Drei Menschen schauen in die Kamera
Drei Menschen aus dem Eichsfeld über die Frage, warum die AfD im Eichsfeld so stark geworden ist. Bildrechte: MDR/David Straub

Reportage "Die CDU-Bastion ist weg": Warum die AfD jetzt sogar im Eichsfeld dominiert

09. März 2025, 14:07 Uhr

Das Eichsfeld galt lange als letzte Bastion der CDU in Thüringen: katholisch geprägt und konservativ. Doch bei der Bundestagswahl stürzte die AfD die Christdemokraten nach 35 Jahren Vorherrschaft von ihrem scheinbar sicheren Thron. Sie holte die meisten Zweitstimmen und das Direktmandat. Wie ist das passiert?

David Straub schaut in die Kamera.
Bildrechte: Privat

Ritter Clemens von der Wiese steht auf seiner Burg und schaut auf Höckes Dorf. Die Burg Hanstein thront weit sichtbar, im äußersten Nordwesten des Eichsfeld. Am Fuß des Burgbergs liegt Bornhagen, hier wohnt Thüringens AfD-Chef Björn Höcke. Man fragt sich, was bekannter ist: die Bilderbuch-Burg oder das durch seinen Bewohner bekannt gewordene Dorf? Fast jeder zweite machte hier bei der Bundestagswahl sein Kreuz bei Höckes Partei. Früher war das anders: 1990 holte hier die CDU mehr als 50 Prozent der Stimmen.

Eine Burg auf einem Berg
Beliebtes Ausflugsziel im Eichsfeld: die Burg Hanstein. Rechts davon liegt Bornhagen, dahinter beginnt Hessen. Bildrechte: MDR/David Straub

"Stramm" CDU gewählt und katholisch - voll im Eichsfelder Trend

Ritter Clemens ist im echten Leben Rentner und heißt Jürgen Beckmann. Mit seinem Verein, der Eichsfelder Ritterschaft, kümmert er sich um die alte Burg. Sie veranstalten Feste und pflegen ritterliche Bräuche. Beckmann ist "strammer" Katholik, wie er sagt. "Wir waren im Eichsfeld immer eine katholische Enklave, selbst zu DDR-Zeiten ging es am Ostermontag zuerst in die Kirche und dann in die Schule."

Nach der Wende blieb Beckmann im Trend: Wie so viele wurde er "strammer" CDU-Wähler. Bernhard Vogel, Dieter Althaus, Helmut Kohl: Sie begeisterten Beckmann, als er zunächst als Lehrer und danach lange Jahre im Schulamt arbeitete. Heute ist das anders: Beckmann hat mit seiner Erststimme zwar noch den CDU-Kandidaten gewählt, mit der Zweitstimme aber links. "Die Bastion der CDU", so sagt er nüchtern, "ist weg."

Ein Mann schaut in die Kamera
Ritter Clemens von der Wiese alias Jürgen Beckmann auf der Burg Hanstein Bildrechte: MDR/David Straub

AfD gewinnt stark dazu im Eichsfeld

Seit 2017 besteht der Bundestagswahlkreis Eichsfeld aus den Landkreisen Eichsfeld, Nordhausen und dem Kyffhäuser. Im Vergleich zur Wahl 2021 konnte sich die CDU bei den Zweitstimmen stabil bei aktuell 23 Prozent halten.

Doch die AfD baute ihr Ergebnis deutlich aus: Von 22 auf fast 40 Prozent. Vor allem jedoch holte die AfD dieses Mal mit dem Polizisten und Ex-Junge-Alternative-Mitglied Christopher Drößler das Direktmandat. Die CDU war nach 35 Jahren abgesägt.

Bornhagen ist gespalten

Verlässt man die idyllische Burg Hanstein und hört sich unten im schön gelegenen Bornhagen um, trifft man auf einen Mann auf seinem Hof. Auf den Wahlerfolg der Rechten angesprochen, wird er wütend. Für Höcke habe er zuerst sympathisiert, er kenne ihn von früher. "Aber ich bin Anti-Faschist." Er hat nicht mehr viel Gutes für den Parteichef übrig, dessen Haus nur ein paar Hundert Meter entfernt steht. "Das Schlimme ist, unser Dorf ist nur noch für diese braune Scheiße bekannt."

Ein paar Meter weiter, in der Fleischerei, kommen ruhigere Töne, ausweichende Worte. "Hier wird nicht viel über Politik gesprochen", sagt die Verkäuferin.

Eine Straße in einem Dorf
Dorfszene aus Bornhagen. Hinter der Kurve geht es hinauf zu Höckes Wohnhaus und zur Burg Hanstein. Bildrechte: MDR/David Straub

Es ist schade, weil hier eigentlich so viele christlich sind.

