Olympia zwischen Sport und Politik Politik im Sport - Die olympische Geschichte der DDR

18. März 2023, 05:00 Uhr

Wegen des russischen Angriffskrieges fordern zahlreiche Länder den Ausschluss von Russland und Belarus von den Olympischen Spielen 2024. Die Einflussnahme der Politik in den Sport ist nicht neu: Schon die Nazis instrumentalisierten die Spiele und die DDR nutzte die Wettkämpfe, um internationale Anerkennung zu erreichen. Dazu im Interview die Historikerin Dr. Jutta Braun.

Die Olympischen Spiele sollen zur Völkerverständigung beitragen und Nationen aller Welt friedlich zusammenbringen, so jedenfalls lautet der olympische Ursprungsgedanke. Im Mittelpunkt habe der Sport zu stehen, ganz nach dem Motto "schneller, höher, weiter". Die Realität sieht anders aus: Durch die Internationalität der Spiele bieten sie einen idealen Raum für politische Botschaften verschiedener Art, so Dr. Jutta Braun, Historikerin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.

Wie politisch sind die Olympischen Spiele?

Die Olympischen Spiele bieten nicht nur einen Raum für politische Botschaften, sondern dienen auch als symbolischer Raum, um auf politische und kriegerische Konflikte aufmerksam zu machen, so Dr. Jutta Braun. So boykottierten Spanien und die Niederlande 1956 die Spiele in Melbourne und protestierten damit gegen die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in Ungarn durch die Sowjets. Wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan boykottieren 64 Länder die Spiele in Moskau 1980. Im Gegenzug verweigerten 1984 die Ostblock-Staaten, darunter die DDR, die Teilnahme beim "Klassenfeind" in Los Angeles.

Schon die Nationalsozialisten wussten die Wettkämpfe 1936 in Berlin für sich zu nutzen und inszenierten ein gewaltiges Propagandaspektakel. Gastfreundlich, weltoffen und stark stellte sich Nazi-Deutschland dar. Hitler kaschierte damit seine Aufrüstungspolitik und das Land zeigte sportliche und körperliche Überlegenheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die Spiele zu einem Schauplatz von "Ersatzkriegen" im sich verschärfenden Ost-West-Konflikt. Mittendrin: Die neugegründete DDR.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann, was der Schriftsteller George Orwell treffend als "War minus the Shooting" bezeichnete, also Sport als Systemkrieg. Die Olympischen Spiele erhielten eine politische Aufladung als Stellvertreter-Krieg des Ost-West-Konflikts, der im deutsch-deutschen Systemkampf seine Zuspitzung fand.

Dr. Jutta Braun, Historikerin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die Gründung der deutschen Olympischen Komitees

1949 gründete sich das bundesdeutsche "Nationale Olympische Komitee für Deutschland", zwei Jahre später das "Nationale Olympische Komitee der DDR". Das war und ist Vorraussetzung für ein Land, um überhaupt an olympischen Spielen teilzunehmen. Doch: Nur das westdeutsche Komitee wurde damals vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannt und durfte 1952 eine Mannschaft für Deutschland aufstellen. Das IOC war der Meinung, Deutschland benötigt nicht zwei separate Komitees. Ein herber Schlag für die junge DDR.

Das gesamtdeutsche Olympia-Team von 1956 bis 1964

Als das Internationale Olympische Komitee den beiden deutschen Staaten anbot, gemeinsam bei den Olympischen Spielen anzutreten, lehnte die DDR zunächst ab, nahm dann aber doch an. Die DDR wollte um jeden Preis die internationale Anerkennung erreichen - und die Bundesrepublik wollte unbedingt genau das verhindern. Die Hallstein-Doktrin regierte damals auch im Sport. Die DDR konnte nur an Olympia teilnehmen, wenn sie sich in eine deutsch-deutsche Mannschaft integrierte. Der Sport besaß in der DDR von Anfang an einen politischen Auftrag. 1956 traten dann erstmals deutsche Sportlerinnen und Sportler aus Ost und West gemeinsam bei den Olympische Spielen an, unter neutraler schwarz-rot-goldener Flagge ohne Staatssymbol. Statt der Nationalhymnen wurde Beethovens Ode an die Freude gespielt.

DDR und BRD - eine unglückliche olympische Ehe

Von sportlichem Teamgeist war in der gesamtdeutschen Mannschaft aufgrund der angespannten politischen Lage jedoch nicht viel zu spüren. Athletinnen und Athleten beider deutscher Staaten pflegten keinen Kontakt, sprachen nicht einmal miteinander. Streitereien entbrannten um den Modus des Auswahlverfahrens der Sportlerinnen und Sportler, um die Gestaltung der gemeinsamen Flagge und das Aussehen der Bekleidung. Konflikte entzündeten sich an der Frage des angemessenen Ortes der Qualifizierungskämpfe ebenso wie der Ernennung des "Chef de Mission" und den Verantwortlichkeiten bei der Erledigung des Schriftverkehrs., so Dr. Jutta Braun.

