![Heike Strecker in ihrem Buchladen | Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer Heike Strecker in ihrem Buchladen](https://www.mdr.de/index-transparent_h-3_w-4_zc-a5bfe475.gif)
Bundestagswahl 2025 Aus dem Buchladen in den Bundestag: Erlebt Mühlhausen ein grünes Wunder?
Hauptinhalt
13. Februar 2025, 05:00 Uhr
Heike Strecker kandidiert für die Grünen im wohl umkämpftesten Wahlkreis Thüringens, der den Unstrut-Hainich-Kreis, Eisenach und den Wartburgkreis umfasst. Während sich AfD, CDU und SPD hier ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Direktmandat für den Bundestag liefern dürften, geht Strecker als Außenseiterin ins Rennen.
Inhalt des Artikels:
"Das Schöne an Wundern ist, dass sie manchmal eben doch geschehen", sagt Heike Strecker schmunzelnd. "Und das Direktmandat hier für die Grünen zu erringen, das wäre so ein Wunder." Die 59-jährige Mühlhäuserin kandidiert für die Grünen im Wahlkreis 189, der den Unstrut-Hainich-Kreis, Eisenach und den Wartburgkreis umfasst. Noch nie hat es die Partei mit ihren Kandidaten hier geschafft, auch nur vier Prozent der Erststimmen zu sammeln.
Die grüne Misere in Thüringen
Deshalb macht sich Strecker auch keine allzu großen Hoffnungen auf Berlin. "Ich trete vor allem an, weil es hier im Wahlkreis sonst gar keinen grünen Kandidaten gegeben hätte und ich finde, wir müssen den Menschen wenigstens ein Angebot machen." Es ist diese ehrenwerte Grundeinstellung zur Demokratie, ohne die die Partei in vielen Teilen des Freistaats kaum noch sichtbar wäre. Denn mehr als "wenigstens ein Angebot machen", ist vielerorts für die Grünen einfach nicht drin.
Das Direktmandat hier für die Grünen zu erringen, das wäre so ein Wunder.
Das hat mit der altbekannten Misere der Grünen in Thüringen zu tun: Weil sie traditionell ein urbanes Wählerklientel anspricht, das es abseits der Städtekette Erfurt, Weimar, Jena kaum gibt, fehlt es im ländlichen Bereich an Mitgliedern. "Zwar ist unser Kreisverband hier im Unstrut-Hainich-Kreis seit dem Ampel-Aus um 15 Prozent gewachsen", sagt Strecker, aber was hilft das, wenn das in absoluten Zahlen bedeutet, dass es jetzt 34 statt vorher 30 Mitglieder im ganzen Unstrut-Hainich-Kreis sind?
Und so ziert nun also Heike Strecker neben Kanzlerkandidat Robert Habeck die grünen Plakate im Wahlkreis 189. Dabei hat sie eigentlich keine Zeit für einen Wahlkampf. "Ich kann meinen Buchladen nicht einfach vier bis acht Wochen zuschließen", sagt sie. Auf Haustürbesuche, Wahlkampfstände und Podiumsdiskussionen verzichte sie deshalb fast gänzlich. Stattdessen tut sie, was sie eigentlich immer tut: Sie engagiert sich kulturell.
Der wohl umkämpfteste Wahlkreis Thüringens [zum Ausklappen]
Der Wahlkreis 189 umfasst den Unstrut-Hainich-Kreis, Eisenach und den Wartburgkreis. 2021 lieferten sich die Kandidaten Christian Hirte (CDU, 23 Prozent), Tina Rudolph (SPD, 23,9 Prozent) und Klaus Stöber (AfD, 24,8 Prozent) ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die Grünen rangierten mit 3,5 Prozent unter ferner liefen.
2025 verspricht der Westthüringer Wahlkreis noch umkämpfter zu werden. Rudolph und Hirte treten erneut an. Hinzu kommt der AfD-Vize-Landeschef Stefan Möller, der den renitenten Klaus Stöber, in die Schranken weisen soll, der als parteiloser Kandidat gegen seine eigene Partei die AfD antritt. Da bundesweit die SPD schwächelt, könnte Hirte der lachende Dritte sein. Heike Strecker geht, genau wie fünf weitere Kandidaten, als Außenseiterin ins Rennen.
Kulturarbeit ist der beste Wahlkampf
Es ist Montagvormittag. Heike Strecker sitzt bei Kaffee und Tee mit dem evangelischen Pfarrer Benjamin Theml in ihrem Buchladen in der Mühlhäuser Innenstadt. Beide haben ihre Kalender aufgeschlagen, diskutieren Termine und Themen, machen sich Notizen. Sie planen ab März die Veranstaltungsreihe "Auf Leben und Tod".
Mit Lesungen, Kirchenabenden und Vorträgen wollen sie die Lebenden dazu einladen, sich über Sterben, Abschied und Trauer auszutauschen. Themen, die Strecker seit dem Tod ihres Mannes Christian vor knapp einem Jahr viel beschäftigt haben. Sie hofft, auf diese Weise Unterstützer für den Hospiz-Förderverein zu finden, der das Sterbehaus unterstützt, das im Ortsteil Pfaffenrode derzeit neu entsteht.
Neben dem Förderverein und den Kulturveranstaltungen in ihrem Laden und der Kirche, engagiert sie sich auch im neuen Synagogenverein, im Bibliotheksverein und in der Initiative Weltoffener Unstrut-Hainich-Kreis. "Sie ist ein Hansdampf in allen Gassen", sagt Tochter Rebecca, die ihrer Mutter im Laden zur Hand geht. "Ich mache mir schon manchmal Sorgen, dass es zu viel wird für sie. Aber ich kann sie davon auch nicht abhalten. Sie braucht das."
