Neue Ausstellung Luther, Bach und 500 Jahre Kirchengesangbuch
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12. Juli 2024, 03:00 Uhr
Es begann 1524 mit dem "Achtliederbuch" aus Nürnberg und dem "Erfurter Enchiridion" – und es war revolutionär. Denn kirchliche Gesangbücher für die Gemeinde gab es zuvor nicht. Luthers Idee wirkte weiter, auch in Bachs Choralkantaten. Davon erzählt eine neue Ausstellung im Bachhaus Eisenach, die seit Donnerstag (11.7.) geöffnet hat. Besucher können hier unter anderem eine originale Handschrift von Johann Sebastian Bach besichtigen.
- Eine neue Austellung im Bachhaus Eisenach blickt auf die jahrhundertealte Geschichte des Gesangsbuchs.
- Dabei spielte die Zeit der Reformation eine wichtige Rolle.
- Zu den wertvollen Exponaten der Austellung zählt auch eine originale Notenschrift Johann Sebastian Bachs.
Für Jörg Hansen ist die Sache klar: Der Siegeszug des Kirchenliedes hat unmittelbar mit der Person des Reformators zu tun. Martin Luthers hohe Affinität zur Musik war es, die dem gesungenen Gotteslob in der Kirche eine ganz neue Rolle zuwies. Und das geschah vor genau 500 Jahren. Der Direktor des Bachhauses in Eisenach hat nun eine Ausstellung konzipiert, die sich diesem Jubiläum widmet und diese nach zwei Seiten hin abklopft: In die Vor- und in die Wirkungsgeschichte.
Zudem wird in der Schau noch ein weiteres Jubiläum beleuchtet, quasi als Teil der Wirkungsgeschichte. Denn vor 300 Jahren, also um 1724/ 1725, schuf Johann Sebastian Bach seine sogenannten Choralkantaten. Ein Zyklus von 52 Musikstücken, die Bach ein enormes Arbeitspensum abverlangten. In seinem zweiten Jahr als Thomaskantor in Leipzig verfolgte der Komponist die Idee, jeder dieser Kantaten einen alten Gesangbuch-Choral zu Grunde zu legen. Das war musikgeschichtlich ohne Vorbild.
Das war im Prinzip eine Revolution, denn zuvor sang der Chor auf Latein und nicht die Gemeinde auf Deutsch.
Martin Luther habe eine bahnbrechende Rolle gespielt, wenn es um Kirchengesang geht, sagt Bachhaus-Chef Hansen. Luther habe seinem Freund Spalatin geschrieben, er wolle Psalmen für das Volk und zwar in der Umgangssprache, berichtet Hansen. "Das war im Prinzip eine Revolution, denn zuvor sang der Chor auf Latein und nicht die Gemeinde auf Deutsch."
Mit Luthers Liedern wider den Papst
"Aus tiefer Not schrei ich zu Dir" lautete das erste Lied und in der Eisenacher Ausstellung lässt sich ablesen, wie schnell dieses Lied beliebt und wirkungsmächtig wurde. Denn neben einem raren historischen Druck des Textes ist auch ein alter Stich zu sehen, der den Dom in Magdeburg zeigt. Die Geschichte dazu erzählt der Theologieprofessor und Vorsitzende der Luthergesellschaft Johannes Schilling: "Die Magdeburger Chronik berichtet, dass ein Mann Liedzettel mit diesem einen Lied verkaufte, das waren Einblattdrucke. Und tatsächlich wurde der Verkäufer festgenommen. Die Obrigkeit war ja römisch-katholisch." Dann habe die evangelische Anhängerschaft den Gefangenen freigepresst – unter Absingen des Liedes.
Auch in Götingen seien im Jahr 1527 Handwerker mit jenem Lied durch die Straßen der Stadt gezogen, so Schilling. "Wenn man sich das vorstellt, wie da die Wollweber und alle anderen Handwerker sangen 'Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herrgott, erhöre mein Rufen' – das ist unüberhörbar." Dann seien sie in die Dominikanerkirche von Göttingen gegangen und hätten den katholischen Prediger niedergesungen. "Auch in Basel gab es solche Kämpfe", sagt Schilling.
