
Datenanalyse "Fahren auf Verschleiß": Wie Thüringer Kommunen gegen den Verfall ihrer Brücken kämpfen
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21. März 2025, 12:00 Uhr
Um Thüringens Brücken steht es nicht gut. Eine exklusive MDR-Umfrage zeigt: Die Kreise und Gemeinden werden erdrückt vom Sanierungsstau. Was besser laufen muss, zeigt ein unscheinbares Bauwerk im Landkreis Greiz.
Nach Brücke sieht sie eigentlich gar nicht aus: "Es ist ein sehr unscheinbares Bauwerk", stimmt Marcel Mende zu. "Aber leider halt auch ein sehr intensives." Mende kümmert sich für den Landkreis Greiz mit einem kleinen Team um dieses Bauwerk. Genau wie um 44 weitere Brücken und 21 Stützbauwerke, für die der Kreis verantwortlich ist. An diesem sonnigen Nachmittag steht Mende mit seinem Kollegen Danny Senkowski am Rande der kleinen Gemeinde Kraftsdorf.
Die Brücke vor ihnen führt etwa 350 Meter durch das Dorf - der Erlbach fließt friedlich hinein und verschwindet. Man erkennt das Bauwerk nur dort, wo es beginnt und endet. Auf der Brücke verläuft ein Gehweg. Nicht nur Autos fahren andauernd durch die Gemeinde - auch Schwerlast-Transporter nutzen die Straße, beispielsweise auf dem Weg zur nahegelegenen Baustelle der Stromtrasse Südostlink.
Die rote Linie zeigt die Brücke über den Erlbach - die gestrichelte Linie die geplante Südostlink-Trasse.
Sanierung "fällt hinten runter"
Der Brücke über den Erlbach geht es nicht gut. Bei der letzten Prüfung hat sie eine 3,4 bekommen. In der Brücken-Welt bedeutet das "nicht ausreichend". Ab 3,5 beginnt "ungenügend". Eine schlechte Note bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine Brücke einsturzgefährdet ist - aber sie sollte dringend saniert werden. Auch bei dieser Brücke geht der Kreis von keiner Gefahr aus.
Brücken können wegen fehlender Gelder nicht saniert werden
Aber: "Wenn wir wüssten, dass wir für die nächsten Jahre einen siebenstelligen Betrag zur Verfügung haben, würden wir so eine Brücke sofort in den Fokus nehmen", sagt Senkowski. Wegen des engen Tunnelverlaufs unter der Brücke würde hier aber nur ein Neubau in Frage kommen. Mindestens eine halbseitige Sperrung der Durchfahrtsstraße wäre die Folge.
Wenn wir wüssten, dass wir für die nächsten Jahre einen siebenstelligen Betrag zur Verfügung haben, würden wir so eine Brücke sofort in den Fokus nehmen.
Alles, was die Mitarbeiter des Landkreises in diesem Jahr noch machen können, ist eine detaillierte Prüfung der Brücke mit einer fahrbaren Kamera. "Man muss wirklich sagen, dass unsere Brückensanierungen aus finanziellen Gründen momentan hinten runterfallen", bilanziert Marcel Mende.
MDR-Umfrage gibt erstmals Überblick über Brücken in Thüringen
Der Kreis Greiz ist damit nicht alleine: Zahlreiche kommunale Brückenbauwerke in Thüringen sind sanierungsbedürftig. Das ergibt eine großangelegte Umfrage des MDR unter Landkreisen, Städten und Gemeinden in Mitteldeutschland. Nach Angaben der Kommunen befindet sich fast jede fünfte Brücke in einem ungenügenden oder nicht ausreichenden Zustand.
Die überwiegende Mehrheit wurde mit befriedigend oder ausreichend bewertet. Lediglich etwas mehr als ein Fünftel der Brücken befindet sich in einem guten oder sehr guten Zustand.
