
Tradition Erlebnis Hausschlachtung im Eichsfeld: Vom Anhänger auf den Teller
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08. März 2025, 07:00 Uhr
Die Zahl der Hausschlachtungen im Eichsfeld geht zurück. Einige wenige halten an Tradition und Ritualen fest, weil sie wissen wollen, woher das Fleisch kommt und wie es verarbeitet wurde. Wir waren dabei, als in der Landgemeinde Südeichsfeld ein 300 Kilogramm schweres Schwein geschlachtet wurde.
- Hausschlachtungen in Thüringen - so wird es heute gemacht.
- Es gibt immer weniger Hausschlachtungen in Thüringen.
- Wer selbst schlachtet, muss sich an diese Vorschriften halten.
Marco Fritsch steht mit einer riesigen Zange und einer makellos weißen Gummischürze im deckenhoch gekachelten Raum und schaut zur Tür. Danach dauert es etwa eine Minute - und der Moment, vor dem ich am meisten Bammel hatte, ist überstanden: Ein 300 Kilogramm schweres Schwein trottet aus seinem Hänger direkt auf Fritsch zu.
Der legt die Elektro-Zange am Hals des Tieres an, es fließt Strom. Das Schwein liegt sofort auf der Seite. Es ist nach wenigen Sekunden hirntot. An einer Kette wird es elektrisch am Hinterbein nach oben gezogen. Ein gezielter Stich von Fritsch in den Hals und das Herz pumpt das Blut schwallartig heraus. Dann macht das Schwein nach etwa zwei Minuten seine letzten Grunzer. Jetzt ist es ganz tot.
Blut, Schweiß und Schnaps
Stephan und David wissen genau, was zu tun ist. Es ist ihr Schwein. Sie haben es einem Bauern aus dem Ort abgekauft - für knapp drei Euro pro Kilo - und schlachten es nun gemeinsam mit Fleischer Marco Fritsch in Heyerode. Fritsch bekommt für seine Hilfe und seine Räume ebenfalls Geld von beiden. Azubi Anton hilft eifrig mit. Er ist im ersten Lehrjahr.
David ist Fritschs Schwiegersohn und im "echten Leben" auch Fleischer, nur nicht hier. Später kommen seine kleinen Töchter vorbei, da ist der Boden noch voller Blut. Stephan schlachtet zwei Mal im Jahr für sich und seine Familie und er hilft oft, wenn Gruppen, Vereine, Besucher hier schlachten wollen. Vergangenes Jahr war er mindestens einmal im Monat als "Schlachthelfer" im Einsatz.
Das Schwein liegt inzwischen auf einem Edelstahl-Gestell auf der Seite. Die Männer waschen mit einem Schlauch sein Blut weg - Blutwurst soll es nicht geben. Fleischer Frisch überbrüht das Schwein mit heißem Wasser. Der Geruch erinnert mich an meine Kindheit, als bei meinen Großeltern noch im Hof geschlachtet wurde.
Die Borsten werden abgeschabt und die erste Hautschicht entfernt. Das Schwein sieht jetzt ganz rosa aus und sauber. David flammt es mit einem Bunsenbrenner ab. Es riecht verbrannt im Raum, der sich immer mehr in eine Dampfsauna verwandelt. Durch das Wasser, den Brenner, den Dampf kann ich kaum noch etwas sehen. David schneidet die Ohren ab, die Augen raus, den Kopf ab. Fleischer Fritsch sägt an den Füßen.
Jetzt kommt wieder die Elektrik zum Einsatz. An den Hinterbeinen wird das Schwein hochgezogen. Es wirkt alles sehr professionell, auch wenn es eine Hausschlachtung ist. Ein Schnaps wird eingeschenkt - 30 Minuten nach Beginn, morgens um 8:30 Uhr.
"Wir trinken Bier und Schnaps. Wenn das Schwein am Haken hängt, wird auch einer eingeschenkt", reimt Stephan. Später gibt es weitere Gelegenheiten. Stephan scherzt: "Tun die Därme stärker stinken, muss der Fleischer einen trinken."
