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Im Video: Wie die Jenaer Wohnungsgenossenschaft neue Wohnungen bei niedrigen Mieten bauen konnte. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Erlenhöfe" Wie ausgerechnet in Jena 140 Wohnungen mit günstigen Mieten entstanden

07. August 2024, 11:45 Uhr

In Thüringen werden immer mehr Wohnungen gebaut. Doch preiswerten Wohnraum gibt es gerade in den größeren Städten immer weniger. Die jahrzehntelange Vernachlässigung des Sozialen Wohnungsbaus rächt sich. Die entstandene Lücke ist nicht aufzuholen. Heißt für Betroffene: entweder aufs Land ziehen, oder hoffen, dass Genossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften ein Wunder bewirken. Viel mehr öffentliche Förderung und eine Abrüstung bei den Bauverordnungen könnten helfen.

MDR THÜRINGEN-Reporter Olaf Nenninger
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

In nur drei Jahren sind die Jenaer "Erlenhöfe" entstanden. Nicht, wie man dem Namen nach denken mag, lediglich ein paar Gebäude in Geschossbauweise mit kleinen Innenhöfen. Nein, die "Erlenhöfe" sind ein ganzes Quartier, ein kleines Stadtviertel, am Fuß des Jenzigbergs.

Jenaer Wohnungsgenossenschaft schafft 140 Wohnungen

Die Wohnungsgenossenschaft "Carl Zeiss" als Bauherrin hat nicht gekleckert, sondern rangeklotzt. Die Zahlen lassen aufhorchen: 140 Wohnungen, mit einem bis sieben Räumen. Gesamtinvestition 50 Millionen Euro. Davon zu einem großen Teil mit öffentlicher Förderung. Bedeutet: Der größte Teil ist Sozialer Wohnungsbau. Trotzdem qualitativ hochwertig gebaut und das für 5,90 Euro kalt. Besonders kinderreiche Familien könnten hier zum Zug kommen. Aber auch Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, denn einige der Wohnungen sind komplett barrierefrei.

Nur wenige Wohnungen in den "Erlenhöfen" gehen über den normalen Genossenschaftsmarkt. Dann kostet der Quadratmeter zwischen zwölf und 14 Euro kalt. Immer noch kein Vergleich mit dem privaten Wohnungsmarkt, der locker 20 Euro im Neu- oder sanierten Altbau aufruft.

Bad
Blick in ein Bad der neuen "Erlenhöfe": Die meisten Wohnungen sind erstaunlich günstig. Bildrechte: MDR/Olaf Nenninger

Jena benötigt dringend Sozialwohnungen

Die Sozialwohnungen werden in Jena dringend gebraucht. Das Projekt hat bundesweite Aufmerksamkeit erregt. Am Dienstagnachmittag schaut deshalb auch Axel Gadeschko vorbei. Er ist Präsident des Bundesverbands der Wohnungswirtschaft. An seiner Seite: Frank Emrich, Chef des Verbands der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. Die Herren zeigen sich beeindruckt: Es geht also. Sozialer Wohnungsbau in Größenordnungen - trotz der viel zitierten Wohnungsbaukrise.

Hier stimmten einfach die Rahmenbedingungen, findet Emrich. Die "Erlenhöfe" seien ein gutes Beispiel, könnten ein Pilot-, ja ein Leuchtturmprojekt sein: "Hier hat sich die Stadt Jena für eine Konzeptvergabe entschieden. Das führt zu attraktivem Wohnraum, zu attraktiven Quartieren. Das empfehlen wir allen Städten. Und dazu braucht es lokale Kooperationen, aber wir brauchen auch die Unterstützung vom Land, um sozial und bezahlbar Wohnungen zur Verfügung stellen zu können", empfiehlt und fordert Frank Emrich.

Frank Emrich, Chef des Verbands der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft.
Frank Emrich, Chef des Verbands der Thüringer Wohnungswirtschaft. Die Jenaer "Erlenhöfe" als ein Pilot-, ja sogar Leuchtturmprojekt. Bildrechte: MDR/Olaf Nenninger

Nicht der Höchstbietende, sondern die beste Idee hat gewonnen

Konzeptvergabe heißt: Nicht der Höchstbietende bekommt das Bauland, sondern der potenzielle Bauherr mit der besten Idee. Bei den "Erlenhöfen" waren es die "Durchmischung", die niedrigen Mietpreise und das Energieversorgungskonzept, das auf selbst produzierten Solarstrom, eine eigene Biogasanlage und ein Blockheizkraftwerk setzt. Man sei zu einem großen Teil energieautark, verkündet die Wohnungsgenossenschaft stolz.

In Jena geht also langsam was. Aber das reicht natürlich nicht. Genau wie im Land. Im vergangenen Jahr entstanden in Thüringen laut Landesamt für Statistik 4.123 Wohnungen - zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Davon waren 481 Sozialwohnungen. Die Anzahl der Wohnungen in Land steigt seit Jahren. Derzeit sind es 1,2 Millionen. 2011 waren es noch 1,16 Millionen. Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt dabei deutlich. 2018 gab es 14.400 davon. Vier Jahre später zählten die Statistiker nur noch 12.400. Wie kann das sein? Mehr und mehr Wohnungen, aber immer weniger Sozialwohnungen?

