fehle. Vor allem für größere Familien seien sie schwer zu finden. Die ehemalige Kaserne hält er durchaus geeignet für Familien, auch wenn er einräumt: "Es ist natürlich nicht ideal."
Dabei sieht Rosenstengel auch Vorzüge in der zentralen Unterbringung: Dort sei eine intensive Sozialbetreuung möglich, es gebe regelmäßige Behördentermine vor Ort, so dass die Asylbewerber nicht aufs Amt müssten. Für den Ankunftszeitraum, die ersten Monate, sei das durchaus gut. Anschließend hält auch der Kreisbeigeordnete die schnelle dezentrale Unterbringung in Wohnungen für wünschenswert. Warum es da klemmt?
Lieber in die Städte
Neben dem fehlenden Wohnraum führt der Rosenstengel auch die Wünsche der Flüchtlinge an, die es vor allem in Städte zieht. Der ländliche Raum sei für sie weniger attraktiv, weil er in den Herkunftsländern eher mit Rückständigkeit und Armut verbunden wurde, sagt Rosenstengel. Deshalb wollten sie vor allem nach Eisenach und Bad Salzungen - und nicht nach Vacha oder Hörselberg-Hainich.
Gerade das aber will Daniel Steffan erreichen. Ihm fehlt es im Wartburgkreis am politischen Willen, Flüchtlingen in kleineren Orten Wohnraum anzubieten. "Ich glaube, alle politischen Kräfte im Landkreis haben sich ganz gut damit arrangiert, dass sich das Thema Gemeinschaftsunterkunft in Gerstungen und Merkers ballt. Alle anderen heben die Hände, wenn es darum geht, mal eine Wohnung für Familien in Treffurt, Creuzburg oder Bad Liebenstein aufzutun."
In Gerstungen sieht er keine Möglichkeit: Die gemeindeeigenen Wohnungen seien alle belegt - und meist auch zu klein für größere Familien. Aber das sei nicht in allen Orten im Landkreis so.
MDR (rub/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 30. Dezember 2024 | 19:00 Uhr
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