Kulturpolitische Empfehlungen Wie der Kulturrat Thüringen mit Theater & Co. mehr Menschen erreichen will
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11. Juni 2024, 15:04 Uhr
Der Kulturrat Thüringen hat am Dienstag eine Broschüre mit Empfehlungen zur kulturellen Bildung und Teilhabe präsentiert. Sie ist Ergebnis zweijähriger Beratungen mit rund 130 Vertretern aus dem Kulturbetrieb, darunter Museen, Theater, Bibliotheken und Bildungseinrichtungen. Das Papier bündelt deren Bedarf – etwa bei Finanzierungsfragen, der Unterstützung von Ehrenamtlichen, Fragen zu Inklusion oder Kultur auf dem Land. Die Ergebnisse erklärt Projektleiterin Stefanie Müller-Durand im Interview.
- Nach zweijährigen Beratungen mit diversen Kulturvertretenden hat der Kulturrat Thüringen eine 42-seitige Broschüre mit Empfehlungen zur kulturellen Bildung und Teilhabe veröffentlicht.
- Eine der wichtigsten Herausforderung ist aus Sicht der Fachleute, im ländlich geprägten Thüringen mehr Menschen abseits der Städte Kultur zugänglich zu machen.
- Außerdem erklärt der Kulturrat in seinem Papier, wie Ehrenämtler im Kulturbereich besser unterstützt werden sollten.
MDR KULTUR: Der Kulturrat denkt mit Partnern über neue Strategien nach – in einem großen zweijährigen Projekt, gut ausgestattet. Ich frage mich: Dieses Papier, das da nun vorliegt, symbolisiert das auch ein wenig einen Wandel in der Thüringer Politik, ist die kulturelle Bildung und Teilhabe als Thema wichtiger geworden?
Stefanie Müller-Durand: Auf jeden Fall. Das ist ein wunderbares Zeugnis dafür, dass da Veränderungen gewünscht sind – und auch erkannt wurde, dass kulturelle Bildung und Teilhabe wirklich ein Schlüssel sein können, um sehr viele verschiedene Veränderungen anzustoßen; und auch das Bewusstsein wirklich dafür gegeben ist, dass das der Ort ist, an dem wir Menschen abholen, begegnen können und auch müssen.
Kulturminister Hoff hat Ihren Bericht vorab kommentiert; er hat auch noch einmal betont, wie entscheidend es sei, jetzt Herausforderungen und Entwicklungen in der kulturellen Bildungslandschaft in Thüringen zu identifizieren. Welche großen Herausforderungen haben Sie denn gefunden?
Wir haben in Thüringen ja die Besonderheit: 90 Prozent der Fläche ist ländlich. Und das heißt, dass 70 Prozent der Thüringer auf dem Land leben. Das ist deutlich mehr als im bundesweiten Durchschnitt, da sind es nur 50 Prozent. Und damit haben wir auch mit anderen Bedingungen zu tun, die kulturelle Bildung und Teilhabe braucht.
Und es ist auch ganz wichtig, dass wir in Thüringen diesen Fokus darauf legen, zu verstehen: Gerade in Ostdeutschland haben wir ja diese Besonderheit, dass die ländlichen Regionen nicht die gleichen Teilhabechancen haben wie im Bundesvergleich.
90 Prozent der Fläche ist ländlich. Und das heißt, dass 70 Prozent der Thüringer auf dem Land leben.
Das heißt, hier fällt das durchschnittliche Einkommen niedriger aus. Die digitale Infrastruktur ist nicht so ausgebaut, der öffentlichen Nahverkehr ist nicht so gut ausgebaut und auch Gesundheitsvorsorge und Bildungseinrichtungen liegen weiter entfernt. Und wenn man sich diese Herausforderungen vergegenwärtigt, heißt das natürlich für die kulturelle Bildung, dass sie da auch anders ansetzen darf.
