
Sozialforschung Kinderlos glücklich oder Vaterglück? Warum Männer Kinder wollen - oder nicht
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04. März 2025, 16:01 Uhr
Kinderlos glücklich oder Vaterglück? Familienplanung ist längst nicht nur Frauensache. Aber wie und warum entscheiden Männer ihren Kinderwunsch? Die Duale Hochschule in Gera hat in einer neuen Studie über 1.600 Männer zum Thema "Männlichkeit und Vaterschaft" befragt.
"Ein Mann ist einer, der zu seinem Wort steht, der treu und loyal ist und der regelmäßig seinen kleinen Neandertaler rauslässt", sagt Johannes Thürer halb im Ernst und halb scherzend. Männerabende mit Bier und Grill müssten schon mal sein. Aber für Thürer ist ein Mann auch einer, "der die Familie trägt".
Robert Grundmann würde ihm wohl widersprechen. Er sagt: "Wenn ich höre, ein Mann ist der Versorger der Familie, denk ich mir immer: Sag' das mal einer alleinziehenden Mutter, die das genauso leisten kann." Im Privaten sei dieses alte männliche Denken nicht mehr hilfreich. "Ein Mann ist einer - und so definiere ich Männlichkeit -, der das Selbstbewusstsein hat, daraus auszusteigen."
Beide Aussagen sind Ausschnitte aus zwei intensiven und sehr viel differenzierteren Interviews. Johannes Thürer und Robert Grundmann tun darin etwas, was Männer vermutlich viel zu selten tun: Sie reden über ihre Gefühlswelt, ihre Ehe und ihr Leben mit beziehungsweise ohne Kind. In den Gesprächen gestehen sie sich Ängste und Fehler ein und zeigen - jeder auf seine Weise -, dass das, was Männer subjektiv unter Männlichkeit verstehen, oft sehr fragil ist.
Studie zeigt: Klassische Männlichkeit überwiegt
Ganz im Gegensatz zur gesellschaftlichen Definition von Männlichkeit, die noch immer wie zementiert zu sein scheint. Zu dieser Einschätzung kommt zumindest die neue Studie der Dualen Hochschule Gera-Eisenach (DHGE) zum Thema "Männer, Männlichkeit und Vaterschaft". Die Sozialwissenschaftlerinnen Dr. Claudia Rahnfeld und Annkatrin Heuschkel haben dafür mehr als 1.600 Männer* zu ihrem eigenem Rollenverständnis und zur Vaterschaft befragt.
Rahnfeld erklärt: "In der gesellschaftlichen Definition von Männern, wird der Mann noch immer stark als der Ernährer der Familie gesehen." Darüber hinaus kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass viele Männer, die klassischen Eigenschaften von Männlichkeit noch immer für wichtig halten. Hierzu zählen zum Beispiel körperliche Stärke, Rationalität, Selbstständigkeit oder auch eine handwerkliche Begabung.
Wenn Männlichkeit zur Sucht wird
"Ich könnte schwören, bis ich 25 war, war das mein Männlichkeitsbild: Der starke Mann, für den es keine Gefühle gibt, der Autos mag, Alkohol, Sport und Gruppendynamiken unter Männern", erinnert sich Robert Grundmann, der das heute größtenteils für Unsinn hält. Es sei ein Bild von Männlichkeit gewesen, dass er aus der Werbung, aus Serien, Filmen und Büchern kannte und dass ihn als Jugendlicher stark beeinflusst habe.
Kinderlos glücklich: Wer ist Robert Grundmann?
Robert Grundmann ist 36 Jahre alt und lebt mit seiner Frau in Erfurt. Nach der Bundeswehr studierte er Technik und Mathematik und machte einen Master in Gebäude-Energietechnik. Heute arbeitet er als Windparkentwickler. Seine Frau lernte er 2014 kennen. Seit 2022 sind sie verheiratet. Das Paar hat sich entschieden, keine Kinder zu bekommen.
