Umfassende Überwachung DDR-Doping im Landtag diskutiert: Neue Forschungsergebnisse belegen riesiges Ausmaß
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24. August 2023, 05:21 Uhr
In den vergangenen drei Jahren haben Historiker zahlreiche Zeugenaussagen und Ermittlungsberichte zum systematischen Doping in der DDR ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen die umfassendere Überwachung des Lebens von Sportlern, Funktionären und Ärzten. Doch Betroffene haben keine Lobby und das Interesse an Aufklärung muss von außerhalb kommen - das ist einer der Schlüsse aus einer Diskussionsrunde, die im Thüringer Landtag stattfand.
Nachdem eine Studie die massiven Ausmaße systematischen Dopings in der DDR neue beleuchtet hat, ist die Untersuchung am Dienstagabend auch im Thüringer Landtag diskutiert worden. Bei einer Podiumsdiskussion im Plenarsaal sprachen renommierte Gäste über die Ergebnisse und die Doping-Prozesse der 1990er-Jahre.
Neue Forschungsergebnisse belegen das riesige Ausmaß
Seit 2020 erforscht das Zentrum deutsche Sportgeschichte die Akten der Prozesse. Dr. Jutta Braun und Dr. René Wiese fanden anhand zahlreicher Zeugenaussagen und Ermittlungsberichte neue, detaillierte Einblicke in die Systematik des Staatsdopings.
Die beiden Historiker suchten nach Verantwortlichkeiten und Befehlsketten. Die Ergebnisse können dazu beitragen, die Geschichte der Betroffenen präziser zu rekonstruieren. Zeugenaussagen belegen die politische Repression und den Druck, der von der Regierung ausgeübt wurde. Das Besondere: Diese Erkenntnisse sollen als Leitfaden für Behörden und Ämter dienen, um in künftigen Anerkennungsverfahren eine Orientierungshilfe zu bieten. Die Länge der Verfahren könnten dadurch erheblich verkürzt werden.
DDR-Schwimmerin berichtet als Zeitzeugin
Neben den Historikern war am Dienstag in Erfurt auch die ehemalige DDR-Schwimmerin und Olympionikin Renate Vogel zu Gast. Die Chemnitzerin war dreimalige deutsche Weltmeisterin und Olympia-Zweite im Jahr 1972. Nachdem sie drei Weltrekorde über 100 Meter Brustschwimmen aufgestellt hatte, musste sie ihre Karriere verletzungsbedingt beenden. Sie war eine Vorzeigeathletin für den SED-Staat.
Einige Jahre später floh sie mit einem fremden Pass in die Bundesrepublik. In den 1980er-Jahren gehörte sie dann zum Trainerstab der bundesdeutschen Schwimm-Nationalmannschaft. Sie sprach offen über die systematischen und verdeckten Dopingpraktiken der DDR, wodurch sie sich auch der Gefahr von Anschlägen seitens der DDR aussetzte. Mit dem Projekt "Sportverräter. Spitzenathleten auf der Flucht" brach sie mit dem damaligen Doping-Apparat und fand ihre Rolle als Zeitzeugin.
Investigativjournalist Hajo Seppelt: Fehlendes Interesse an Aufarbeitung
Der vierte Diskussionsteilnehmer am Dienstag in Erfurt war Hans-Joachim Seppelt. Der investigative Sportjournalist untersuchte das Doping-System der DDR und setzt sich für Chancengleichheit im Sport ein. Er selbst war an allen Prozesstagen ab 1997 dabei. Ende der 1990er-Jahre erschien sein Film "Staatsgeheimnis Kinderdoping". Der Film beleuchtet die dunkle Seite des Sports in der DDR, wo junge Athleten systematisch mit leistungssteigernden Substanzen gedopt wurden, oft ohne ihr Wissen oder Einverständnis.
Spannungsfeld der Berichterstattung
Die Herausforderung für Sportjournalisten liegt im Spannungsfeld zwischen klassischer Berichterstattung und Hintergrundrecherchen. "Wir können nicht den Sport bewerben und gleichzeitig den Sport kritisch hinterfragen", so Hajo Seppelt.
Denn viele Journalisten würden das Thema Doping vermeiden. Es kommt häufig zu Gegenwind, auch aus den eigenen Reihen. Er kritisiert deutlich, dass es kein wirkliches Interesse gibt, sich dem Thema Doping zu nähern, denn Sport sei nur so lange erfolgreich, wie er Erfolge einfährt. Wenn ein Skandal öffentlich wird, verlören alle Beteiligten, die zuvor mit dem System Geld verdient haben.
