Saale-Holzland-Kreis Knappe Lebensmittel in Kahlaer Tafel: Deutsche Kunden zuerst
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05. Juli 2023, 10:22 Uhr
Ukrainische Flüchtlinge können bei der Tafel in Kahla erst einkaufen, wenn deutsche Kunden fertig sind. Vor allem am Ende des Monats, wenn das Geld knapp ist, gibt es für die Ukrainer oft nichts mehr. Die Tafel kämpft derzeit um ihr Überleben. Der Grund: zu wenige zuverlässige Ehrenamtler helfen mit. Und auch Lebensmittelspenden gehen zurück. Dabei gibt es immer mehr Bedürftige.
Geduldig warten die Kunden im Hof der Kahlaer Tafel*. Nahe am Eingang sitzen Deutsche auf alten Stühlen. Etwas weiter weg eine Gruppe Ukrainer. Gegen 10 Uhr wird geöffnet. Frische Lebensmittel gibt es nur am Dienstag und Freitag.
* Die Tafel in Kahla gehört nicht mehr zum Landesverband der Tafeln in Thüringen. Mehr dazu lesen Sie hier:
Auch wenn alle gleich bedürftig sind, bleiben Deutsche und Ukrainer lieber unter sich. Sprechen können sie eh kaum miteinander. Und noch etwas anderes trennt die beiden Gruppen: Deutsche Tafelkunden dürfen zuerst in die Lebensmittelausgabe. Danach erst sind die Ukrainer dran.
Kerstin Meier, Nachbarin und Tafelkundin, findet das gut: "Wir sind hier in Deutschland und da müssen die Deutschen auch zuerst versorgt werden." An manchen Tagen, vor allem Ende des Monats, wenn das Geld bei vielen Leuten knapp und die Tafel besonders attraktiv ist, dann gibt es für die Ukrainer nichts mehr. Oder nur noch ein paar Reste.
Ukrainer trotzdem dankbar
Unter den wartenden Ukrainern sitzt Liliia Perezerzeva. Sie kauft hier wöchentlich für sechs Euro Lebensmittel. Oder geht eben manchmal leer aus. Trotzdem ist sie dankbar für die Hilfe, die sie vom Kahlaer Tafelverein bekommt. Schöner wäre es allerdings, wenn für alle die gleichen Tüten gepackt werden würden, sagt sie. Dann ginge es vielleicht noch etwas gerechter zu.
Gleiche Tüten für alle - das funktioniere nicht, winkt Tina Staude ab. Als langjährige Chefin des Tafel-Vereins habe sie erlebt, dass dann viele Lebensmittel weggeworfen würden, denn jeder habe andere Bedürfnisse und Vorlieben. Aufgrund nachlassender Lebensmittelspenden gebe es immer weniger zu verteilen.
Als dann die neuen Kunden aus der Ukrainer hinzukamen, musste eine Regelung gefunden werden, erklärt Staude: "Die Deutschen waren vorher da und sie werden immer noch da sein, wenn die Ukrainer irgendwann wieder weg sind. Wir sind auf unsere deutschen Kunden angewiesen. Die Ukrainer akzeptieren das und haben damit Gott sei Dank überhaupt kein Problem."
Menschen sind auf Spenden angewiesen
Dass Deutsche in der Kahlaer Tafel bevorzugt werden, mag die einen empören, andere zufrieden stimmen. Es zeigt aber vor allem eines: Für die Ärmsten der Armen ist kaum noch etwas übrig. Sie sind auf Gedeih und Verderben auf Spenden angewiesen und auf das Zutun ehrenamtlicher Helfer, die bis zum Umfallen schuften, damit das, was Supermärkte sonst in die Tonne schmeißen würden, noch verteilt werden kann.
So wie Maria Stoll, genannt Mary, die seit einem dreiviertel Jahr die Lebensmittelausgabe der Tafel in Kahla leitet. Die 36-jährige Mutter von vier Kindern ist eigentlich Intensivkrankenschwester. Während Corona bekam sie ihre Kinder nicht mehr betreut, wurde arbeitslos und landete ebenfalls bei der Tafel. Als Kundin. Jetzt kümmert sie sich um Bedürftige, organisiert Lebensmittel und Verteilung, hält den Laden am Laufen, stellt so etwas wie Stetigkeit und Struktur her. Viele Ehrenamtler seien extrem unzuverlässig, den Job hier wolle kaum einer machen, sagt Mary.
Mitarbeiter und Lebensmittel fehlen
Kaum Mitarbeiter, weniger Lebensmittel und immer mehr Kunden. Das führe, so Mary Stoll, zu Verteilungskämpfen um das Wenige, zu unpopulären Entscheidungen, zu einer Art Lebensmittel-Triage im Tafel-Laden: "Wir haben nicht genug Ware, um alle Haushalte gleichmäßig und gleich gerecht zu versorgen. Ab Mitte des Monats wird es einfach schwierig, dass alle gerecht gleich viel bekommen."
Die Situation in der Kahlaer Tafel sei katastrophal: Es gebe nicht nur zu wenig Lebensmittelspenden, sondern zu wenig Mitarbeiter und so gut wie keine Unterstützung von der Stadt. Von ihr hat die Tafel auch ihr Quartier gemietet, ein altes Wohnhaus, das augenscheinlich zuletzt vor mehr als 50 Jahren einen Handwerker gesehen hat.
Es wurde von der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft für unbewohnbar erklärt. Deshalb konnte es die Tafel mieten - für rund 600 Euro kalt im Monat. Kalt ist hier wörtlich zu nehmen: Die Kleiderkammer in den oberen beiden Etagen ist nicht beheizbar. Dennoch arbeiten dort zwei treue ältere Mitarbeiterinnen - auch im Winter.
Anmerkung der Redaktion: Nach der Veröffentlichung dieses Beitrags werden die Ehrenamtlichen der Tafel in Kahla massiv angefeindet. Wir bitten daher um Verständnis, dass wir die Kommentarfunktion an diesem Artikel vorfristig schließen.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 04. Juli 2023 | 19:00 Uhr
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