Obwohl er als Junge gar nicht so gewesen sei, fing er als junger Mann an, eine Idee von Männlichkeit zu verkörpern, die gar nicht seine eigene war. Daraus entstand ein Sog, denn je "männlicher" er wurde, desto mehr Zuspruch bekam er: "Ich habe sehr positives Feedback bekommen. Frauen oder Menschen, die ich beeindrucken wollte, haben darauf reagiert", erzählt er. Irgendwann sei das für ihn wie eine Sucht gewesen.
Erst 2014, als er seine heutige Frau kennenlernte, habe er erkannt, dass Männer auch anders sein können.
Männer wollen Gefühle zeigen
Tatsächlich zeigt die neue Männer-Studie aus Gera, dass es trotz der zementierten Definition von Männlichkeit auch eine Tendenz gibt, dass Männer "emotionale Einfühlsamkeit" zunehmend als männlich definieren.
Das sieht auch Johannes Thürer so: "Das Lustige bei Männern ist, dass die dafür einen Katalysator brauchen." Alkohol und Männerabende zum Beispiel: Da werde erst getrunken und "Scheiße erzählt", bis man dann abends heulend am Lagerfeuer sitze und über die Eheprobleme spreche.
Vaterglück: Wer ist Johannes Thürer?
Johannes Thürer ist 40 Jahre alt, lebt mit seiner Frau und drei Kindern (im Alter von zwei, elf und 17 Jahren) als Patchwork-Familie in Großkayna in Sachsen-Anhalt. Er arbeitet im Industriegebiet Leuna als Industriemechatroniker. Seine Frau lernte er 2010 beim Technischen Hilfswerk kennen. Seit 2016 sind sie ein Paar und seit 2023 verheiratet. Thürer ist der Vater des jüngsten Kindes.
"Es wird dir beigebracht, dass du keine Gefühle zeigen darfst, um nicht angreifbar zu sein", kritisiert er das stereotype Männerbild und wischt sich dabei selbst eine Träne aus dem Gesicht. "Aber ich glaube, man(n) wird auch zum besseren Menschen, wenn man(n) das mal rauslässt und dem anderen zeigt: Ich bin kein Klops, sondern mir geht es eben auch ein bisschen."
So richtig gelernt habe er das durch seinen zweijährigen Sohn. "Diese ungefilterten Emotionen, die aus diesem Kind rauskommen, weil er es ja nicht anders kann, haben mir das gezeigt. Ich muss nicht alles runterschlucken. Ich kann auch mal zeigen, wie es mir geht", sagt er. Thürer ist es wichtig, seinen Kindern auch emotional ein Vorbild zu sein. Stolz erzählt er eine Anekdote: Neulich habe er mit seinem Stiefsohn den Film "Hachiko" gesehen. Am Ende hätten beide zusammen geweint - ein gutes Gefühl.
Bedingen sich Männlichkeit und Vaterschaft?
Die Männerstudie aus Gera hat auch den Aspekt der Vaterschaft untersucht. Nach dem Erfolg der Studie zur gewollten Kinderlosigkeit bei Frauen, die Rahnfeld und Heuschkel 2022 veröffentlichten, wollten sie wissen, wie Männer zum Thema Kind stehen. "Die Rolle der Frau ist gesellschaftlich bedingungslos mit dem Mutterwerden verknüpft. Wir wollten wissen: Ist das bei Männern genauso?", erklärt Rahnfeld.
Das Ergebnis ist deutlich: Für nur 13 Prozent der Männer ist das Vaterwerden ein sehr wichtiger Aspekt von Männlichkeit. Jeder Dritte Mann gibt sogar an, dass es völlig unwichtig dafür ist, sich als Mann zu fühlen. "Das heißt: Vaterschaft ist für Männer eine freiwillige Option", so Rahnfeld. Dann schlägt sie den Bogen zur Studie von 2022: "Das zeigt deutlich, dass der gesellschaftliche Druck zum Kinderkriegen fast allein auf der Frau lastet." Männer seien hingegen viel freier in ihrer Entscheidung, eine Familie zu gründen.
