"Unsere Kinder fühlen sich deutsch" Viele Menschen aus Syrien sehen ihre Zukunft in Deutschland
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12. Dezember 2024, 15:29 Uhr
Nach dem Umsturz in Syrien wird über die Rückkehr der Geflüchteten diskutiert. Doch Zehntausende Syrerinnen und Syrer sind in Deutschland bereits eingebürgert oder haben die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Sie wollen nicht so schnell in die alte Heimat zurückkehren und bitten darum, dass ihre Integrationsbemühungen anerkannt werden.
- In den vergangenen Jahren wurden Zehntausende Menschen aus Syrien in Deutschland eingebürgert.
- Zwei Syrer wünschen sich einen genauen Blick auf die Integrationsbereitschaft Geflüchteter aus ihrem Land, wenn es nun um deren Rückkehr geht.
- Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) bekräftigt seine Forderung nach schnellen Abschiebungen nach Syrien.
Mahran Asas blickt wie viele Syrerinnen und Syrer momentan hoffnungsfroh auf die Entwicklungen in seinem Geburtsland: "Jetzt haben wir die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Syrien. Auf ein Land, das wirtschaftlich stark und kulturell reich ist wie früher." Der 46-Jährige teilt den Wunsch, dass nun auch viele Geflüchtete in ihre Heimat zurückkehren können: "Viele sind nach Deutschland oder nach Europa wegen Gewalt und Krieg geflüchtet. Das ist der Moment, in dem sie in Frieden nach Hause zurückkehren können." Für sich selbst sieht Asas, der Ende 2014 nach Deutschland flüchtete, diesen Zeitpunkt allerdings noch nicht gekommen.
Asas lebt mit seiner Familie in Dresden und hat sich dort integriert. Er ist als Sozialarbeiter in einer Einrichtung für unbegleitete Minderjährige tätig, die ans Jugendamt angeschlossen ist. Seine Frau arbeitet als psychologische Beraterin ebenfalls im Sozialbereich. Sie haben zwei Kinder, die in Deutschland geboren wurden. Bereits seit 2021 sind Asas und seine Frau eingebürgert und besitzen seitdem die deutsche und die syrische Staatsbürgerschaft. "In zehn Jahren werden wir vielleicht in Rente gehen und dann nach Syrien zurückzukehren. Aber unsere Kinder, die möchten hierbleiben. Sie fühlen sich deutsch und wir zwingen sie nicht, nach Syrien zu gehen", erklärt Asas.
Zehntausende Einbürgerungen von Menschen aus Syrien
Die Familie Asas steht stellvertretend für zehntausende Syrerinnen und Syrer, die in den vergangenen Jahren in Deutschland nicht nur eine Zuflucht, sondern auch eine neue Heimat gefunden haben. Insbesondere in den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Einbürgerungen von Menschen aus Syrien stark an. Rund 143.000 Syrerinnen und Syrer wurden allein zwischen 2021 und 2023 eingebürgert. Für 2024 liegen noch keine Daten vor.
Einbürgerungen in Mitteldeutschland
Auch in Mitteldeutschland hat die Zahl der Einbürgerungen in den vergangenen Jahren stark zugenommen. In den Jahren 2022 und 2023 wurden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen insgesamt 11.412 Menschen eingebürgert – was allerdings nur einem kleinen Anteil der bundesweit rund 380.000 Einbürgerungen in diesem Zeitraum entspricht.
Auch in den drei mitteldeutschen Ländern stammten die meisten Eingebürgerten aus Syrien. Der Abstand zu anderen Nationalitäten ist dabei sehr groß. In Thüringen wurden zwischen 2021 und 2023 beispielsweise 1.775 Personen aus Syrien eingebürgert, an zweiter Stelle steht die Ukraine – als Herkunftsland von 180 Personen.
Hinzu kommt eine unbekannte aber mutmaßlich sehr hohe Zahl an laufenden Anträgen auf Einbürgerung – auch wegen der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Da die Anträge von den Kommunen bearbeitet werden, liegen dazu keine gesammelten Daten vor. Jedoch waren nach einem Bericht der "Welt am Sonntag" vom Juni dieses Jahres allein in den bevölkerungsreichsten Städten mehr als 200.000 Einbürgerungsanträge anhängig. Beim größten Teil davon dürfte es dem mehrjährigen Trend entsprechend um Menschen aus Syrien gehen.
Aufgrund der hohen Antragszahlen sind die Bearbeitungszeiten sehr lang. So teilt etwa das Innenministerium von Sachsen-Anhalt auf eine Anfrage von MDR AKTUELL mit, dass die Bearbeitungszeit zwischen acht und 30 Monaten liegt. Wer eingebürgert werden möchte, wartet dort also mitunter zweieinhalb Jahre.
Plädoyer für Blick auf die Integrationsbereitschaft
Nahe dran an dieser Frist ist Nader Raslan. Der 39-jährige Syrer lebt seit 2017 in Erfurt und stellte seinen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft bereits Ende 2022. Noch immer wartet er auf Antwort. Dass er oder andere gut integrierte Syrer jetzt ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland verlieren könnten, findet Raslan ungerecht. Viele Syrer seien seit mehreren Jahren in Deutschland, hätten sich etwas aufgebaut, "viel gemacht, viel geschafft". Hinzu kämen weitere Hürden für eine Rückkehr nach Syrien, erklärt der zweifache Vater: "Meine Kinder haben Syrien nie besucht. Sie kennen die deutsche Sprache besser als die arabische Sprache. An einer arabischen Schule kämen die gar nicht zurecht."