Mehr Wohnungen - aber weniger Sozialwohnungen: Die Gründe

Jedes Jahr fallen ungefähr 1.000 Wohnungen aus der Preisbindung für sozialen Wohnraum. In der Regel besteht diese Bindung nur 20 Jahre, dann steht die Wohnung wieder dem freien Markt zur Verfügung. Heißt also, wenn jährlich rund 400 Sozialwohnungen entstehen, aber 1.000 abgehen, verliert Thüringen pro Jahr 600 Sozialwohnungen. Der Freistaat kämpft laut Infrastrukturministerium mit Förderprogrammen dagegen an. Seit 2016 seien 215 Millionen Euro geflossen. Vergeblich. Der Netto-Verlust bleibt. Zumal derzeit vor allem energetische Sanierungen und Modernisierungen im ländlichen Raum gefördert werden. Denn dort gibt es vielerorts noch genug Wohnungen.

Doch woran liegt es, dass der steigende Bedarf an preiswertem Wohnraum nicht gedeckt werden kann? In den vergangenen Jahren sind die Baukosten infolge der Corona-Krise und die Energiekostensteigerungen infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine dramatisch gestiegen. Bis zu 45 Prozent mehr müssen Bauherren nun einkalkulieren. Aber schon weit vorher wurde der Soziale Wohnungsbau bundesweit vernachlässigt. Der Markt regelte einigermaßen. Bis Inflation, Landflucht und Spekulationsblasen Mieten und Immobilienpreise zumindest in den großen Städten und Speckgürteln in die Höhe schießen ließen. Längst reißt die Miete nicht mehr nur ein großes Loch in die Budgets von Familien, Geringverdienern oder armen Senioren. Das Problem ist in der Mittelschicht angekommen.

Straße im Wohngebiet Erlenhöfe
Blick in das Wohngebiet Jenaer "Erlenhöfe". Für 50 Millionen Euro entstanden 140 neue Wohnungen - einige sind noch frei. Bildrechte: MDR/Olaf Nenninger

Für den Bundes-Chef der Wohnungswirtschaft, Axel Gedaschko, stehen aber nicht nur die hohen Baukosten hinter der Wohnungsbaumisere. Es seien auch eine überbordende Anzahl an Bau-Normen und komplizierte Vergabepraktiken der Kommunen, die Bauherren abschreckten oder Projekte aus seiner Sicht unnötig verteuerten. Da müsse man abrüsten, es könne auch schneller und einfacher gebaut werden, glaubt Gedaschko.

Nur mit Förderung niedrige Mieten möglich

Und damit zurück zu den "Erlenhöfen" in Jena. Noch einmal: 50 Millionen hat die Genossenschaft hier investiert. Die Miete liegt zu großen Teilen bei 5,90 Euro kalt. Das geht nur mit öffentlicher Förderung durch das Land. Es ändert aber nichts daran, dass dem gegenüber hohe Baukosten stehen, die abzüglich der Mietsubventionen wieder reinkommen müssen.

Wie zieht man ein derartig großes Projekt durch, angesichts der Polykrisen, die anderen Bauherren längst die Lust an ihrem Job genommen hat? Die seriellen Bauweise der Geschossbauten ist sicherlich ein Erfolgsgeheimnis. Iris Hippauf, Vorständin der Wohnungsgenossenschaft "Carl Zeiss", erklärt das aber auch mit dem gemeinsamen Willen aller Beteiligter. Vor allem das Bauunternehmen, namentlich der Goldbeck-Konzern, habe ordentlich zurückgesteckt - heißt also: auf einigen Profit verzichtet, damit die Erlenhöfe überhaupt wirtschaftlich dargestellt werden konnten.

Wir haben vor den Krisen angefangen zu bauen, auch die Verträge vorher geschlossen und hatten dadurch großes Glück. Es wäre nicht klug gewesen, den Bau einzustellen.

Iris Hippauf Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Carl Zeiss

Iris Hippauf von der Wohnungsenossenschaft Carl Zeiss.
Iris Hippauf von der Wohnungsenossenschaft Carl Zeiss. Bauweise, weniger Profit und rechtzeitiger Beginn als Gründe für den Erfolg. Bildrechte: MDR/Olaf Nenninger

Außerdem: "Wir haben vor den Krisen angefangen zu bauen, auch die Verträge vorher geschlossen und hatten dadurch großes Glück. Es wäre nicht klug gewesen, den Bau einzustellen, also haben wir durchgezogen." Die Genossenschaft war also zum Erfolg verdammt.

Kommunale Wohnungsunternehmen haben es schwerer

Dabei haben es gerade Genossenschaften, aber auch kommunale Wohnungsgesellschaften eher schwer, wirtschaftlich tragfähige Wohnbaumodelle zu entwickeln. Da sie wenig renditeorientiert arbeiten, kommt im Mietgeschäft am Ende des Tages auch nicht viel rein. Das bestätigt auch der Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft. Die Genossenschaften halten ihre Mieten niedrig mit Blick auf ihre Mitglieder, die kommunalen Unternehmen sollen dagegen das örtliche Gemeinwohl unterstützen. Viel Spielraum ist da nicht. Lediglich die privaten Wohnungsbaufirmen könnten ihre Investitionen komplett auf den Quadratmeterpreis abwälzen und noch etwas Gewinn mitnehmen. In Regionen mit geringeren Durchschnittseinkommen, und dazu gehört Thüringen nun einmal, ist der Markt für hochpreisige Wohnraum allerdings klein. Egal also, ob kleine oder hohe Mieten, schwierig ist es für alle.

In die "Erlenhöfe" sind derweil die ersten Mieter eingezogen. Noch sind einige Wohnungen zu haben. Es ist eines der ersten sozialen Wohnungsbauprojekte dieser Größenordnung seit der Wiedervereinigung. In zwei Jahren will die KoWo, die Kommunale Wohnungsgesellschaft in Erfurt, nachziehen: Dann steht das Quartier "Auenkamp" mit 135 neuen Wohnungen. Was die kosten, ist allerdings noch unklar.

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MDR (rom)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 06. August 2024 | 19:00 Uhr

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