Verkäuferin in Heiligenstadt

Eine halbe Autostunde weiter östlich ist das ein bisschen anders. Die Nachmittags-Sonne scheint in Heiligenstadt, der Kreisstadt im Eichsfeld. In der Fußgängerzone finden sich diejenigen, die enttäuscht darüber sind, dass die AfD jetzt auch im Eichsfeld so stark geworden ist. "Es ist schade, weil hier eigentlich so viele christlich sind", sagt eine Passantin. Und eine andere meint: "Die Jungen sind es, an denen es liegt."

In drei Schichten gearbeitet. Trotzdem bleibt nicht viel hängen.

Renter aus dem Eichsfeld

Es gibt aber auch andere Töne: Ein frisch gebackener Rentner, der erst nichts sagen will, weil man öffentlich nichts mehr sagen dürfe, tut es dann doch. "Ich habe die AfD gewählt. Weil ich mit vielen Sachen unzufrieden bin. Ich habe in den letzten 20 Jahren in drei Schichten gearbeitet. Trotzdem bleibt nicht viel hängen. Ich bin nicht gegen Ausländer und ich glaube nicht, dass sich was ändern würde, wenn die AfD in Verantwortung wäre. Aber sie wäre besser für Deutschland." Es gab, so sagt es der Mann, einfach zu viel Stillstand in den vergangenen Jahren. Viele hätten deshalb aus Protest die AfD gewählt.

AfD gewählt: "Dann ist man der Böse"

Miriam Löffler beobachtet, dass solche Meinungen selten öffentlich geäußert werden. Dass es ein paar wenige Menschen gibt, die ihre lautstarke Zustimmung zur AfD als etwas Rebellisches zeigen wollen. Aber dass viele Menschen ungern öffentlich erzählen, wenn sie die AfD wählen. AfD-Wähler hätten keine Lust, verurteilt zu werden: "Weil das ja die falsche Meinung ist. Dann ist man der Böse."

Eine Frau schaut in die Kamera
Miriam Löffler ist bestens vernetzt: durch ihr Engagement in der Kirche, bei der Feuerwehr oder beim Coworking in Heiligenstadt. Bildrechte: MDR/David Straub

Löffler kommt aus einem Dorf bei Heiligenstadt, eine halbe Autostunde östlich von Bornhagen. Die Mutter von zwei Kindern ist bestens vernetzt, arbeitet in Göttingen und engagiert sich nebenbei viel in der Kirchgemeinde, in der Freiwilligen Feuerwehr und dem Coworking in Heiligenstadt.

Löffler beschreibt, dass die Strukturen in den Eichsfelder Gemeinden immer noch stark sind. "Es kommen so viele Kinder zu uns in die Jugendfeuerwehr, die sind einfach nur glücklich, da zu sein." Auch die religiösen Traditionen seien nach wie vor wichtig - gerade in den Dörfern.

Björn Höcke braucht sich doch jetzt nur hinzusetzen und zu meditieren.

Miriam Löffler

Gleichzeitig, sagt sie, seien die Strukturen nicht mehr so stark wie früher. Und die Unsicherheiten sind größer geworden. Die Anfälligkeit, in der AfD die ultimative Lösungsbringerin zu sehen, sei groß, sagt Löffler. "Gerade wenn in so einer schnelllebigen Welt wie heute das Gefühl kommt, mir geht es irgendwie nicht so gut."

Löffler findet es falsch, wenn sich die politischen Kräfte in Zukunft auf die AfD als Hauptproblem konzentrieren sollten. Oder gar ein AfD-Verbot anstreben würden. Das würde ihre Wähler nur noch mehr abstempeln. "Das ist auch nach den Landtagswahlen passiert. Es wurden alle AfD-Wähler nur noch ruhiger und haben sich gesagt, ihr werdet schon sehen. Und jetzt warten sie vier Jahre lang. Björn Höcke braucht sich jetzt nur hinzusetzen und zu meditieren."

Drei Menschen schauen in die Kamera 2 min
Bildrechte: MDR/David Straub

Hat die alte Alternative abgedankt?

"Gleich so was Schweres", seufzt Michael Schmudde, als er gefragt wird, warum die AfD im christlich geprägten Eichsfeld so zugelegt hat. Er spricht von einem "Dammbruch" für das Eichsfeld. Die Frage beschäftigt ihn, er ringt mit sich.

Schmudde ist der evangelische Pfarrer in Worbis, noch einmal etwas östlicher gelegen als Heiligenstadt. Schmudde beschreibt, dass die Kirche noch eine wichtige Rolle bei vielen Menschen einnimmt: Viele wollen ihr Kind taufen lassen, es gibt viele Konfirmanden. Gleichzeitig zählt er zunehmend weniger Besucher in den Gottesdiensten: "Die Bindungskraft der Kirche schwindet. Die Verbindlichkeit der Menschen schwindet."

Ein Mann schaut in die Kamera
Michael Schmudde vor seinem Pfarrhaus und der Kirche in Worbis Bildrechte: MDR/David Straub

Schmudde will unbedingt eine politische Position beziehen. Er demonstriert gegen Rechtsextremismus, wofür er auf Facebook angefeindet wird. Er erzählt, dass die Leute mit ihm aber nicht offen über Politik oder gar ihr Wahlverhalten sprechen.

