Abschied und Neustart Kommunalwahl: "Im Stadtrat bist du einfach ganz nah dran an den Problemen"
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19. Mai 2024, 14:15 Uhr
Der eine war jahrelang Bürgermeister in Apolda, der andere möchte in Weimar vom "Nörgeln" zum Mitgestalten kommen. Beide stellen sich jetzt zur Wahl für einen Platz im Stadtrat. Warum würden sie sich auf dieses Ehrenamt einlassen?
Es fing damit an, dass Christian Eckert beobachten musste, dass Menschen im kleinen Kreis ganz anders redeten als "draußen". Dass viele ihre Kritik nicht mehr öffentlich aussprechen. "Ich kann das nicht. Bis zu einem gewissen Punkt kann ich das hinnehmen. Aber dann muss ich zu Sachen, die so richtig in mir brennen, irgendwie ein Statement abgeben. Das ist normal, das darf man."
Allerdings hatte das zunehmend Folgen auch im Privaten. "Wir wurden beispielsweise zu Veranstaltungen nicht mehr eingeladen von Leuten, denen man persönlich überhaupt nichts getan hat. Sondern es geht da offensichtlich um eine politische Einstellung."
Christian Eckert stammt aus Erfurt, lebt seit 2001 in Weimar. Er hat Kunst und Geschichte auf Lehramt studiert und arbeitet jetzt an der Bauhaus-Universität in der Studienberatung. Nebenbei ist er noch Stadtführer in Weimar. "Diese Führungen geben mir die Möglichkeit, dieses Wissen, was ich habe, anzuwenden und das auch noch so wunderbar bezogen auf diesen Ort Weimar, da kann ich Geschichte und Kunst gut verbinden."
Ideologisierung des privaten Raumes
Den Schritt, jetzt für den Stadtrat zu kandidieren, bezeichnet Eckert als eine "Flucht nach vorn". Denn seine Wahrnehmung, dass der Umgang der Menschen miteinander sich verändert hat, erreichte einen traurigen Höhepunkt, als jemand das, was Eckert in sozialen Medien geäußert hatte, seinem Arbeitgeber zuspielte. "Leute so anzuzinken, das ist eine Form von Umgang, die kenne ich bisher nur aus dem Geschichtsunterricht, das ist nicht hinnehmbar."
Und so war für ihn der Schritt folgerichtig, sich mehr einzubringen, mehr gegen diese "Ideologisierung des privaten Raums" wie er das nennt, zu unternehmen. Sich nicht nur im Freundeskreis und in sozialen Medien zu äußern, sondern die Stadt, die Gesellschaft hier, mitzugestalten. "Im Stadtrat bist du einfach ganz nah dran an den Problemen", sagt Eckert.
Kein Talent zur "Parteidisziplin"
Dabei geht es ihm nicht um ein geschlossenes Weltbild. Eckert denkt eher in Sachzusammenhängen: "Ich finde zum Beispiel eine Versiegelung von Fläche genauso schlecht, wie das die Grünen finden. Bei anderen Themen stimme ich denen aber gar nicht zu. Aber ich habe den Eindruck, ich muss jetzt immer das Ganze annehmen. Ansonsten werde ich nicht mehr akzeptiert."
Ich finde zum Beispiel eine Versiegelung von Fläche genauso schlecht, wie das die Grünen finden. Bei anderen Themen stimme ich denen aber gar nicht zu.
Weil das für ihn nicht zu einer diversen Gesellschaft passt, kandidiert er auch nicht für eine bestimmte Partei, sondern für das für das Bürgerbündnis Weimarwerk.
"Ich kann mich keinem Dogma unterwerfen. Ich kann eine Haltung haben, aber wenn ich merke, die funktioniert nicht, kann ich die auch wieder aufgeben, wenn mein Gegenüber die besseren Argumente hat."