Das nimmt auch Robert Grundmann so wahr. Zusammen mit seiner Frau hat er sich gegen ein Leben mit Kind entschieden. Enttäuschte Blicke von den eigenen Eltern und das Immer-Wieder-Gefragt-Werden seien Teil eines gesellschaftlichen Drucks, der auf gewollt kinderlose Paare ausgeübt werde: "Wenn ich erzählt habe, dass wir geheiratet haben, fragten viele ganz selbstverständlich, ob dann jetzt doch Kinder anstehen."
Oft habe er dann einfach zurückgefragt: "Nee, wieso?" Damit war die Sache meist für ihn erledigt. Grundmann hat aus seinem kinderlosen Lebensentwurf nie ein Geheimnis gemacht hat, ihn teilweise sogar sehr offensiv vertreten. Für Frauen sei das vermutlich anders, meint er: "Wenn ich das schon so intensiv erlebt habe und mit diesen Fragen gelöchert wurde, dann war das für meine Partnerin noch viel schwerer."
Gegen Kinder sprechen für Männer und Frauen die gleichen Gründe
Die Männerstudie hat analog zur Frauenstudie von 2022 erfragt, welche Gründe für Männer gegen ein Leben mit Kind sprechen. Die drei häufigsten Antworten von gewollt kinderlosen Männern waren der Wunsch nach eigener Selbstverwirklichung (62 Prozent), die größere persönliche Freiheit (60 Prozent) und die Freiheit von Verantwortung bei der Kindererziehung (57 Prozent). Es sind die gleichen drei Gründe, die auch gewollt kinderlosen Frauen am häufigsten nannten.
Das Ergebnis deckt sich auch mit Grundmanns Lebensentwurf. Er und seine Frau verreisen gern und finden Erfüllung darin, die Welt kennenzulernen. "Wir genießen das sehr, zu jedem Zeitpunkt das machen zu können, was wir wirklich tun wollen. Das können Elternteile - und ich glaube, da lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster - einfach nicht, weil sie sich dem Kind widmen."
Eine weitere Erkenntnis der Studie: "Männer hegen viele Zweifel, ob sie überhaupt die notwendigen Kompetenzen haben, um ein guter Vater zu sein", sagt Annkathrin Heuschkel. Laut Studie haben die Hälfte aller Männer, die noch unsicher sind, ob sie Kinder bekommen wollen, Zweifel an ihren elterlichen Fähigkeiten. Selbst unter den Vätern hegt jeder fünfte solche Zweifel.
Care-Arbeit noch immer unausgewogen
Deshalb haben sich die Wissenschaftlerinnen auch für den Aspekt der Care-Arbeit in der Elternschaft interessiert. "Seit Anfang der 2000er-Jahre wird immer von den neuen, aktiven Vätern berichtet", sagt Annkatrin Heuschkel. Dieses neue Leitbild der Väter habe die Studie grundsätzlich bestätigt. "Väter wenden sich mehr und mehr von traditionellen Rollenvorstellungen ab und haben den Wunsch, sich die Arbeit mit den Frauen zu teilen."
Das Problem sei aber, das Einstellung und Verhalten noch immer auseinanderdriften: "Da ist leider immer noch eine große Lücke", sagt Heuschkel. "Frauen wenden im Durchschnitt noch immer 44,3 Prozent mehr Zeit für Care-Arbeit auf als die Väter." So lassen sich auch einige Ergebnisse der neuen Studie interpretieren. Zum Beispiel geben nicht mal fünf Prozent der Väter an, dass mögliche berufliche Nachteile für sie einen Grund gegen Kinder darstellen.
Das liegt vermutlich daran, dass sie trotz Kind weiterhin Vollzeit arbeiten. "Wir freuen uns ja immer über Schlagzeilen, dass Männer heute so oft in Elternzeit gehen wie nie", sagt Rahnfeld. "Aber das sind in der Regel nur ein bis zwei Monate. An der Gleichstellungsthematik ändert das wenig."