Wenn das Schwein am Haken hängt, wird auch einer eingeschenkt.
Selber ein Schwein schlachten - oder zusehen
Fritsch führt einen EU-Schlachtbetrieb. In diesen Räumen schlachtet er jedoch nicht für den Laden und Verkauf. Hier mieten sich Menschen ein, die Tiere schlachten und die Wurst und das Fleisch für sich selbst mit nach Hause nehmen wollen. Oft sind es Leute aus der Gegend, die zu Hause keine Möglichkeit mehr haben, aber auch Vereine, wie eine Skat-Runde, Arbeitskollegen oder Junggesellenabschiede.
Manche kennen das Schlachten, andere nicht. Manche packen mit an - meist die Handwerker, erzählt Fritsch. Andere stehen daneben und schauen zu - so wie ich heute oder Immobilienmakler aus Berlin und Stuttgart. Manche kämpfen mit ihrer eigenen Courage.
"Wir haben auch Frauen dabei, die das Schwein erst noch streicheln … aber wenn dann das warme Gehacktes kommt, dann ist auch gut", erzählt Fritsch. Oft seien die Städter überrascht, welche "Mengen an Wurst aus so einem Schwein rauskommen. Die muss ja dann auch fachgerecht gelagert werden. Deshalb machen die dann eher Gläser, Konserven oder Dosen, die sie hinstellen können." 300 Kilogramm Schwein heißt für Fritsch umgerechnet 150 Kilogramm Gehacktes zum roh Essen - und größtenteils für Würste, wie Stracke, Knackwurst, die hier Bratwurst heißt, oder Feldgieker.
Wer von weiter weg kommt, kann in Fritschs "Erlebnishotel" übernachten. 24 Zimmer gibt es in Deutschlands erstem "Fleischerhotel". 80 Euro kostet die Nacht im Doppelzimmer mit Frühstück. Man ist morgens pünktlich zum Schlachten da und kann sich auch hinlegen, wenn alles doch ein bisschen viel wird - oder es mehr zu trinken gab, als mit Autofahren vereinbar ist.
Wer aus der Nähe kommt und wem eine eigene "Wurstkammer" fehlt, wo er seine Würste kühl abhängen kann, der kann sie bei Fritsch unterbringen. Im Wurstlager steht an jeder Reihe ein Zettel, wem diese oder jene Stracke - die Eichsfelder Spezialität - gehört. Aber soweit sind wir noch nicht.
Inzwischen ist das Schwein am Bauch aufgeschnitten. David holt an einem Strang die inneren Organe wie Herz, Nieren, Leber raus und hängt sie an einen Haken neben den Kopf. Die Därme kommen in eine schwarze Kiste an die Seite.
Beides wird gleich untersucht von Tierarzt Frank Liebaug. Er arbeitet in eigener Praxis - aber fährt seit vielen Jahren auch zu Privatschlachtungen. Er untersucht das geschlachtete Tier, stellt fest, ob das Fleisch genusstauglich ist und bescheinigt es. Für diese Aufgabe ist er beim Landratsamt angestellt.
Was braucht man für eine Hausschlachtung?
Eine Hausschlachtung ist recht aufwändig; man benötigt:
- Ein Fleischer, der eine Genehmigung besitzt, Hausschlachtungen durchzuführen
- Ein (selbst gemästetes) Tier, das geschlachtet werden soll
- Ein Anwesen (Hof), auf dem die Schlachtung stattfindet
- Diverse Fleischverarbeitungsgeräte
- Einen Brühkessel
- Mehrere Personen zur Unterstützung bei der Schlachtung
(Quelle: Veterinär- und Lebensmittelüberwachung Mühlhausen)
Warum geht die Zahl der Hausschlachtungen zurück?
