Umwelt Wald ist nicht gleich Wald: Über 200 wilde Deponien in Jena
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03. Mai 2024, 05:22 Uhr
Beim Wandern und Spazieren gehen fallen sie meistens gar nicht auf - die Deponien, Halden und vielen menschlichen Hinterlassenschaften. Die Natur lässt oft ganz schnell Gras darüber wachsen. Gefahrenstoffe wie Altöl, Benzin oder Lösungsmittel sind bereits tief im Boden versickert. Allein in und um Jena gibt es hunderte dieser illegalen Ablagerungen. Ihre Beräumung würde sehr teuer werden. Ein Umweltpädagoge kennt diese Orte gut und bietet sogar Führungen an.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Wenn man über Altlasten spricht, wird es kompliziert. Denn zuerst einmal sind sie Abfälle. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz unterscheidet in gefährliche und nichtgefährliche Abfälle, Siedlungsabfälle aus Haushalten im Unterschied zu anderen Herkunftsbereichen, stabile mineralische Abfälle, Bauschutt, Bioabfälle versus Lebensmittelabfälle. Jeder dieser Abfälle lässt sich regulär entsorgen.
Das ist mal mit mehr, mal mit weniger Kosten verbunden. Am billigsten ist es jedoch, das Zeug einfach bei Nacht und Nebel in die Pampa zu werfen. Häufig landen gefährliche Abfälle auch durch Fahrlässigkeit oder unsachgemäße Lagerung im Boden.
Viele Altlasten-Standorte in Thüringen
Seit vielen Jahrzehnten sind auf diese Weise zahlreiche Altlasten-Standorte in Thüringen entstanden. Immerhin 11.600 Verdachtsfälle waren es laut Thüringer Altlasteninformationssystem Thalis im Jahr 2021 - Tendenz allerdings sinkend. Auch Jena wollte wissen, wie es um die wilden Deponien und Schadstoffeinträge im Stadtgebiet steht. 337 Verdachtsfälle traten zu Tage, bestätigt werden konnten dann aber doch nur etwas mehr als 200 Standorte. Für knapp die Hälfte ist das Land zuständig, um den Rest muss sich die Kommune kümmern. Dabei setzt sie klare Prioritäten. Denn Altlasten zu beseitigen, kann aufwändig und vor allem teuer werden.
Jägerberg in Jena: "Alles ist voller Styropor"
Der Südhang des Jägerbergs ist bewaldet und wirkt idyllisch. Der Blick geht in einem großartigen Panorama über die Stadt. Paraglider starten von hier aus. Der Umweltpädagoge Lars Polten klettert den steilen Hang durchs Unterholz hinab. An einer bestimmten Stelle greift er in den Waldboden. Weiße Bröckchen bedecken seine Hand: "Es blitzt mich weiß an. Man holt hier gar keine Steine aus der Erde. Alles ist voller Styropor."
Tatsächlich, bei genauerem Hinsehen fallen die vielen schmutzig-weißen Brocken auf. Sie sind überall. Dazwischen Dachpappe und Stacheldraht - überwachsen von kleinen Sträuchern. Wir stehen auf einer wilden Deponie. Polten beschäftigt sich seit Jahren nebenberuflich mit wilden Deponien in der Region. Er glaubt, dass der Müll am Jägerberg in den 90er Jahren abgeladen worden ist.
Ein paar Meter weiter ist der Boden mit zahllosen Bruchstücken womöglich asbesthaltiger Faserzementplatten übersäht. Kinder sollten hier besser nicht spielen, Hunde nicht herumstromern. Eigentlich ein Sanierungsfall, oder? Polten winkt ab: "Man würde ja den ganzen Naturraum zerstören. Die Natur ist hier drüber und durchgewachsen. Die Pflanzen, die Tiere. Man hat zwischen ganzen Bestandteilen Ameisenhaufen. Es ist viel Leben hier, verschiedene Käfer, ganz viele verschiedene Pflanzen. Ein reichhaltiges Biotop, würde man sagen."
Altlasten-Sanierung nur mit Fördermitteln möglich
Auch Umweltdezernent Christian Gerlitz (SPD) kennt die Halden vom Jägerberg. Sie haben erst einmal keine Priorität, da von ihnen keine akute Gefahr ausgingen. Denn das wäre einer der beiden Gründe, warum eine Altlast beseitigt werde. Der andere: wenn auf dem betroffenen Grundstück gebaut werden soll. Zeit, Geld und Mitarbeiter sind knapp. Altlastenbeseitigung geht quasi nur mit Fördermitteln vom Land und die seien nicht üppig zu haben, erklärt Gerlitz. Schon die Untersuchung der Verdachtsfälle sei teuer.
In den vergangenen drei Jahren bekam die Stadt dafür 238.000 Euro vom Land, um lediglich fünf Standorte zu untersuchen. So steht es in einem Dokument, das Gerlitz' Mitarbeiter für den Stadtrat verfasst haben. Für die Untersuchung des ehemaligen Tanklagers in Löbstedt, in dem die Sowjets mit allen möglichen gefährlichen Flüssigkeiten hantiert hatten, gab es 160.000 Euro Landesförderung. Saniert ist dann noch gar nichts.
Viele Verdachtsfälle sind ehemalige Tankstellen
Überhaupt fällt auf, dass im Jenaer Altlastenkataster ehemalige Tankstellen häufig als Verdachtsfälle auftauchen. Da könnten noch hohe Summen auf Land und Stadt zukommen. Allerdings liegen die Probleme hier klar auf der Hand. Versteckt liegende wilde Deponien sind schwieriger einzuschätzen. Oft wollten die Behörden auch gar nicht so genau wissen, wer was wann im großen Stil in die Natur geworfen hat oder hektoliterweise in den Boden sickern ließ, vermutet Lars Polten. Immer wieder hat er Anfragen an obere und untere Bodenschutzbehörden, Umweltämter, Abfallbehörden oder das Landesverwaltungsamt gestellt und Hinweise gegeben. Oft sei er von Pontius zu Pilatus geschickt worden.
Der Anthropozän als vom Menschen bestimmtes Zeitalter ist dadurch geprägt, dass der Mensch auch massiven Einfluss auf die Umwelt nimmt. Und überall seinen Müll herumliegen lässt. Nicht immer habe das schwerwiegende Konsequenzen für die Natur. Oft könne das auch spannend sein, findet Lars Polten. Daher bietet er seit ein paar Jahren geführte Wanderungen zu den wilden zumeist unsichtbaren Deponien Jenas an. In Workshops mit Kindern und Jugendlichen versucht er, ihre Wahrnehmung von Natur etwas realitätsnäher zu gestalten. Denn ein Wald kann ein Wald sind, aber auch ein Haufen Müll mit Bäumen drauf.
MDR (one/dr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 02. Mai 2024 | 19:00 Uhr