Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen EOW Weimar.
Das Betriebsgelände steht seit Jahren leer und soll abgerissen werden. Bildrechte: MDR/Cornelia Mauroner

Industriebrache mit dunkler Geschichte Geplanter Abriss des EOW in Weimar lässt Teil der NS-Geschichte verschwinden

05. April 2023, 19:23 Uhr

Es ist das, was Fans außergewöhnlicher Fotografie einen perfekten "Lost Place" nennen. Das Betriebsgelände des ehemaligen VEB Elektrotechnik Oberweimar (EOW) ist in Teilen dem Verfall preisgegeben. Nun soll es abgerissen werden. Allerdings droht damit ein Teil Kriegsgeschichte zu verschwinden.

Autorenbild Conny (Cornelia) Mauroner
Bildrechte: MDR/Conny Mauroner

  • Ein Historiker ist in Archiven auf Hinweise zu Zwangsarbeit im früheren VEB Elektrotechnik Oberweimar gestoßen.
  • Nicht gegen den Abriss, aber für Erinnerung: Auf dem Gelände soll auf die Zwangsarbeiter hingewiesen werden.

Alles platt machen für den Hochwasserschutz. Jahrelang haben Weimars Stadträte um das Gelände des EOW gerungen. Nun ist die Entscheidung gefallen. Die Industriebrache mit ihren riesigen Lagerhallen soll fallen. Auch eine Villa inmitten der löchrigen Hallen steht auf der Abrissliste. Die Bodenplatten sollen entfernt und eine Flutmulde angelegt werden. So berichtet es Baudezernentin Claudia Kolb (SPD). "Das Gelände soll renaturiert werden. Es sollen Wege und Naturschutzflächen angelegt werden, damit es die Bevölkerung nutzen kann."

Betrieb hat tragische Geschichte

Was weder Kolb noch dem Rest der Stadtspitze bewusst gewesen ist: Das EOW hat eine teils tragische Geschichte. Historiker Marc Bartuschka hat recherchiert und herausgefunden, dass einst Zwangsarbeiter dort beschäftigt waren. Bartuschka hat in Unterlagen des Hauptstaatsarchives Belege gefunden. "Es gibt kurze Erwähnungen die besagen, dass auch sowjetische Zwangsarbeiter dort eingesetzt waren. Zwischen 1942 und 1944, vielleicht auch noch danach."

Auch Kriegsgefangene mussten im EOW ihren Dienst tun und bei der Produktion und Montage von Leuchten helfen. "Insgesamt waren in Kriegszeiten wohl über 100 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im EOW beschäftigt." Während Zwangsarbeiter oftmals in ihren Heimatländern rekrutiert oder von dort verschleppt worden sind, handelt es sich bei Kriegsgefangenen um Soldaten. Zu denen hat Bartuschka detaillierte Informationen. "Es waren Franzosen, die 1940 festgenommen und vermutlich über das Stammlager Bad Sulza nach Weimar gekommen sind."

Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen EOW Weimar.
In der NS-Zeit mussten hier auf dem Gelände - im Vorgängerunternehmen des VEB - Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene arbeiten. Bildrechte: MDR/Cornelia Mauroner

Gewohnt haben sie unter anderem in einer Baracke auf dem Gelände des EOW. Ihre Arbeit verrichteten sie gemeinsam mit Zivilpersonal. Dem, vor allen den Frauen, war es verboten, engeren Kontakt zu den Franzosen aufzunehmen. Doch nicht alle hielten sich daran. "Es gab fünf Frauen, denen wurde der Prozess gemacht. Sie hatten zunächst Lebensmittel und Briefe mit den Soldaten geteilt, sind dann aber intime Beziehungen eingegangen", berichtet Bartuschka. Das kam raus - die Frauen wurden verurteilt. "Sie bekamen Strafen zwischen 1,5 und drei Jahren Zuchthaus. Was mit dem Franzosen passierte, ist nicht belegt." Erst diese Geschichte hat den Historiker Bartuschka auf das Oberweimarer Werk aufmerksam geworden.

Historiker fordern Erinnerungsort

Dass die Brache nun abgerissen werden soll, schockiert Bartuschka nicht. "Ein derartiges Gebäude zu erhalten macht nur Sinn, wenn man es am Ende auch bespielt." Das allerdings scheint wenig realistisch. "Der Standort ist am Rande der Stadt, sehr isoliert. Allerdings muss man, wie auch immer man sich entscheidet, den Ort markieren und darauf hinweisen, was dort geschehen ist. In welcher Form auch immer."

Der Historiker Marc Bartuschka
Hat zur Zwangsarbeit in dem Werk in Oberweimar geforscht: Historiker Marc Bartuschka. Bildrechte: MDR/Cornelia Mauroner

Auch der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, gewichtet die Geschichte des EOW nicht so schwer, wie beispielsweise die der Gustloffwerke, in denen hunderte Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in der Rüstungsindustrie arbeiteten. Dennoch hält er einen Komplettabriss für bedenklich. "Mein Wunsch wäre es, einen Kompromiss zu schaffen. Vielleicht kann man ja einen Teil des Gebäudes stehen lassen."

Auch Wagner möchte den Ort als Gedenkort kennzeichnen. "Das kann auf unterschiedliche Weise passieren. Man könnte Tafeln aufbauen mit QR-Codes und im Internet Informationen hinterlegen." Die Stiftung arbeitet ohnehin mit Hochdruck an einem neuen Museum für Zwangsarbeit. "Dafür wird gerade ein Bildungsangebot entwickelt. Es wäre sinnvoll, man hätte in der Stadt ein Infosystem, das die Orte der Zwangsarbeit systematisch erschließt", so Wagner. Egal ob die Bagger nun rollen oder nicht. Das EOW sollte in jedem Fall einen Platz darin finden.

MDR (cma/dr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 05. April 2023 | 18:19 Uhr

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