Dann verdient der Agent kein Geld mehr, die Stadien wären nicht mehr ausverkauft und auch das Fernsehen könnte weniger übertragen. Die ARD hat inzwischen eine Rechercheredaktion im Bereich Doping und ist damit Vorreiter. Doch es fehlt an einer Lobby für Dopingopfer. "Deshalb muss der Sport von außen kontrolliert werden", sagt Seppelt.
Wir können nicht den Sport bewerben und gleichzeitig den Sport kritisch hinterfragen.
Ariane Speckhahn vom Doping-Opfer-Hilfe Verein in Berlin unterstützt Seppelts Aussage: "Mit Dopingopfern kann man kein Geld verdienen. Unsere Sportler sind müde, weil für sie nichts getan wird." Ein ehemaliger betroffener Ringer der DDR äußerte sich zur Dauer dieser Verfahren. Er beschrieb, wie schwierig es sei, die psychischen und physischen Auswirkungen des Dopingsystems nachzuweisen. Mithilfe der neuen Studie könnte sich das ändern.
Die ehemalige deutsche Hochspringerin Ariane Friedrich meldete sich zu Wort und brach eine Lanze für die jungere Generation. Sie mahnte, dass heutige Spitzensportler grundlegend unter Generalverdacht gestellt würden. Denn jede gute Leistung werde von der Gesellschaft direkt kritisch beobachtet. "Das sei das Ergebnis von nicht ausreichender Aufarbeitung", so Hajo Seppelt.
Die Aufarbeitung der Zentralen Ermittlungsstelle Zerv
Besondere Anerkennung erhielten auch die Recherchen von Werner Franke und seiner Frau Brigitte Berendonk. Nach einer Strafanzeige von Franke sammelten die Zentrale für Regierungs- und Vereinigungskriminalität sowie Staatsanwaltschaften über mehrere Jahre Tausende Dokumente und hielten Aussagen von Beteiligten fest. Daraufhin wurden Funktionäre und Verantwortliche des Staatsdopings wegen "Körperverletzung" verurteilt. Ausschlaggebend für die Anerkennung der Opfer war auch, dass es zu Verurteilungen kam.
Thüringer Trainer und Ärzte wurden verurteilt
Insgesamt wurden in Thüringen fünf Trainer und zwei Ärzte verurteilt. Über 50 Verfahren wurden damals wegen geringer Schuld eingestellt. Doch auch sie waren Teil des Systems. Untersucht werden konnten damals hauptsächlich die medaillenschweren Sportarten wie zum Beispiel Schwimmen. Zum 31. Dezember 2000 verjährten die Straftaten und markierten das Ende der Ermittlungen der Zentralen Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität Zerv.
Dieses Aktenmaterial bietet heute eine umfassende Dokumentation über die Praxis und Auswirkungen der Dopingvergehen. "So dient es heute als Grundlage für Forschungsstudien über die gesundheitlichen Auswirkungen von Doping und der historischen Aufarbeitung", sagte René Wiese.
Weitere Studien müssen folgen
Weiterhin seien drei Themen für die weitere Aufarbeitung wichtig, betont der Historiker. Die juristische Auseinandersetzung, eine historische Aufarbeitung und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Die neue Studie von Braun und Wiese bietet eine neue Qualität der Quellenauswertung über die Vergehen des DDR-Staatsdopings. Die Rede ist von insgesamt etwa 10.000 gedopten Sportlern.
Es begann im Jugendalter mit etwa 13 Jahren. Und gedopt wurden auch Sportler, die nicht zum Nationalkader gehörten. Die Studie ist ein weiterer Schritt, um das Ausmaß des kontrollierten Staatsdopings aufzuzeigen.
Thüringer Landessportbund als Vorbild
Der Thüringer Landessportbund hat eine hauptamtliche Stelle für die Betreuung und Beratung von Betroffenen eingerichtet. Anke Schiller-Mönch besetzt diese Stelle in Thüringen und ist damit bundesweit eine der Vorreiterinnen unter den Landessportbünden.
Gemeinsam mit der Staatskanzlei wurde die neue Studie in Auftrag gegeben und es wird gemeinsam an vielen Projekten zur Aufklärung und Prävention gearbeitet.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 23. August 2023 | 19:00 Uhr
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