Ein Müllberg türmt sich auf.
Bildrechte: MDR/David Straub

Illegale Deponien Tausende Tonnen Abfall: Wo in Thüringen Müll liegen geblieben ist

24. März 2024, 11:51 Uhr

Seit Jahren türmt sich in Ostthüringen auf zwei alten Deponien der Müll. Tausende Tonnen Schrott und anderer Unrat gammeln nahe Heideland und Gösen illegal vor sich hin - zum Ärger der Menschen vor Ort. Dass sich nichts ändert, hat System im ganzen Land.

David Straub schaut in die Kamera.
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Irgendjemand muss das Stopp-Schild gepflegt ignoriert haben: Direkt vor dem grünen Tor sind ein paar gut gefüllte Altölkanister abgestellt. Das Tor soll eigentlich verhindern, dass weiter Müll an der ehemaligen Deponie Königshofen direkt zwischen Eisenberg und der kleinen Gemeinde Heideland abgeladen wird.

Ein Müllberg thürmt sich auf.
Der Eingang zur Königshofener Deponie: Trotz des Schildes wurden illegal Altölkanister abgestellt. Bildrechte: MDR/David Straub

Deren ehrenamtlicher Bürgermeister Hans-Rüdiger Pöhl schnaubt, als er an einem warmen Märztag an der Anlage entlanggeht. "Hier, sowas, das ist eine Katastrophe. Nicht nachvollziehbar ...". Pöhl zeigt auf Abfälle, die überall am Rand herumliegen: Farbdosen, eine kaputte Kloschüssel, ein Staubsauger. Hinter dem Zaun will Pöhl auch Asbest gesehen haben. Laut Zahlen vom Landratsamt des Saale-Holzland-Kreises warten dort noch einmal knapp 70.000 Tonnen rottender Müll. Und das, seitdem die Betreiberfirma "Oeko Select" vor 20 Jahren insolvent ging.

Ein Mann schaut in die Kamera.
Hans-Rüdiger Pöhl, der Bürgermeister von Heideland, nennt die Deponie "eine Katastrophe". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Müll: Das gängige Geschäftsmodell

Viel Müll aufnehmen, um viel Geld zu verdienen - das sei in den 90er-Jahren und Anfang der 2000er gängiges Geschäftsmodell gewesen. So sagte es ein Sprecher des Thüringer Umweltministeriums bereits im vergangenen November im MDR-Interview. Wobei sich offenbar einige Betreiber überschätzt hätten und zu viel Müll annahmen, die Anlage "überfuhren". Und weiter: "Betreiber sind deutschlandweit ihren Nachsorgepflichten, die sie gesetzlich schon damals hatten, nicht nachgekommen", so der Ministeriumssprecher. Die Insolvenz ist der Notausgang, um nicht für die Entsorgung herhalten zu müssen.

Eine Mülldeponie von oben.
Tausende Tonnen Schrott und anderer Unrat lagern auf der Königshofener Deponie nahe Heideland. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wie gefährlich ist der Königshofener Müll?

Wie gefährlich der Abfall tatsächlich für Mensch und Umwelt ist, das könne er gar nicht einschätzen, sagt Heidelands Bürgermeister Pöhl. "Weil wir vom Umweltamt null Daten kriegen als Gemeinde. Das ist für den Bürger schlecht und es ist für uns als Gemeinde schlecht."

Das Thüringer Umweltministerium teilt mit, dass nach seiner Kenntnis keine Gefahr für die Umgebung von der Halde ausgehe. Und auch der Landkreis sieht keine Gefährdung, informiert schriftlich, dass er Kontrollen durchführe: "Anlass zu weiteren Aktivitäten besteht derzeit nicht."

Aus einer Stellungnahme des Thüringer Umweltamtes (TLUBN) geht jedoch hervor, dass die dortigen Mitarbeiter den Müll für die Umwelt durchaus als gefährlich einstufen. Das Amt schreibt: "Bisher wurden (...) geringfügige und temporäre Überschreitungen der Geringfügigkeitsschwellenwerte bei Schwermetallen sowie polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen nachgewiesen." Letztere Gruppe bezeichnet das Umweltbundesamt als krebserregend und: "Einmal in die Umwelt entlassen, verbleiben solche Stoffe sehr lange, reichern sich an und können so über längere Zeit ihre giftige Wirkung entfalten."

Seitdem sich der damalige Betreiber von Königshofen aus der Affäre gezogen hat, hält sich in Heideland die Sorge, dass es brennt und Reifen oder Asbest in Flammen aufgehen. Es wäre nicht das erste Mal.