Bach in der Nachfolge Luthers?
Die Kombination von Liedtext in archivarischer Form und erzählenswerter Hintergrundgeschichte dazu zieht sich als Gestaltungsprinzip durch die Ausstellung, die mit dem "Achtliederbuch" Luthers von 1524 eröffnet. Die kleine Kabinettausstellung findet in zwei Räumen im alten Fachwerkteil des Bachhauses am Frauenplan statt, also in dem Gebäude, das fälschlicherweise im 19. Jahrhundert als Bachs Geburtshaus identifiziert wurde. Sinnigerweise widmen sich die Kuratoren im zweiten Raum den Choralkantaten Bachs.
Wie Museumsdirektor Jörg Hansen und der Musikwissenschaftler Benedikt Schubert plausibel machen, dürfte sich Bachs Idee von 1724 aus einem Bewusstsein für das damals anstehende 200-jährige Jubiläum der Kirchengesangsbücher speisen. Sie greifen damit Ideen eines us-amerikanischen Bachforschers auf, der schon vor Jahren die These vertrat, dass Bach nicht völlig autonom agierte, sondern einen äußeren Anlass aufgriff.
"Wir haben einen Librettisten, den kennen wir nicht. Wir haben einen Komponisten, das ist Bach. Und dann gibt es aber auch noch eine Person Nummer drei – und das muss ein Superintendent oder Geistlicher der Zeit gewesen sein", spekuliert Benedikt Schubert. Dieser müsse gesagt haben: "Wir machen einen Choralkantaten-Jahrgang."
Details aus der Frühzeit der Hymnologie
Für diese These spricht, dass bereits kurz nach 1700 aus Leipzig Liedpredigten überliefert sind. Gehalten wurden sie von einem Vorgänger Bachs in Leipzig zu den Liedern des Evangelischen Gesangbuches. Benedikt Schubert verweist auch auf die verschiedenen Schriften und Interpretationen aus der Frühzeit der Hymnologie, also der Kirchenliedforschung, die damals gerade ihren Anfang nahm und von der einiges auch Bach bekannt gewesen sein dürfte. Auch davon erzählt die Ausstellung mit teils erstaunlichen und erhellenden Bezügen. Und natürlich – auch die Musik kommt nicht zu kurz bei dieser Ausstellung – abrufbar an den Audiostationen.
Flachware mit Tiefgang
Eines der wertvollsten Objekte der Ausstellung ist auch der Grund, warum sie nur bis Ende Oktober zu sehen sein wird. Es ist ein Originaler Autograph, eine Bach’sche Notenschrift, genauer: eine Originalstimme aus Bachs Aufführung der Choralkantate zum Michaelistag "Herr Gott, dich loben alle wir" (BWV 130) vom 29. September 1724. Die Handschrift stammt von Christian Gottlob Meißner und enthält autographe Ergänzungen von Johann Sebastian Bach.
Auf kleinem Raum präsentiert die sehr von Büchern, Drucken, Stichen und Papieren, also sogenannter "Flachware", dominierte Ausstellung viel Tiefgang und eine Menge Inhalt. Es macht Spaß, sich darauf einzulassen.
Weitere Informationen
Sonderausstellung
Acht Lieder: 500 Jahre Gesangbuch – 300 Jahre Bachs Choralkantaten
täglich geöffnet 10.00 bis 18.00 Uhr
Ort: Bachhaus Eisenach, Frauenplan 21, 99817 Eisenach
Mehr Informationen finden Sie hier.
Quellen: MDR KULTUR (Tobias Barth), Bachhaus Eisenach
Reaktionelle Bearbeitung: ts, bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. Juli 2024 | 14:30 Uhr