Tierarzt Liebaug macht die Arbeit schon lange. Er hat aus eigener Erfahrung beobachtet, was die nüchterne Statistik sagt. Denn die traditionellen Hausschlachtungen im Eichsfeld sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen. 1990 waren es noch 10.000 pro Jahr. Das für Heyerode zuständige Landratsamt in Mühlhausen hat 2024 insgesamt 645 Hausschlachtungen gezählt.
Während Tierarzt Liebaug die Lymphknoten aufschneidet, das Herz untersucht, ein Stück Muskel aus dem Zwerchfell schneidet und sich die Leber ansieht, erzählt er, wie seine Einsätze zurückgehen. "Es geht deutlich zurück. Vor zehn, fünfzehn Jahren waren es 150 bis 200 Schwein pro Monat. Jetzt sind es vielleicht zehn", so Liebaug. Das Landratsamt des Unstrut-Hainich-Kreises erklärt sich das so:
- Änderung der Lebensweise und Lebensgewohnheiten, auch auf dem Land
- Weniger Fleischkonsum in der Bevölkerung
- Zunehmende vegetarische und vegane Lebensweisen.
Schlachten als Event
Wenn Liebaug darüber spricht, klingt es so: "Es hat ja kaum mehr einer einen Kessel Zuhause, wo der das Fleisch kochen kann oder Wasser warm kriegt. Eigene Schweine werden auch selten gefüttert. Wenn es einen Stall gibt und das Schwein raus ist, wird der zur Garage umgebaut und nie wieder zurück. Es gibt weniger Schweine - die durchschnittliche Klientel, die selbst schlachtet, ist 70 Jahre. Sie selbst dürfen es nicht mehr essen, das hat der Arzt verboten. Die Kinder schimpfen."
Die durchschnittliche Klientel, die selbst schlachtet, ist 70 Jahre. Sie selbst dürfen es nicht mehr essen, das hat der Arzt verboten. Die Kinder schimpfen.
Deshalb gehen viele, die überhaupt noch selbst schlachten, in ein Schlachthaus, wie Fleischer Fritsch es für diese Zwecke eingerichtet hat. Gefliest bis zur Decke, mit Fettabscheider und jeder Menge erfüllten Auflagen. "Schlachten ist mehr so ein Event, wo sich mehrere zusammentun und ein Schlachtfest machen", sagt Liebaug. "Betonung auf Fest, nicht auf Schlachten."
Und auch wenn der Schnaps fließt und die Sprüche derbe sind, alles Spaß machen soll - respektlos kommt es mir nicht vor. Darauf angesprochen, sagt Stephan: "Wie es früher ein Event war, ist es heute auch noch ein Event. Früher war das Schlachten eines der größten Sachen. Ob das Geburtstag war oder Hochzeit - Schlachten gehörte dazu - als Event in jedem Jahr."
Wie Schlachten früher ein Event war, ist es heute auch noch ein Event.
Und auch Fleischer Fritsch ärgert sich über Kommentare, wie er mal über seine Arbeit lesen musste, hier würden "Schweine aus Spaß geschlachtet" - und dann werde aufgerufen, seine Fleischerei abzufackeln. Ihm gehe es darum, Wurst und Fleisch so herzustellen, wie die Menschen es individuell wollen.
"Wir schlachten ja nicht 20.000 Schweine am Tag - wir schlachten ein Schwein für den Anspruch der Leute", so Fritsch. In den Supermärkten gebe es "Standard-Wurst", standardmäßig gewürzt, so Fritsch. "Hier probiert jeder das Gehackte - mehr Pfeffer dran oder mehr Majoran an die Leberwurst. Jeder, wie er es haben möchte", so ein großer Vorteil.
Wir schlachten ein Schwein für den Anspruch der Leute: Jeder, wie er es haben möchte.
Was hat sich verbessert?
Und eben in professioneller Umgebung. Mit vielen Maschinen und Anleitung. Durch das Gewerbliche muss Fritsch etwa die Schweine mit Strom oder CO2 töten. Vorschrift. "Wenn man das mit Bolzenschuss bei den Leuten auf dem Hof macht, dann quiekst und zappelt das Schwein und man braucht drei Mann, um es festzuhalten", erinnert er sich an frühere Hausschlachtungen. Es ist auch meine Erinnerung - selbst nach fast 30 Jahren.
