"Irre Geschichte" Kunstraub von Gotha: Neue Erkenntnisse über Stasi-Ermittlungspannen
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17. November 2023, 09:51 Uhr
Es war der spektakulärste Kunstraub der DDR: Aus Schloss Friedenstein in Gotha wurden 1979 fünf Gemälde entwendet, 40 Jahre lang blieben die Meisterwerke von Künstlern wie Frans Hals und Hans Holbein verschollen – trotz groß angelegter Fahndung auch der Staatssicherheit. Warum, das wollte der Journalist und Autor Mirko Krüger herausfinden. Er wälzte Unmengen von Akten, dabei stieß er auf eine "irre Geschichte" von Ermittlungspannen, wie er im Gespräch mit MDR KULTUR berichtet.
- Unglaubliche Ermittlungspannen leistete sich die Stasi nach dem Kunstraub von Gotha 1979.
- Neue Erkenntnisse darüber machte der Journalist Mirko Krüger publik.
- Statt direkten Hinweisen auf den Täter nachzugehen, wurden Museumsmitarbeiter und Angehörige der Sinti und Roma von der Stasi ins Visier genommen.
MDR KULTUR: Die Stasi hat zum Kunstraub von Gotha viele Akten angelegt. Hat sie da im Grunde ihre Erfolglosigkeit dokumentiert?
Mirko Krüger, Journalist und Autor: Genauso muss man das bezeichnen. Die Stasi hat wie die Polizei jede Menge Akten angelegt und Zwischenberichte. In diesen Zwischenberichten sind sie erstaunlich ehrlich und schätzen ein, dass sie auf der falschen Spur sind. Aber diese Einsichten, die sich aus den Ermittlungen 1980 bis 1985 ergeben, haben nicht dazu geführt, dass sie konsequenter weitergeführt wurden.
Wir schauen heute auf den Fall zurück und wissen, wer mit größter Wahrscheinlichkeit der Täter war. Aus dieser Perspektive heraus bewerte ich auch die Akten. Es gibt darin ganz viele Direktverweise zum Täter, die sind niemals verfolgt worden, das ist wirklich irre an dieser Geschichte.
Die Stasi war ein Krake, alles wurde abgehört. Wieso war dann diese Fahndung so erfolglos?
Es gibt eine ganze Reihe konkreter Ermittlungspannen, ich nenne mal drei Beispiele.
Erstes Beispiel: Man wusste, dass das Tatfahrzeug ein sogenannter P70 war, ein Vorläufer vom Trabant. Man kannte die Farbe des Fahrzeugs, man kannte die Anfangsbuchstaben des Kennzeichens, die verwiesen in den Bezirk Suhl. Aus Schmalkalden, was im Bezirk Suhl lag, stammte der Täter. Man hat damals alle Fahrzeuge, die in Frage kommen, überprüft, ist aber dem Täter nicht auf die Spur gekommen. Man wollte von jedem Fahrzeug wissen, wo es in dieser Tatnacht war. Daraufhin hat die Polizei von Erfurt die Arbeit der Suhler Polizei überprüft und festgestellt: 34 Fahrzeuge wurden überhaupt nicht überprüft, darunter war das des Täters. Die Staatssicherheit hat das Ganze wiederholt und ist auch nicht drauf gekommen, dass der Täter mit diesem Fahrzeug unterwegs war.
Zweites Beispiel: Der Täter hat Tatwerkzeug zurückgelassen, am Tatort. Er war Schmied, er hat sich das selbst zusammengeschweißt. Man hat diesen Stahl untersucht und festgestellt: Das ist eine ganz spezielle Legierung, die in der DDR nur in zwei speziellen Betrieben überhaupt eingesetzt worden ist, darunter ein Betrieb in Schmalkalden. Nun wird das Netz immer dichter.
Das Fahrzeug verweist nach Schmalkalden, der Stahl verweist nach Schmalkalden und jetzt kommt die dritte Spur, und das ist wirklich das grandiose Versagen: Bereits 1981 ist ein Krimineller zu einem Verhör bei der Staatssicherheit einbestellt. Er möchte sich reinwaschen, er möchte einen Kumpan anzinken, und er führt aus, dass Rudi B., das ist nach heutiger Annahme der Täter, der Kunsträuber, in Besitz eines alten Rubens-Gemäldes sei und versuche, es auf der Leipziger Messe an einen westdeutschen Geschäftsmann zu verkaufen. Und die Staatssicherheit hat diese Spur nicht aufgenommen.
Das Pikante dabei: Rudi B. hat niemals ein Gemälde von Rubens besessen, aber das fragliche Gemälde, um das es ging und von damaligen Zeugen eindeutig beschrieben wurde, war das Gemälde eines Rembrandt-Schülers. Und genau das wurde in Gotha gestohlen.
Allein diese drei Ansätze hätten zwangsläufig schon 1981 zum wahren Täter führen müssen. Warum sie es am Ende nicht ausermittelt haben, das verliert sich leider im Dunkel der Geschichte, aber es ist eine klassische Ermittlungspanne.
Das entzaubert ein bisschen den Mythos der allwissenden Stasi, oder?
Es gibt eine zweite Dimension in diesem Fall. Es ist ja nicht so, dass die faul waren – also eigentlich wünscht man sich rückblickend nicht, dass die Stasi besonders fleißig gewesen wäre – aber hunderte andere Personen wurden über Jahre hinweg verfolgt, bespitzelt. Es wurde zu jedem Mitarbeiter des Museums eine Akte angelegt und zu allen Mitgliedern seiner Familie. Insbesondere die Söhne gerieten in den Fokus und alle möglichen Handwerker, alle möglichen Autowerkstätten wurden überprüft, ob dort das Tatfahrzeug manipuliert wurde. Am Ende waren es Touristen, Monteure aus der Bundesrepublik, die zu diesem Zeitpunkt in Thüringen unterwegs waren.
Und dann geriet noch eine ganz spezielle Volksgruppe ins Visier: Wir sprechen heute von Sinti und Roma. In den damaligen Akten heißt es dann immer: "Zigeuner", das Wort taucht auch hunderte Male in den Akten auf. Man ist dann der Meinung, die Kunsträuber müssen aus diesem Milieu stammen und inszeniert über Jahre hinweg eine groß angelegte Spitzelaktion in diesem Milieu, um dort Täter zu finden.
Das Gespräch führte André Sittner für MDR KULTUR.
Redaktionelle Bearbeitung: JB
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. November 2023 | 14:15 Uhr