Dennoch merkt er, "dass die Leute etwas suchen - etwas, wo sie eine Alternative finden". Die Kirche, so sagt der Pfarrer, war in der DDR die Alternative. "Wir waren der Club, der etwas Alternatives vorschlagen und vorleben konnte. Mit der Botschaft, der Mensch ist frei, sich zu entscheiden." Folgt man Pfarrer Schmuddes Argumentation steht da eine AfD, die die Kirche in ihrer Alternativ-Funktion abgelöst hat. "Ich kann mir vorstellen, dass genau das die Menschen lockt."

Eine Frechheit, die man sich jetzt zutraut.

Pfarrer Michael Schmudde

"Man traut sich jetzt das zu machen, was man früher nicht gemacht hat. Früher war es unanständig, aus der Kirche auszutreten." Schmudde klingt nicht vorwurfsvoll, er kann nachvollziehen, dass Menschen mit der Institution Kirche hadern. "Aber irgendwann durfte man es, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Und ich glaube, das ähnliche Phänomen erlebe ich jetzt bei den Wahlen. Eine Frechheit, die man sich jetzt zutraut."

Grund ein Grund?

Vermutlich wäre die Suche nach Gründen für den AfD-Sieg im Eichsfeld nicht vollständig, ohne einen getroffen zu haben: Manfred Grund. Grund ist Eichsfeld- und CDU-Urgestein. Seit 1994 sitzt er für die Union im Bundestag, doch die beiden Sitzungen kommende Woche werden seine letzten sein.

Ein Mann schaut in die Kamera
CDU-Politiker Manfred Grund in der Fußgängerzone von Heiligenstadt. Hier ist er ein bunter Hund. Bildrechte: MDR/David Straub

Grund hat politische Karriere gemacht, war Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion und zog bei jeder Wahl per Direktmandat ein. Höhepunkt war 2013, als Grund fast 50 Prozent im Wahlkreis holte. Danach ging es mit den Prozentzahlen Wahl für Wahl nach unten - auch wegen Angela Merkel, wie er zwinkernd sagt. Es gibt viele, die während dieser Recherche sagen: Dass Grund dieses Mal nicht mehr angetreten ist, ist mitentscheidend für den Triumph der AfD.

Momentan räumt Grund sein Wahlkreisbüro aus, direkt in der Fußgängerzone in Heiligenstadt. Hier hat auch Thüringens Landtagspräsident Thadäus König sein Büro. Beim Interview im Café grüßt Grund am laufenden Band Passanten. Das Eichsfeld - sein Dorf.

Was denkt er selbst über das neue, blauere Eichsfeld? Grunds Nachfolger als CDU-Direktkandidat, David Gregosz, hätte wegen des kurzen Wahlkampfes zu wenig Zeit gehabt zum "politischen Staubwischen". Also für den Haustürwahlkampf oder um Veranstaltungen zu besuchen. Ohnehin hätte es auch für ihn, Grund, 2021 nur noch knapp gereicht, als ihm nur das besonders starke Ergebnis im Landkreis Eichsfeld zum Sieg verhalf. Die anderen beiden Landkreise Nordhausen und Kyffhäuser waren damals schon blau dominiert.

Wir haben die Leute nicht mehr.

Manfred Grund (CDU)

Grund spricht darüber hinaus über ein Strukturproblem seiner Partei: Die CDU sei schwächer als früher in den "vorpolitischen Räumen" vertreten. Sprich, es gibt Grund zufolge zu wenige aktive Mitglieder, die in Vereinen sichtbar sind. "Wir haben die Leute nicht mehr. Die neuen, mittleren Generationen sind so mit sich und ihrer Familie und mit dem Beruf beschäftigt. Dann ist es einfach eher unpolitischer." Eine Enttäuschung über die CDU auf Bundesebene, ein Gefühl der Überforderung und allgemeiner Unzufriedenheit erledigten den Rest.

Die Uhren gehen im Eichsfeld nach wie vor ein bisschen anders.

Jürgen Beckmann

Auf der Burg Hanstein ist Ritter Clemens alias Jürgen Beckmann auf der Straße nach London angelangt. Benannt nach den Szenen aus dem Film "Medicus", die auf der Burg im Eichsfeld gedreht wurden. Auch für Beckmann sind es viele Gründe, die für das Erstarken der AfD eine Rolle spielen.

Den Kopf in den Sand will er aber nicht stecken - trotz des jüngsten Wahlergebnisses. "Die Uhren gehen im Eichsfeld nach wie vor ein bisschen anders. Die Eichsfelder ticken ein bisschen anders. Sie sind heimatverbunden, bisschen stur, aber ansonsten ganz freundlich."

Mehr zu den Nachwirkungen der Bundestagswahl

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 24. Februar 2025 | 10:00 Uhr

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