Genius Loci Buchenwald: Weimarer Festival zwischen Kunst und Erinnerung
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30. August 2024, 18:10 Uhr
Zum ersten Mal wird das Festival Genius Loci in Weimar die Gedenkstätte Buchenwald bespielen. Am Wochenende der Landtagswahl in Thüringen sollen drei Kunstprojektionen auf dem ehemaligen KZ-Gelände an die Geschichte erinnern. Das Motto lautet "Gefühlt ist es 5 vor 33". Trotz des ernsten Umfelds will das Festival, das zuvor unter anderem die Anna Amalia Bibliothek oder das Deutsche Nationaltheater bespielte, weiterhin unpolitisch bleiben – aber auch zum Nachdenken anregen.
- Bisher hat das Festival Genius Loci Weimars Innenstadt belebt, nun bespielt es erstmals die Gedenkstätte Buchenwald mit kunstvollen Projektionen.
- Es ist die erste externe Veranstaltung auf dem KZ-Gelände und damit ein großes Wagnis.
- Die drei Projekte sollen Menschlichkeit, Kriegserfahrungen und Traumata fühlbar machen.
"Wir bespielen relevante Orte in Weimar", sagt Festivalleiter Hendrik Wendler. "Und da ist natürlich klar, dass irgendwann Buchenwald dran ist." Die Überlegung, Buchenwald zu bespielen, stand für die Festivalleitung des Genius Loci schon länger im Raum. Zur 75-jährigen Befreiung von des ehemaligen KZ wollte das Festival das heutige Mahnmal bereits 2020 inszenieren, was aber durch die Corona-Pandemie verhindert wurde. 2024 waren für die Veranstalter auch die anstehenden Landtagswahlen ein Grund für die Ortswahl.
"Dass wir mal innehalten und an einen Ort gehen, der übrig geblieben ist aus der letzten Zeit, in der Populismus ungehemmt ins Völkische überschlug, ist ein Zeichen, das wir setzen möchten", so der Festival-Leiter. Unter dem Motto "Gefühlt ist es fünf vor 33" hatte das Genius Loci im Frühjahr 2024 den Wettbewerb ausgeschrieben. Das Motto habe man international verstanden, sagt der Festivalleiter. Mehr als 100 Arbeiten aus 22 Nationen wurden eingereicht. Am Ende sind drei Beiträge ausgewählt worden, die nun am Mahnmal Buchenwald gezeigt werden. Bespielt wird die Straße der Nationen, der Glockenturm und der Stelenweg – nicht die Massengräber.
Buchenwald als würdiger Ort für Kunst?
Für eine würdevolle künstlerische Auseinandersetzung und eine korrekte Darstellung historischer Kontexte hat das Genius Loci eng mit der Gedenkstätte Buchenwald zusammengearbeitet. Es ist die erste externe Veranstaltung auf dem Gelände. Am Anfang habe man dabei ein gewisses Bauchschmerzgefühl empfunden, gibt Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner zu. Schließlich mache man Kunst auf einem Friedhof – und an einem Mahnmal aus DDR-Zeiten. "Wir wollten das nicht denunzieren. Aber mit klugen Mitteln kann man das durchaus dekonstruieren", meint der Historiker. Mit der Zusammenarbeit mit dem Festival ist er zufrieden.
Dass wir mal innehalten und an einen Ort gehen, der übrig geblieben ist aus der letzten Zeit, in der Populismus ungehemmt ins Völkische überschlug, ist ein Zeichen, das wir setzen möchten.
Das Festival versteht das Mahnmal als Medium, das Es will das Mahnmal nicht über-, sondern bespielen. Es beleuchtet Details, wirft dokumentarisch Schatten und stellt dem Gedenken an die Massen das Persönliche gegenüber. Teils verspielt, teils gewaltvoll: Durch das Zusammenspiel von Bild, Klang und Licht wird hier Geschichte erweitert – und mit modernem Blick reflektiert.
Kunst-Pfade in der Gedenkstätte
Die Straße der Nationen wird von der Gruppe Area Composer bespielt. Der 300 Meter lange Weg, vorbei an 18 angestrahlten Pylonen, ergibt einen Fluss von Bildern, die ineinander übergehen – mal zärtlich, mal brutal. Das Werk des Künstler-Kollektivs aus Düsseldorf heißt empathy. "Uns geht es darum, diese Straße der Nationen zu einem menschlichen Schicksalsweg zu machen. Das bedeutet, dass wir den Opfern, die hier begraben liegen, wieder eine Stimme geben", erklärt Dorothee Pilavas.
Am Glockenturm steht die Interpretation eines Textes im Vordergrund: Rainer Maria Rilkes Gedicht "Die Stille" wurde von der Animationskünstlerin Marina Konther inszeniert. In Rilkes Text geht es um das individuelle Fühlen in der Hektik des Krieges. Die Verse über den jungen Mann, der im Krieg nur darüber nachdenkt, seine Geliebte wiederzufinden, wird von der deutsch-französischen Künstlerin großflächig auf dem Glockenturm zum Leben erweckt. Sie stellt ein individuelles Gefühl auf einer sonst anonymen Fläche dar.
Die italienische Gruppe "mammasONica" projiziert auf die Stelen des Mahnmals. Jede Stele stellt eine Etappe auf dem Weg vom Trauma zur Heilung dar. Jede Stufe ist geprägt von einer anderen Emotion – die Arbeit erinnert an die vielen Wege und Zwischentöne in Buchenwald.
Weimarer Festival will kein politischer Raum sein
Trotz der Ortswahl zum Wahlwochenende: Das Genius Loci sieht in seiner Ausgabe am Mahnmal Buchenwald eine Symbolik, versteht sich aber nicht als politischer Raum. Hendrik Wendler will keine Wahlempfehlung präsentieren, sondern an Mitmenschlichkeit erinnern. "Das sind drei Ringgräber. Tausende von ermordeten Menschen. Wir reden hier einfach über die Grundlage der Zivilisation, die hier seinerzeit nach unten durchbrochen wurde. Darauf können wir uns doch alle einigen. Oder?"
Redaktionelle Bearbeitung: tsa, bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. August 2024 | 17:10 Uhr