Investitionen in Milliardenhöhe eigentlich nötig - Sanierungsstau soll weiter ansteigen
Wie dem Landkreis Greiz fehlt es vielen Thüringer Gemeinden, Städten und Kreisen vor allem an einem: an Geld. Laut den befragten Kommunen steigt der Sanierungsstau in den nächsten Jahren weiter an. Für die Instandhaltung ihrer Brücken rechnen die Thüringer Kommunen in den kommenden zehn Jahren mit Investitionen in Milliardenhöhe.
Zahlreiche Kommunen klagen auch über überforderte Bauämter. Demnach gebe es einen hohen Krankenstand, viele unbesetzte Stellen und zu viel Bürokratie bei Bauanträgen.
Kreise schneiden etwas besser ab
Zu Brückenbauwerken zählen neben klassischen Straßenbrücken auch Durchlässe, Stützwände und Lärmschutzwände als Teil von Brücken. Während Landkreise vor allem für Brückenbauwerke an Kreisstraßen verantwortlich sind, ist es in der Gemeinde schon mal die kleine, unscheinbare Fußgängerbrücke.
In der MDR-Abfrage schnitten die Brücken der Kreise etwas besser ab als die der Gemeinden, wo jede elfte Brücke einen ungenügenden Zustand aufwies. Was die Kommunen aber eint, sind die Herausforderungen bei der Instandhaltung.
Aufklappen: So hat der MDR die Daten erhoben
MDR Data hat alle Landkreise, Städte und Gemeinden in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt nach dem Zustand ihrer Brückenbauwerke befragt. Wir wollten wissen: Wie viele Brückenbauwerke habt ihr und in welchem Zustand sind sie? Gibt es gesperrte Bauwerke? Wie viel finanziellen Bedarf habt ihr in den nächsten Jahren? Denn zentrale Zahlen für Kommunen gibt es nicht.
Die Landkreise und die meisten kreisfreien Städte haben an unserer Umfrage teilgenommen. Bei den Gemeinden und Städten lag die Rücklaufquote bei deutlich unter 50 Prozent. Die Städte und Gemeinden haben nicht einheitlich Auskunft zu reinen Brücken oder allen Arten von Brückenbauwerken angegeben, weshalb beim Vergleich von einzelnen Gemeinden nur vorsichtige Schlüsse gezogen werden sollten. Einige Gemeinden haben auch aufgrund laufender Prüfung keine Auskunft gegeben oder ältere Daten verschickt.
Nach einer Autofahrt durch Kraftsdorf und die angrenzenden Dörfer halten Danny Senkowski und Marcel Mende noch einmal am Erlbach. "Es ist eine herrliche Gegend", sagt Senkowski. "Aber für uns als Baulastträger nicht unbedingt die dankbarste Straße."
Sie zeigen auf die Stützmauer, die in den Dörfern fast durchgehend die Straße entlang des Flusses befestigt. An vielen Stellen ist die oberste Betonschicht abgebröckelt - die unteren Schichten, vielleicht auch die stählerne Bewehrung, sind der Erosion ausgesetzt.
Forderung: Rechtzeitig investieren statt später noch mehr Geld ausgeben
Noch weiter den Bach abwärts steht eine Betonbrücke. Danny Senkowski stapft an ihrer Außenwand zum Bach hinunter. An einer Kante wurde eine neue Betonschicht aufgetragen - die Brücke wurde quasi gepimpt. In der Fachwelt spricht man von "Instandsetzungsarbeiten". "Diese Instandsetzungsarbeiten zum Bauwerkserhalt gehen aber oft komplett unter", sagt Senkowski.
Nicht immer erst bauen, wenn alles zu spät ist. Momentan fahren wir auf Verschleiß.
Den Experten des Kreises Greiz zufolge "haben wir einen riesengroßen Vorteil, weil wir um das Jahr 2000 herum relativ viele unserer Brücken gebaut haben." Die Situation sei deshalb noch nicht dramatisch, sagt Danny Senkowski. Umso wichtiger sei es, jetzt Geld in die Hand zu nehmen. "Dabei spart man langfristig hohe Kosten, wenn man es direkt angeht. Da müssten wir viel stärker ansetzen: Nicht immer erst bauen, wenn alles zu spät ist. Momentan fahren wir auf Verschleiß, man muss es so sagen", meint Senkowski.