Manche sitzen auf der Couch. Das wollen wir nicht sehen.
Sowohl Nader Raslan als auch Mahran Asas plädieren dafür, nicht alle Geflüchteten aus Syrien gleich zu behandeln. Beide sagen von sich aus, dass es eine Gruppe von syrischen Geflüchteten gebe, denen die Integration in Deutschland nicht gelungen sei. "Die machen sich vielleicht jetzt auch mehr Gedanken als andere, nach Syrien zurückzukehren", sagt Nader Raslan. Mahran Asas spricht sich dafür aus, dass die Bundesregierung diesen Personen bei der Rückkehr nach Syrien hilft. "Sie sollen mitmachen, um unser neues Syrien aufzubauen." Im Allgemeinen ist Asas der Meinung, dass seine neue Heimat Deutschland mehr tun sollte, um Geflüchtete zur Arbeit zu motivieren. "Manche sitzen auf der Couch. Das wollen wir nicht sehen, dass die Leute hier nichts machen".
Sächsischer Innenminister will nach Syrien abschieben
Der sächsische Innenminister Armin Schuster bekräftigte indes seine Forderung, Syrerinnen und Syrer grundsätzlich in ihr Heimatland abzuschieben. Der CDU-Politiker sagte MDR AKTUELL am Dienstagnachmittag mit Blick auf den Sturz des Assad-Regimes: "Spätestens jetzt sind die Voraussetzungen da, auch dorthin abzuschieben." Schuster betonte, der subsidiäre Schutz für Syrer sei an den Bürgerkrieg in deren Heimatland gekoppelt gewesen. Dieser Grund sei nun weg.
Wir haben in Deutschland eine halbe Million Syrer, wo ich sagen würde, die sind noch nicht restlos bei uns angekommen.
Schuster erläuterte, es werde bei Abschiebungen immer um Einzelfallprüfungen gehen. Zunächst gehe es um Mehrfach- und Intensivstraftäter. "Die haben bei uns immer Vorfahrt". Darüber hinaus gebe es auch viele Syrer, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren wollten. Denen müsse man helfen. "Wir haben in Deutschland eine halbe Million Syrer, wo ich sagen würde, die sind noch nicht restlos bei uns angekommen. Die stecken im Bürgergeld fest und das teilweise seit Jahren. Eventuell sind das auch die, die sagen, ich möchte jetzt nach Hause."
Zur Bleibeperspektive gut integrierter Syrerinnen und Syrer sagte Schuster nichts. Auch die eingebürgerten Menschen aus Syrien erwähnte er nicht.
Formen des Flüchtlingsschutzes
Grundsätzlich gibt es für Flüchtlinge fünf verschiedene Möglichkeiten, in Deutschland bleiben zu können:
- Recht auf Asyl im Grundgesetz (Art. 16a GG): Möglich für politisch Verfolgte, wenn sie aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität oder politischen Überzeugung im Herkunftsstaat einer schwere Verletzung ihrer Menschenrechte ausgesetzt wären.
- Flüchtlingsschutz auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention: Ähnliche Gründe wie beim grundgesetzlichen Schutz. Hier gilt aber auch ein Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren.
- Subsidiärem Schutz: Wenn weder Flüchtlingsschutz zu gewähren oder die Asylberechtigung festzustellen ist, kann sogenannter subsidiärer Schutz zuerkannt werden. Voraussetzung: Der Person droht im Herkunftsstaat ernsthafter Schaden, etwa infolge eines Bürgerkriegs.
- Abschiebungsverbot, zum Beispiel bei schwerwiegenden Krankheiten
- Duldung, eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung, wenn die "Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist".
Integrationsbeauftragte/Mediendienst Integration
Scholz sieht noch "sehr gefährliche Situation" in Syrien
Bundeskanzler Olaf Scholz hält eine Rückkehr syrischer Geflüchteter dagegen für verfrüht. Noch gebe es in dem Land eine "sehr, sehr gefährliche Situation", sagte der SPD-Politiker am Dienstagabend in der ARD. Deutschland müsse zusammen mit anderen Staaten alles dafür tun, dass ein demokratisch geführtes Land entsteht, in dem Menschen unterschiedlicher Religionen gut zusammenleben können. "Vielleicht, wenn es gut geht, werden ja viele von sich aus sagen, dass sie am Wiederaufbau ihres Landes mit teilhaben wollen", sagte Scholz.
Migrationsforscher: Keine Rückkehrwelle zu erwarten
Der Migrationsforscher Jochen Oltmer sieht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass viele Syrerinnen und Syrer in Deutschland bleiben wollen. Es werde sicher einige Rückkehrwillige geben, wenn sich die Lage in Syrien stabilisieren sollte. "Aber diese Zahl sollte man nicht überschätzen", sagte der Professor der Universität Osnabrück der "Augsburger Allgemeinen". Zur Begründung fügte er hinzu: "Alle Erfahrungen zeigen, dass geflüchtete Menschen sehr viele Bindungen in der Ankunftsgesellschaft entwickeln." Viele Betroffene seien als Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in die Bundesrepublik gekommen, seien hier zur Schule gegangen, hätten eine Ausbildung gemacht oder sähen die Zukunft ihrer Kinder in Deutschland.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 10. Dezember 2024 | 06:34 Uhr