Bei der Kommunalwahl zählen aus seiner Sicht ohnehin eher die Personen. In einer Stadt wie Weimar kennt man sich. Auch die Themen, die im Stadtrat entschieden werden, sind eher praktischer Art. "Wenn es beispielsweise um ein Wohnheim für Auszubildende geht, sehen die einen das aus der sozialen Sicht heraus, die anderen vielleicht aus wirtschaftlicher. Und dann findet man parteiübergreifend einen Konsens."
Hoffnungen auf die Mitte der Gesellschaft
Genau das ist für ihn auch Demokratie. Die sieht Christian Eckert übrigens keineswegs in Gefahr. "Wir reden ja weiter miteinander. Uns gefällt die Art der Debatte nicht, daran müssen wir arbeiten. Wir müssen das gesellschaftliche Miteinander wieder vernünftig gestalten, einfach auch andere Haltungen aushalten. Nicht jeder, der etwas kritisiert, ist automatisch der Feind."
Nicht jeder, der etwas kritisiert, ist automatisch der Feind.
Eckert setzt dabei große Hoffnungen auf die sogenannte Mitte der Gesellschaft. "Die läuft nicht draußen rum, diese Mitte, die pöbelt auch nicht. Die holt auch nicht Leute, die ein Plakat aufhängen, von der Leiter und haut denen eine ins Gesicht, sondern die entscheidet im Wahllokal."
Am Wahlkampfstand stellt er immer wieder fest, dass die Grenzen inzwischen recht scharf gezogen sind. Die Menschen, mit denen er ins Gespräch kommt, übersehen die Gemeinsamkeiten, konzentrieren sich zu sehr auf die Unterschiede.
Kommunalpolitik braucht Kompromisse
Aus seiner Sicht würden alle von etwas mehr Kompromissfähigkeit profitieren. Vor allem auch in der eigenen Stadt. In Weimar ist für ihn der Tourismus ein Thema, das dringend besprochen werden müsste. "Dieser Butterfahrten-Tourismus ist einfach tot, glaube ich."
Eckert meint damit, dass man in Weimar zu viel auf große Massen setzt, die es seit Corona einfach nicht mehr gibt. Auf der anderen Seite, so sagt er, wird ein potentes Klientel einfach verschenkt. "Ich denke da an das Golfresort. Da gibt es eine hohe Anzahl von Leuten, die auch richtig viel Geld haben, die auch gerne konsumieren. Aber die greifen wir hier nicht mehr ab, die kommen noch zu einer Stadtführung. Aber dann fahren sie wieder auf ihr Golfresort zurück."
Eine Diskussion zu diesem Thema will er anstoßen, wenn er in den Stadtrat gewählt wird. Christian Eckert vermutet allerdings, dass das nicht einfach wird.
18 Jahre Erfahrung als Bürgermeister
Jemand, der schon sehr viel Erfahrung mit schwierigen Themen hat, ist Rüdiger Eisenbrand. Dreimal haben die Menschen in Apolda ihn zu ihrem Bürgermeister gewählt.
Er kann sich noch gut erinnern, wie sich der erste Tag am wichtigsten Schreibtisch der Stadt vor 18 Jahren angefühlt hat: "Das war ein absolutes Hochgefühl. Ich war ja als Ortsteilbürgermeister schon oft in der Amtsstube, aber nicht auf dem Sessel, wo der Bürgermeister sitzt. Aber mir war auch etwas flau im Magen."
Mir war auch etwas flau im Magen.
Vorher hatte Eisenbrand als diplomierter Polytechnik-Lehrer viele Jahre in Jena einen Schulteil für hochbegabte Kinder geleitet. Seine Schüler waren Olympiasieger in Mathe, waren in Informatik Spitze, in Biologie und Physik. "In der Physik-Nationalmannschaft der Bundesrepublik kamen drei Spieler von fünf von unserer Schule" erinnert er sich. Mit den neuen Mkitarbeitern in der Stadtverwaltung und im Rathaus dagegen kannte er sich gar nicht aus.
