Stiftsdame Gisela und ihre Freundinnen
Bildrechte: MDR/Bernd Lindig

Weimar Die Leichtigkeit des Alters: Das Kultur-Pflegeheim der Marie-Seebach-Stiftung

24. September 2024, 08:23 Uhr

Seit fast 130 Jahren hat das Marie-Seebach-Stift in Weimar seine Pforten geöffnet. Für Menschen, die dort ihre letzten Jahre verbringen. Besonders ist die Fülle an Kulturveranstaltungen, die sich den Bewohnern dort bietet.

"Wir sehen uns im Seebach-Stift", so verabschiedete man sich noch auf den Bühnen der DDR. Was so viel meinte wie: Wenn wir mal alt sind, kommen wir dort unter: in Weimar, in Deutschlands einzigem Altersheim für Schauspielerinnen und Schauspieler.

Obwohl, so ganz stimmte das schon zu DDR-Zeiten nicht mehr. Die Bestimmung des Heims war seit 1950 in Bühnenangehörige und Kulturkader erweitert worden - aus Gründen: schließlich zählte Gesinnung etwas im Arbeiter-und Bauernstaat. Das war zur Gründung der Stiftung 1895 noch ganz anders. Bedürftig musste man sein, bevorzugt weiblich, bevorzugt alleinstehend und vom Solopersonal, dann hatte man die Chance auf eines der 14 Stiftszimmer. Und nannte sich dann nach dem Einzug auch entsprechend so: Stiftsdame oder- Herr.

Die Zeichnung einer Frau in schwarz-weiß.
Das zeitgenössische Porträt zeigt die deutsche Schauspielerin Marie Seebach (1829-1897), Gründerin des Heims. Bildrechte: picture-alliance / dpa

Armut unter Künstlern zu Seebachs Zeiten verbreitet

"Wenn man zurückschaut in die Gründungszeit der Seebach Stiftung 1895, da gab es wohl tatsächlich ganz viele Kolleginnen und Kollegen von Marie Seebach, die in Armut und elenden Verhältnissen endeten, weil es kein Versorgungssystem gab", sagt Geschäftsführer Bernd Lindig. "Es kam dann auch die erste Gewerkschaft für die Bühnenkünstler auf, die auch quasi als Nachfolger noch immer besteht. Und diese Gewerkschaft und Marie Seebach zusammen haben dieses erste Altersheim für Bühnen-Künstlerinnen und -künstler gegründet."

Geleitet wurde das Heim von einem Kuratorium. Das ist bis heute so und dessen Mitglieder sind nicht nur Honoratioren der Stadt, sondern auch: der jeweilige Intendant des Deutschen Nationaltheaters. Der Ehrensitz gehört sozusagen zur Jobbeschreibung, bis heute. Man darf gespannt sein, wie sich das neue Intendantentrio aufteilen wird.

So einzigartig die Seebachstiftung für Deutschland ist, so besonders ist ihr Überleben durch mehrere Regime und politische Stürme. Natürlich wurde nach 1933 auch das Stift gleichgeschaltet und missliebige Bewohnerinnen, Bewohner und Personal entfernt. In den Archiven gähnt dazu eine auffällige Leere. Zudem fühlte sich Emmy Göring, vormalige Emmy Sonnemann und Schauspielerin am Weimarer Theater, bemüßigt, das Heim mit einem Erweiterungsbau zu beglücken - für "Arier only".

Aber genauso natürlich wurde auch im Sozialismus nicht einfach jeder aufgenommen. Am Ende landeten auffällig viele Altkader im vergleichsweise individuell ausgestalteten Schauspielerheim.

Fakten zum "Marie-Seebach-Stift"

Die Marie-Seebach-Stiftung ist einzigartig in Deutschland. Gegründet 1895 von der berühmten und reichen Schauspielerin Marie Seebach, richtete sich das Heim an verarmte ehemalige Schauspieler und Schauspielerinnen. Heute ist es eine Einrichtung für rund 100 kulturinteressierte Seniorinnen und Senioren. Manche von Ihnen sehen auf eine Vergangenheit als Sänger, Fotografinnen oder Maler zurück. Für andere sind Kunst und Kultur einfach unverzichtbare Bestandteile des Lebens.