Früher brauchte man drei Mann um ein Schwein festzuhalten.
Beim Verkauf hört der Spaß auf
Tierarzt Liebaug sagt, wer seine Wurst nur selbst esse, der könne machen was er wolle. Ein älterer Kollege habe immer gesagt, die Leute könnten "auch auf einem Misthaufen schlachten" - doch sobald eine Wurst verkauft wird, an einen dann unbekannten Personenkreis, höre der Spaß auf. Da sei es hier schon besser.
Das Schwein ist für genusstauglich befunden. Es bekommt einen Stempel auf den späteren Schinken und die Schulter. Damit ist nachvollziehbar, wer es wo geschlachtet hat. TH 01157 - das ist Fritsch in Heyerode.
Das Stück aus dem Zwerchfell, das er eben rausgeschnitten hat, verdaut er in seinem Labor künstlich an. Bei dieser Untersuchung schaut er nach Trichinen. In Deutschland beim Hausschwein seit den 1970er-Jahren nicht mehr vorgekommen. Aber Fritsch kennt Fälle vom Hören-Sagen oder aus dem Urlaub.
Liebaug meint: "Stirbt man nicht dran, hat man ein Leben lang etwas von diesem Wurm." "Das wollen wir nicht", sage ich. Deshalb ordert Stephan noch einen Schnaps bei Lehrling Anton. Mit den Worten: "Wir glauben dran."
Schon als Baby beim Schlachten
Anton wurde "das erste Mal als Baby zum Schlachten mitgenommen", wie er erzählt. Jahr für Jahr durfte er mehr machen und dadurch habe es "immer wieder mehr Spaß gemacht", so Anton. Nach einem Praktikum entschied er sich für die Ausbildung zum Fleischer. Und natürlich isst er auch nur die Wurst, die hier selbst hergestellt wird.
Der Jugendliche packt richtig an. Er trägt die großen und schweren Fleischstücke vom Schlachtraum zur Verarbeitung. Er schneidet das Fleisch klein, arbeitet die Gewürze ein, mischt das frische Gehackte durch, er schwitzt und muss sich jede Menge Sprüche anhören.
Er ist hier im Ort und mit dem Schlachten groß geworden und wird es weiter. Sicher wird Anton mal ein guter Fleischer. Auch bei den Hausschlachtungen hat er schon seine Beobachtungen angestellt. "Welche, die vom Dorf sind, packen meist mehr an als die großen Gruppen, denen der Bezug fehlt", so Anton.
Die Leute vom Dorf packen mehr mit an.
Und vielleicht ist Bezug ein gutes Stichwort. David sagt, beim Schlachten wird ein Tier getötet. Es wird komplett verarbeitet. Wir essen es auf. "Das darf nicht verloren gehen. Nicht, dass die Kuh lila ist oder sowas für Kinder. Jeder sollte das mal mitgemacht haben. Mindestens einmal."
Jeder sollte das mal mitgemacht haben. Mindestens einmal.
Stimmen Sie ab: Selbst schlachten - ja oder nein?
Wie viele Menschen würden kein Fleisch essen, wenn sie dafür ein Tier schlachten und verarbeiten müssten? Müssen sie aber nicht. Wir können es - anders als früher - einfach jederzeit kaufen. Die Zahlen der traditionellen Hausschlachtungen gehen vielleicht auch deshalb zurück.
David und Stephan wollen aber daran festhalten. Sie wissen, von welchem Bauern das Schwein kommt, sie haben nun Vorrat für ein Jahr, sie haben die Wurst selbst gemacht und das Schwein ein letztes Mal grunzen gehört - bevor es drei Stunden später als warmes Gehacktes auf frischem Brot landet.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Kultur am Sonntagabend | 09. März 2025 | 20:50 Uhr
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