Protestaktion auf dem Marktplatz in Apolda
Ihm kam damals zugute, dass er gut zuhören konnte. Das hat er als Lehrer geübt. Im Jahr 2008 musste er aber begreifen, dass das nicht reicht. Damals wurde der Marktplatz in Apolda saniert. Für das neue Konzept sollten die Bäume beseitigt werden. "Da haben sich Bürger an den Baum gefesselt, um zu verhindern, dass die Bäume gefällt werden. Und die konnten wir dann überzeugen, dass es nicht anders geht."
Als Kompromiss blieb einer der Bäume stehen. Das hat Eisenbrand damals sehr beschäftigt und seitdem versuchte er, mehr mit den Menschen zu reden. Ganz normal auf der Straße. Und sie auch in die Stadtpolitik einzubinden. Beispielsweise zur Landesgartenschau war von Anfang an ein Bürgerbeirat eingebunden.
Die Landesgartenschau 2017 ist für Eisenbrand eindeutig der Höhepunkt seiner drei Amtszeiten. "Das gab so einen Schub für die Stadt! Aber es war auch eine finanzielle Herausforderung, wir waren ja damals in der Haushaltskonsolidierung", erinnert er sich. Ohne die vielen Ehrenamtler wäre das niemals zu schaffen gewesen, ist der Bürgermeister überzeugt. "Ich habe denen wirklich viel zu verdanken". Deshalb stehen sie inzwischen auch alle im Goldenen Buch der Stadt.
Einiges, was er sich vorgenommen hatte als Bürgermeister, hat Eisenbrand nicht geschafft. "Es ist oft schwierig, weil man mit Menschen arbeitet. Und das birgt viele individuelle Probleme. Jeder hat Schwächen, jeder hat Stärken. Manche Schwächen habe ich vielleicht nicht beseitigen können und manche Stärken vielleicht nicht genutzt. Das bedauere ich."
Keine Kandidatur mehr möglich
Denn korrigieren kann Rüdiger Eisenbrand das jetzt nicht mehr. Er ist inzwischen fast 68 Jahre alt und in Thüringen darf man nur bis zum 65 Lebensjahr als Bürgermeister kandidieren. Das regelt das Thüringer Kommunalwahlgesetz. Glücklich ist der Bürgermeister darüber nicht. "Es gibt kaum noch ein Bundesland, wo es diese Altersgrenze gibt. Thüringen gehört leider dazu."
Wen er sich als Nachfolger im Apoldaer Rathausturm wünscht, verrät Rüdiger Eisenbrand nicht. Aber mitwählen wird er auf jeden Fall. "Eindeutig. Meine Stimme will ich nicht verschenken." Und er gibt seinem Nachfolger noch etwas mit auf den Weg: "In diesem Amt geht es nicht von Montag bis Freitag, sondern Montag bis Sonntag. Es gibt auch keine 40-Stunden-Woche und es verfallen durchaus einige Urlaubstage."
Pläne für den Ruhestand sind gemacht
Für Eisenbrand ist das jetzt bald vorbei. Nach seiner letzten Amtszeit will er mit seinen Enkeln basteln und experimentieren: "Ihnen ein bisschen Löten beibringen, ein bisschen Elektronik, zeigen, wie eine Leuchte mit Diode funktioniert oder ein Transistor." Schließlich hat Eisenbrand sich mehr als 30 Jahre bei "Jugend forscht" engagiert.
Und Reisen stehen auf dem Plan. Die chinesische Mauer will er sehen und vielleicht Hongkong. "Und ich möchte gern normal nach Washington", sagt der Bürgermeister.
Aber vielleicht kommt auch alles ganz anders. Denn Rüdiger Eisenbrand kandidiert aktuell für den Apoldaer Stadtrat, will seine politischen Erfahrungen weiter für Apolda einsetzen. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 19. Mai 2024 | 18:00 Uhr
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