Sandwichposition: Kreise bekommen Brücken zugeschanzt
In Deutschland sind für Brücken an Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen der Bund und die Bundesländer zuständig. Die meisten Brücken befinden sich jedoch in den Händen der Kommunen, die für deren Bau und Erhalt zuständig sind. Die Landkreise stecken dabei oft in einer Art Sandwichposition.
Denn Straßen samt Brückenbauwerke können umgestuft werden. Die Straße durch Kraftsdorf sei beispielsweise 2015 herabgestuft worden, erzählen Danny Senkowski und Marcel Mende. "Weil sie die Verkehrsbedeutung einer Landesstraße verloren hat." Vorher war das Land Thüringen zuständig - jetzt liegt die Baulast beim Kreis. Gleichzeitig wandern auch Straßen von Gemeinden in die Verantwortung der Kreise. Das bedeutet noch mehr Aufwand für die Landkreise.
Thüringer Fördertopf stark nachgefragt - doch das Geld reicht nicht
Hilfe bekommen die Kommunen vom Land Thüringen. Das Thüringer Infrastruktur-Ministerium teilt auf Anfrage von MDR THÜRINGEN mit, dass der angemeldete Förderbedarf der Kommunen wesentlich höher ist als die zur Verfügung stehenden Mittel. Bei den künftigen Haushaltsaufstellungen werde eine Erhöhung des Topfes angestrebt. Außerdem sollen Anträge der Kommunen auf Geld durch eine geplante Online-Antragstellung beschleunigt werden.
Die Förderung ist ein riesengroßer und wichtiger Baustein für uns.
Viele Kommunen beklagten in der MDR-Umfrage allerdings, dass der Eigenanteil von 25 Prozent der zu tragenden Kosten bei einer Brückensanierung nicht stemmbar sei. Laut Ministerium hätte aber die Senkung des Eigenanteils zur Folge, dass weniger Projekte gefördert werden könnten, was zu Lasten aller ginge. Im Landkreis Greiz hat man für diese Sicht Verständnis:
"Die Förderung ist ein riesengroßer und wichtiger Baustein für uns. Wenn wir alles in Eigenleistung bauen müssten, wäre das böse", sagt Danny Senkowski, der Brückenverantwortliche des Kreises. Mehr Förderung wäre sehr wichtig, sagt er, "aber irgendwo muss man ja beide Seiten sehen, damit es im Gesamten reicht."
Hoffnung auf neues Sondervermögen: Viel hilft viel
Vorsichtige Hoffnungen werden gleichzeitig mit Blick auf das neue Sondervermögen wach, das der Bund in dieser Woche beschlossen hat. Mit dem schuldenfinanzierten Topf in Höhe von 500 Milliarden Euro sollen zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und zum Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 erfolgen. Auch Brücken werden immer wieder genannt.
Für die Länder soll die Schuldenbremse gelockert werden. Zusätzlich sollen sie 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen erhalten. Wofür das Geld genau ausgegeben wird, ist noch nicht klar. Im neuen Bundestag soll ein Ausführungsgesetz mit Details beschlossen werden.
"Uns würde es definitiv viel bringen, wenn von dem Sondervermögen in den Kreisen was ankommt", sagt Marcel Mende. Hört man den beiden Fachleuten zu, klingt heraus: Viel hilft viel. "Es liegt ja nicht an den Firmen", sagt Mende. "Wir haben eigentlich derzeit relativ viele Firmen, die sich auf Ausschreibungen bewerben."
Landet das Geld aus dem neuen Sondervermögen tatsächlich vor Ort, könnten die Kreise "viele Instandsetzungsarbeiten leisten, die jetzt ein bisschen rückläufig sind oder aus finanziellen Gründen gar nicht gemacht werden können".
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 21. März 2025 | 18:00 Uhr
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