Zum Beispiel, indem Bildungsangebote mobiler angeboten werden oder auch der Fokus auf digitale Angebote mehr gelegt wird, beziehungsweise, dass uns einfach bewusst sein muss, dass die Strukturen, die wir jetzt haben, gestärkt und ausgebaut werden müssen, damit wirklich alle Menschen Zugang haben zu Kunst und Kultur.
In den ländlichen Räumen lastet viel Kulturarbeit auf den Schultern von Leuten, die das ehrenamtlich machen. Das Geld der Kommunen ist knapp und es gibt diesen großen Graben: zwischen dem, was sie sich wünschen an Angeboten, und dem, was in der Realität mit dieser freiwilligen Aufgabe passiert. Gibt es denn aus dem Kulturdialog neue Ideen, wie sich dieser Graben schließen ließe?
Es gibt einzelne Ideen, die wir haben. Einige davon beziehen sich zum Beispiel auch ganz klar auf die Stärkung des Ehrenamts. Zum Beispiel, indem wir den Ehrenamtlichen Weiterbildungsangebote machen, in denen wir eine andere Art von Informationsvermittlung geben, also einfach Hilfestellung leisten.
Aber wir müssen zum Beispiel auch durch die Thüringer Ehrenamtsstiftung den Nachwuchs mehr fördern. Es gibt eine Befragung der Thüringer Ehrenamtsstiftung von 2020, die sagt, dass 77 Prozent der Kulturakteure sagen, dass sie zunehmend Probleme haben, Ehrenamtliche zu gewinnen.
Also wir müssen da helfen, dass die Menschen bleiben, aber auch agiler werden, und verstehen: Heute ist es so, dass vor allen Dingen auch jüngere Menschen sich nicht nur an einem Ort dauerhaft ehrenamtlich engagieren wollen, sondern sie wollen auch flexibler sein. Und sie wollen mehr Freiheiten haben, Entscheidungsbefugnisse. Und das sind so Bewegungen, auf die muss man eingehen.
Ein ganz großes Problem in allen Bereichen der kulturellen Bildung ist die zeitintensive Bürokratie.
Und ein ganz großes Problem eigentlich in allen Bereichen der kulturellen Bildung ist die zeitintensive Bürokratie. Das hat aber auch etwas damit zu tun, wie flexibel sind Förderbedingungen? Also kann man auch in bestimmten Situationen noch mal flexibel reagieren? Oder ist das, was ich am Anfang beantragt habe, wirklich das Nonplusultra?
Denn es ist ja auch so, dass wir in der Kulturarbeit vor Ort dann manchmal merken, dass die Ideen, die wir hatten, gar nicht mehr so gut umgesetzt werden können. Oder dass man sie einfach anpassen muss, weil der Bedarf sich plötzlich verändert hat. Das sind so Stellschrauben, da können wir sehr viel bewirken und die Menschen, die Kulturarbeit leisten und Bildungsarbeit anbieten, auch wieder stärken.
Neue Ideen werden idealerweise von der kommunalen Verwaltung unterstützt und mitgetragen. Jetzt haben wir die Ergebnisse der Kommunalwahl in Thüringen. Die AfD mit ihren Ideen zur Kulturpolitik und Inklusion ist in vielen Kreistagen und Stadtparlamenten stark vertreten. Wie lautet also jetzt Ihr Auftrag an die Politik, auch mit Blick auf die Landtagswahlen im September?
Der Kulturrat Thüringen als Dachverband für die kulturellen Spartenverbände ist ein ernstzunehmender Partner, der ja die Fachverbände vertritt und wir, beziehungsweise die Geschäftsführung, wird natürlich mit dem, was wir hier veröffentlicht haben, auch ins Gespräch gehen und auf Kulturpolitiker*innen zugehen und Verständnis dafür erwecken und auch mit Nachdruck versuchen, dafür einzustehen, dass das, was wir geschaffen haben in den letzten Jahren und was wir herausgefunden haben, dass es wichtig ist, dass das Platz findet in allen politischen Sondierungen, die jetzt anstehen.
Quelle: MDR KULTUR (Ellen Schweda), redaktionelle Bearbeitung: hki, sg
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. Juni 2024 | 07:10 Uhr