Der Historikerin zufolge gab es drastische Beschimpfungen, mit denen sich beide deutsche Partner während ihrer unglücklichen olympischen Ehe direkt und in der Kommunikation mit dem IOC belegten. Die ostdeutschen Sportfunktionäre waren für den seit 1961 amtierenden bundesdeutschen NOK-Präsident Willi Daume nur "armselige Marionetten" der SED-Führung. Zudem nutzen Sportlerinnen und Sportler, zum Beispiel Manfred Steinbach, Karin Balzer, Ute Gählert, aus der DDR die Spiele wiederholt zur Flucht - das heizte die deutsch-deutsche Atmosphäre zusätzlich an.

Sechsmal traten DDR- und BRD-Sportlerinnen und Sportler als gemeinsame Mannschaft an: 1956 in Cortina d’Ampezzo und Melbourne, 1960 in Squaw Valley und Rom und zuletzt 1964 in Innsbruck und Tokio. Trotz der zahlreichen Querelen konnte sich die DDR in dieser gesamtdeutschen Phase zunehmend sportlich mit ihren Sportlerinnen und Sportlern profilieren, sodass ihr die Teilnahme letztlich den Weg in die olympische Selbstständigkeit bahnte, so die Historikerin.

Übrigens: Erst seit 1994 alternieren Winter- und Sommerspiele im zweijährigen Rhythmus. Bis dahin fanden die Spiele im selben Jahr statt.

Die DDR stellt erstmals eine eigene Olympia-Mannschaft auf

1965 wurde der DDR bei der 63. Versammlung des IOC endlich gestattet, eine eigene Olympiamannschaft aufzustellen. Vor allem nach dem Mauerbau 1961 erschien es zunehmend absurd, ein deutsches Miteinander im Sport aufzuführen, während gleichzeitig eine tödliche Grenze die beiden Staaten teilte. So kam es, dass Bundesrepublik und DDR bei den Olympischen Spielen 1968 erstmals getrennt um olympisches Gold kämpften - allerdings traten sie sie noch unter gemeinsamer Hymne und Flagge auf.

Erst auf der 67. IOC-Versammlung in Mexiko City 1968 wurde das Nationale Olympische Komitee der DDR mit eigener Mannschaft, Flagge und Hymne anerkannt. Im Februar 1972 war es dann bei den Olympischen Winterspielen im japanischen Sapporo endlich soweit: Das erste Mal durfte das Team "Ostdeutschland" mit eigener Fahne auflaufen und die DDR-Hymne erklingen. Ein Triumph für die DDR: Sie hatte sich durch ihre sportliche Performanz Respekt erarbeitet und das Ziel erreicht, als vollwertiges Mitglied der olympischen Familie anerkannt zu werden, betont Jutta Braun.

Die DDR-Flagge war in der Bundesrepublik verboten

Diese Entwicklung passte auch auf bundesdeutscher Seite seit 1969 in die neue Ostpolitik der sozialliberalen Regierung Willy Brandts, die auf "Wandel durch Annäherung" und auf ein geregeltes Miteinander mit der DDR setzte. So beschloss die Innenministerkonferenz 1970, das Verbot der DDR-Fahne im öffentlichen Raum und bei Sportveranstaltungen abzuschaffen. Ein Verbot, dass wiederholt zu Skandalen führte, wie 1969 bei einem Turnwettbewerb in Mainz-Bretzenheim, bei dem die DDR-Frauenolympiamannschaft teilnahm. Weil die DDR-Flagge gehisst wurde, kam es damals zu einem Großeinsatz der Polizei.

Die DDR als sportliche Supermacht

Fortan nutzte die DDR die Olympischen Spiele, um den Status als führende Sportnation zu erreichen. Mit beachtlichen Erfolgen: Seit Mexiko 1968 - also seit erstmals Medaillen getrennt abgerechnet wurden - gelang es der DDR jedes Mal, sich besser zu platzieren als die Bundesrepublik. Bei den Olympischen Winterspielen 1972 in Sapporo errang die DDR-Delegation im Medaillenspiegel den zweiten Platz hinter der Sowjetunion. 1972 schlug man bei den Spielen in München den "Klassenfeind" im eigenen Land. 1976 konnte die DDR die USA, 1984 in Sarajewo sogar die olympische Supermacht Sowjetunion auf die Plätze verweisen. Um Bestleistungen zu erzielen, setzte die DDR neben einer massiven Leistungssportförderung auch auf Doping. Zwar nahmen auch Sportlerinnen und Sportler der Bundesrepublik Dopingmittel, der Einsatz wurde dort aber nicht staatlich gelenkt.

Bis 1992 kämpften Sportlerinnen und Sportler der beiden deutschen Staaten getrennt, bis es auch zur olympischen Wiedervereinigung kam. Das geeinte Deutschland war bei den ersten Winter- und Sommerspielen so erfolgreich wie nie zuvor.

Zur Person: Dr. Jutta Braun ist Historikerin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Zudem ist sie Vorsitzende des Zentrums deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg e.V. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Sport im 20. Jahrhundert, Deutsch-deutsche Beziehungen 1949-1989, Sport im Kalten Krieg, Transformation des Sports seit 1989/90.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 28. Februar 2023 | 21:48 Uhr