Eine Mülldeponie von oben.
Der Müll auf der alten Deponie Königshofen: In Heideland hält sich die Sorge, der Abfall könne in Flammen aufgehen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehrere Brände auf den Ostthüringer Deponien

Zu DDR-Zeiten war Königshofen eine Lehmgrube. Bürgermeister Pöhl zufolge wurde sie in der Wende-Phase bereits als Mülldeponie genutzt und anschließend abgedeckt. Woraufhin das Bauamt in Gera und das Landratsamt eine richtige Deponie auf der Fläche genehmigten. "Am Anfang war das sehr ordentlich", erinnert sich Pöhl. "Ich habe selber dort Müll abgegeben. Im Laufe der Zeit schlich sich aber der Schludrian ein." Anfang der 2000er-Jahre brannte es dann auf der Königshofener Deponie. Und auch auf der Deponie in Gösen, keine 500 Meter Luftlinie entfernt.

Im Laufe der Zeit schlich sich aber der Schludrian ein.

Hans-Rüdiger Pöhl Bürgermeister von Heideland

Hans-Rüdiger Pöhl hat diese Zeit noch gut im Kopf. Bei beiden Bränden war er als Feuerwehrmann im Einsatz. Die Halde in Gösen brannte über eine Woche lang - die Bilder liefen bundesweit im Fernsehen. Zuvor sei die Deponie noch ein beliebtes Ziel von Mülltransporten gewesen, erzählt Pöhl. Rund um das Brandwochenende habe er dort zum Beispiel noch zahlreiche holländische Lkw mit Müll warten sehen.

Müll brennt auf einer Deponie.
Mehrere Tage brauchte die Feuerwehr, um den Gösener Brand zu löschen. (Archivfoto) Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ob er denn nach all den Jahren damit abgeschlossen hat, dass in seiner Gemeinde immer noch so viel Müll lagert? Bürgermeister Pöhl überlegt kurz. "Eigentlich nicht, nein. Wir sehen es ja jeden Tag. Wenn ich von Eisenberg nach Königshofen fahre zum Beispiel. Ich kann da nicht blind vorbeifahren."

Über sieben Millionen Euro für Beräumung

Dass der Müll immer noch dort liegt, dürfte in erster Linie am Geld liegen: Zuständig für die "Beräumung" der Fläche wäre in erster Linie der Betreiber. Da der in Königshofen insolvent ging, wäre nun theoretisch der Eigentümer am Zug. In diesem Fall ein Privateigentümer sowie ein Unternehmen, wie das Landratsamt schreibt. Aber, so das Landratsamt: "Die Entsorgungskosten würden die finanziellen Mittel der aktuellen Eigentümer übersteigen. Auch dem Landkreis stehen finanzielle Mittel in diesen Größenordnungen nicht zur Verfügung."

Die Kosten für die verbliebenen Entsorgungskosten in Königshofen schätzte das Landesumweltamt im vergangenen Jahr auf mehr als sieben Millionen Euro. In Gösen auf etwa eineinhalb Millionen Euro.

Deponie-Problem beschäftigte Landespolitik

Doch die Gemeinde Heideland wollte das in der Vergangenheit nicht auf sich sitzen lassen: Nach den Bränden in Gösen und Königshofen baute die Kommune Druck auf die Landesregierung auf. In Heideland wurden Stimmen laut, die nach Geld aus dem Landeshaushalt für die Beseitigung riefen.

Pöhl zeigt einen dicken Ordner, der noch heute den Schriftwechsel zwischen Kommune und Umweltministerium dokumentiert. 2005 erklärte Thüringens damaliger Umweltminister Volker Sklenar (CDU) im Landtag in der Fragestunde, dass zuletzt verstärkt Deponien kontrolliert worden seien, damit Betreiber die "genehmigten Lagerkapazitäten" nicht wie zuvor fleißig überschreiten könnten.

Ein Mann schaut in einen Aktenordner.
Einen ganzen Ordner füllen die Schriftstücke zu den Deponien. Bildrechte: MDR/David Straub

Nichtsdestotrotz hing der alte Schrott den Kommunen weiter an der Backe. Im Landtag sagte Sklenar beispielsweise über die Räumung der Schrottreste auf der Deponie in Gösen: "Das geht alles nicht so schnell, wie sich manch einer wünscht. Es ist eine Menge schon weggebracht worden, aber es muss auch noch weiter beräumt werden." Bis heute lagern in Gösen laut Thüringer Umweltamt knapp 7.000 Tonnen verbliebener Müll. In der Königshofener Deponie wurde nur einmal ein kleiner Teil der Abfälle geräumt.