Rahnfeld geht noch weiter: "Aus den Statistiken können wir ablesen, das emanzipierte Paare heute in den Kreißsaal gehen und in den Fünfzigern wieder rauskommen, weil die Aufgabenteilung klar ist." Hier brauche es mehr gesellschaftliche Anreize und eine aktive Väterpolitik, so Rahnfeld.
Partnerin ist für den Kinderwunsch entscheidend
Das wäre auch deshalb wichtig, weil viele Männer einen Kinderwunsch haben, bei dem Entscheidungsprozess aber die Partnerin die mit Abstand wichtigste Rolle spielt. Die Studie bestätigt, dass ihr Einfluss auf den Wunsch der Männer, Vater zu werden, deutlich höher ist als der von Familie, Freunden oder Bekannten. Etwas verkürzt heißt das: Will die Frau ein Kind, wird es wahrscheinlicher, dass sich auch der Mann ein Kind wünscht.
Bei Johannes Thürer war es etwas anders: Als seine Frau von ihm schwanger wurde, war das eine große Überraschung. Wegen eines Gendefekts galt Thürer eigentlich als zeugungsunfähig. "Die Ärzte haben mir immer gesagt, da passiert nix", erinnert sich Thürer. Darum hatte er sich längst auf ein Leben ohne eigenes Kind eingestellt und damit seinen Frieden gemacht.
Doch plötzlich stand er vor der Entscheidung: Kind oder nicht? Weil seine Frau schon zwei Kinder aus vorherigen Partnerschaften mit in die Ehe gebracht hatte, war sie auch für einen Schwangerschaftsabbruch offen und fragte, was er wolle. "Im Endeffekt entscheidet das ja die Frau. Es ist ihr Körper. Deshalb sagte ich nur: 'Ich würde es mir wünschen, weil es ein Wunder ist, dass das passiert ist'."
Gründe, die für Kinder sprechen
Thürer hat seine Entscheidung nicht bereut. Die Vaterschaft habe ihn auf emotionaler Ebene verändert. "Das ist eine schöne Änderung, weil ich das 38 Jahre lang nicht auf die Uhr gekriegt habe." Thürer sieht die Welt seither durch andere Augen, was laut der Studie der vielleicht wichtigste Grund für Männer im Allgemeinen ist, ein Kind in die Welt zu setzen.
Dem Aspekt, dass Kinder die Welt durch andere Augen sehen lassen, stimmt jeder zweite Vater zu. Auch Männer mit ungeklärtem Kinderwunsch (55 Prozent) und Männer, die eigentlich keine Kinder wollen (33 Prozent) können dem etwas abgewinnen. Für Väter gibt es aber drei noch wichtigere Aspekte: Sie bringen Kinder mit Glück und Freunde (71 Prozent), einem erfüllten Leben (70 Prozent) und dem Wunsch, ein Teil von sich selbst weiterleben zu lassen (58 Prozent), in Verbindung.
Auch gewollt kinderlose Männer sehen häufig, dass es Gründe gibt, warum es schön sein kann, Vater zu werden. Nur jeder dritte gewollt kinderlose Mann kann der Bedeutung von Kindern fürs eigene Leben gar nichts abgewinnen.
Robert Grundmann ist da selbst manchmal zwiegespalten. Auch er habe hin und wieder Zweifel an seinem Leben ohne Kind: "Das Gefühl, etwas zu verpassen, das ist da", sagt er. Aber auch Eltern würden unfassbar viel verpassen und für ihre Kinder aufgeben.
Am Ende bleibt das Kinderkriegen also eine Grundsatzentscheidung, die jedes Paar für sich selbst treffen muss.
* Anm. d. Autoren.: Die Wissenschaftlerinnen weisen darauf hin, dass die Ergebnisse aufgrund der Zusammensetzung des Teilnehmerfeldes nicht repräsentativ sind. Allerdings leitet sich allein aus der Größe der Stichprobe mit mehr als 1.600 befragten Männern eine starke Aussagekraft ab.
MDR (ask)
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