Sie finden hier nicht nur Gleichgesinnte, sondern genießen ein tägliches Angebot an Konzerten, Lesungen, Ausstellungen und Theateraufführungen. Möglich macht das ein stabiles Netzwerk in der Stadt: Die Stiftsfrauen und Männer sind Teil des Stadtlebens und es ist selbstverständlich, dass zum Beispiel Musikstudenten hier auftreten oder Schauspieler ihre Kunst zeigen.

Mittlerweile für alle geöffnet

Times are a changing: Nach 1990 änderte sich viel und gründlich. Was vorher zu den Heiligen Kühen der Stiftung gehörte, wurde abgeschafft: aus dem Altersheim wurde ein Pflegeheim, dazu gibt es angeschlossene Mietwohnungen mit Service und Kultur, wie es heißt. Wohnen darf hier heutzutage jeder und jede. Allerdings: Kulturinteresse schadet nicht. Denn eins hat sich nicht geändert: das Kulturprogramm für die Bewohnerinnen und Bewohner ist üppig.

"Ich habe als Musiklehrerin gearbeitet und dann, als die Kinder aus dem Haus waren, noch einmal studiert. Ich hatte also ordentlich was zu tun", erzählt eine Stiftsdame. "Ich bin jetzt seit einem Jahr hier und es ist schön. Ich habe nie so viele wunderbare Konzerte gehört wie hier. Ich bin ganz begeistert. Also so was gab es bei uns nicht."

Das Ehepaar Walter genießt die gemeinsamen Stunden
Dieses Ehepaar genießt die gemeinsamen Stunden im Stift. Bildrechte: MDR/Bernd Lindig

Win-Win für Künstler und Senioren

Wie sich das finanziert? Gar nicht. Das Angebot mit Konzerten, Lesungen oder kleinen Tanzaufführungen trägt sich allein durch das vielfältige Netzwerk der Marie-Seebach-Stiftung, zu dem das Deutsche National Theater ebenso gehört, wie die Musikschule Belvedere und die Hochschule Franz Liszt. Ein Auftritt von Schülerinnen und Studenten im Konzertsaal der Stiftung gehört zum guten Ton.

Das bestätigt Christian Wilm Müller, Professor an der Musikhochschule Franz Liszt: "Wir lernen es nur auf der Bühne. Also können wir noch so viel im stillen Kämmerlein arbeiten und uns hier Gedanken machen. Wir müssen es auf die Bühne bringen können. Und das muss man trainieren von klein auf. Alle, die hier lehren nutzen diese Chance, weil es ein grandioser Raum ist mit einer tollen Akustik, ein sehr guter Flügel und wirklich ein absolut dankbares Publikum."

Die Künstlergruppe „Gnadenlos schick“ im Forum der Marie-Seebach-Stiftung
Die Künstlergruppe "Gnadenlos schick" tritt vor den Bewohnern des Pflegeheims im Forum der Marie-Seebach-Stiftung auf. Bildrechte: MDR/Bernd Lindig

Bei den Veranstaltungen in der Stiftung ist jeder willkommen, auch von außerhalb. Darüber hinaus organisieren die Mieterinnen und Mieter ihre eigenen Aktivitäten. Das und das besondere Augenmerk auf die Bedürfnisse, die über bloße Pflegeleistung hinausgehen, schafft eine ganz einzigartige Atmosphäre - den "Geist von Seebach" könnte man sagen.

"Hier kann man sich wohlfühlen“, sagt die 97-jährige Stiftsdame Gisela. „Ich wollte nicht weg von zu Hause. Aber da gab es auch wirtschaftliche Gründe, es war viel zu teuer, viel zu groß. Als ich den Schlüssel bei meinem Auszug auf das Fensterbrett legte, wusste ich: Nun habe ich keine Heimat mehr. Dass ich hier eine finde, habe ich so schnell nicht gedacht."

Mehr aus dem Marie-Seebach-Stift sehen Sie am Dienstagabend um 21:00 Uhr im MDR-Fernsehen bei "Der Osten - Entdecke wo du lebst". Oder schon jetzt in der Mediathek:

Das Ehepaar Walter genießt die gemeinsamen Stunden. 44 min
Die Leichtigkeit des Alters Bildrechte: MDR/Bernd Lindig

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Der Osten - Entdecke wo du lebst | 24. September 2024 | 21:00 Uhr

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