Eine Mülldeponie von oben.
Die Gösener Deponie, direkt an der A9, aus der Luft betrachtet. Dahinter liegt Eisenberg. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehrere ungeklärte Fälle in Thüringen

Stefanie Helbig ist Journalistin und hat in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland viel zu illegaler Müllentsorgung und Deponien recherchiert. Zusammen mit ihrem Kollegen Michael Billig hat sie alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte gefragt, ob es in ihrer Region eine illegale, nicht geräumte Mülldeponie gebe, die nach 1993 entstanden sei und mehr als 100 Tonnen fasse. Dabei kam eine Liste von 339 Deponien heraus, die auch Grundlage für diese Recherche ist. Die Deponien, von denen es in Thüringen allein neun gibt, finden sich zudem im Rechercheprojekt "Müllparadies Deutschland", dargestellt auf einer Karte.

Es liegt einfach häufig am Geld, dass das nicht weggeräumt wird.

Stefanie Helbig Journalistin

Dass es so viele illegale Deponien gebe, von denen die Behörden wissen, habe sie überrascht, erzählt Helbig. Besonders in den neuen Bundesländern sei die Zahl hoch. "Ich glaube auf dem Schirm haben es fast alle. Es liegt einfach häufig am Geld, dass das nicht weggeräumt wird."

Stefanie Helbig schaut in die Kamera.
Die Journalistin Stefanie Helbig sieht fehlendes Geld als häufigsten Grund dafür, dass Müll nicht beräumt wird. Bildrechte: Stefanie Helbig

Helbig meint aber auch, dass ein "verbesserter Austausch zwischen den Landkreisen und den Gemeinden" helfen könnte. Sie erzählt von einer Halde im Ort Neverin im Kreis Mecklenburgische Seenplatte. Der NDR hatte darüber berichtet. Investoren kauften damals das Grundstück, auf dem eine Deponie lag, bauten Solarpaneele (allerdings nur dort, wo gerade kein Müll lag) und veräußerten die eigentliche Deponiefläche an eine englische Briefkastenfirma.

Diese war aber nicht erreichbar und die Hoffnung der Kommune auf eine Räumung dahin. "Ich habe dann von einer anderen Stadt gehört, die meinte, sie hätte eine Lösung mit einem Investor. Und ich fragte, haben Sie gehört, dass sich der Investor in der anderen Gemeinde ziemlich trickreich aus der Verantwortung gezogen hat?" Die Stadt wusste von nichts.

Thüringer Ministerium: Risiko in Zukunft geringer

Das Thüringer Umweltministerium erklärt, das inzwischen nicht mehr so leicht "überfahrene" und liegen bleibende Mülldeponien entstehen könnten. Denn die Gesetze für Recycling-Anlagen hätten sich geändert. Anlagenbetreiber müssten nun eine "Sicherheitsleistung wie eine Bankbürgschaft" hinterlegen. Mit diesem Geld könne eine Behörde dann auch nach einer Insolvenz selbst den Müll entsorgen.

Wie geht’s weiter mit dem Müll?

Heideland, so erzählt es Bürgermeister Pöhl, habe vor allem in den Jahren nach den Bränden viel versucht, damit der Müll wegkommt. Erreicht hätten alle seine Vorgänger leider nicht viel. "Du wirst immer weitergereicht", sagt er. Immerhin schaue monatlich jemand vom Landratsamt vorbei. "Die holen dann wieder Müll ab, der vor der Einfahrt steht."

Ein Müllberg thürmt sich auf.
Wohin mit all dem Müll in Königshofen? Bildrechte: MDR/David Straub

Doch wie soll es mit den 70.000 Tonnen Müll weitergehen, die in der Anlage herumrotten? Der Landkreis wartet eigener Aussage zufolge auf einen "Zuwendungsbescheid der Thüringer Aufbaubank, um eine Bewertung der Altlastensituation ausschreiben zu können." Gemeint ist damit die Deponie in Gösen. Ziel sei, den Standort wieder sinnvoll nutzen zu können, beispielsweise für Erneuerbare Energien.

Und für Königshofen? Hier will der Kreis erneut die Kosten für eine "eventuelle Beräumung" schätzen lassen, "für eine sinnvolle Verwendung". Problematisch sei aber, dass ein Teil des Standortes einem privaten Eigentümer gehöre.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Hans-Rüdiger Pöhl Bürgermeister von Heideland

Bürgermeister Pöhl drückt sich klarer aus: "Wir hatten vor einigen Jahren jemanden hier, der wollte die Fläche mit Photovoltaik abdecken." Dem Investor seien jedoch die Entsorgungskosten zu hoch gewesen. "Und diesen Februar war wieder jemand da, die wollten Ständer errichten und darauf die Photovoltaikanlage setzen" - oberhalb des Mülls quasi. Noch sei nicht entschieden, wie es damit weitergeht, erzählt der Bürgermeister. "Die Hoffnung stirbt zuletzt."

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 23. März 2024 | 19:00 Uhr

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