Kampf dem Faschismus
In der Buchhandlung geben sich die Termine die Klinke in die Hand. Die Besprechung mit Benjamin Theml ist noch nicht ganz vorbei, da steht Stadtführerin Birte Fredrichs im Laden und will über den Bibliotheksverein sprechen. "Zuerst musst du aber noch ein Foto von uns machen", sagt Strecker und führt beide vor den Laden. "#WeRemember" steht auf den Schildern, die Strecker und Themel in die Kamera halten. Es ist der 27. Januar: Holocaustgedenktag.
Nach dem Gespräch mit Fredrichs geht Strecker durch die Innenstadt. Jedes Jahr am 27. Januar legt sie Blumen an den Stolpersteinen in Mühlhausen nieder. Einen ganz Bund Rosen legt sie an dem Haus ab, wo bis zur Reichspogromnacht 1939 die Juden Leopold und Frieda Löbenstein mit ihren fünf Kindern lebten. Strecker hält inne. Nach einem Moment der Stille knipst sie ein Foto und erzählt dann, von einem bewegenden Treffen mit den Nachkommen von Arno Löbenstein. Der damals 20-jährige Sohn überlebte die Nazis als einziger.
Spät am Abend postet sie die Bilder des Tages bei Instagram und schreibt dazu: "Wir gedenken der unzähligen Opfer des Naziregimes, die mit der unglaublichen AfD-Geschichtsverfälschung, Hitler sei Kommunist gewesen, verhöhnt werden." Es sind Aussagen wie diese, die Strecker bei manchen Rechtsaußen zum Feindbild machen. Anfeindungen "von alten, weißen Männern" habe sie schon oft erlebt, sagt sie. "Aber deswegen gebe ich nicht auf. Wir haben als Gesellschaft die Verantwortung, die Rechtsextremen zu verhindern."
Wir gedenken der unzähligen Opfer des Naziregimes, die mit der unglaublichen AfD-Geschichtsverfälschung, Hitler sei Kommunist gewesen, verhöhnt werden.
Die feuereifrige Europäerin
Dabei ist Strecker bestimmt keine Klischee-Grüne. Sie isst gerne Fleisch, findet, dass straffällige Migranten abgeschoben gehören, und fährt einen Diesel. "Wobei ich zu meiner Ehrenrettung sagen muss, dass ich so nachhaltig bin, meinen Diesel nicht zu verschrotten, sondern ihn so lange zu fahren, wie es eben geht. Das nächste Auto wird bestimmt ein E-Auto", sagt sie.
Ein Thema, bei dem sie gewiss nicht konform mit der grünen Parteiführung sei, ist die Integration von Geflüchteten. "Sprache ist natürlich der Schlüssel zur Integration, aber man muss die Sprachkurse nicht auf dem Silbertablett geliefert kriegen. Jeder der ein Handy bedienen kann, kann sich auch ne Sprach-App herunterladen", sagt sie zum Beispiel. In der Migrationspolitik sehe sie Handlungsbedarf, lehne aber zugleich die einfachen Lösungen der CDU ab: "Friedrich Merz tut so, als könnte er alle, die bei uns die dreimal falsch geparkt haben, ins Flugzeug setzen und irgendwo abwerfen. Das ist ja auch Quatsch."
Von Kontrollen an deutschen Grenzen hält Strecker ebenfalls nichts: "Ich bin im Herzen eine feuereifrige Europäerin. Klar kommen weniger, wenn man niemanden mehr reinlässt. Aber wir müssen die Europäische Union stärken, um uns gegen Trump und Co. zu behaupten. Einzelne Staaten können das nicht." Daher brauche es beim Thema Migration eine europäische Lösung, wie es die Grünen auch in ihrem Wahlkampfprogramm fordern.
Ich finde, ich bin ein gutes Beispiel für den Osten. Ich komme aus einfachen Verhältnissen und habe es mit Willen und Durchhaltevermögen geschafft, was aus meinem Leben zu machen
Strecker will Politik für "die kleinen Leute" machen
Dass Strecker keine geschliffene Vollzeitpolitikerin ist, wird im Gespräch mit ihr auch immer dann deutlich, wenn sie zugibt, für etwas keine Lösung parat zu haben. "Ich bin Verfechterin des ursprünglichen Demokratie-Begriffs, dass man gewählter Volksvertreter ist. Ich habe nicht die Rezepte für die große Weltpolitik oder für Wirtschaft oder wie auch immer. Ich habe Lebenserfahrung."
Im Privaten wie im Beruflichen habe sie schon viele Schläge einstecken müssen, sei aber immer wieder aufgestanden, sagt sie und erzählt, wie sie Mitte der 1990er-Jahren bankrottgegangen sei. "Nach der Wende, als es günstige Kredite gab, habe ich in Mühlhausen ein Hotel aufgemacht. Doch damals war die Stadt touristisch noch zu unbedeutend." Am Ende stand eine Insolvenz.
2004 nahm sie mit ihrem Mann einen neuen Anlauf. Sie eröffneten zusammen den Buchladen. "Ich finde, ich bin ein gutes Beispiel für den Osten. Ich komme aus einfachen Verhältnissen und habe es mit Willen und Durchhaltevermögen geschafft, was aus meinem Leben zu machen."
Sollte sie in den Bundestag gewählt werden, möchte sie für ihre Entscheidungen die Experten in ihrem Wahlkreis befragen. Es gebe hier viele Menschen, die mehr Ahnung von Energiewirtschaft, Industrie oder Migration hätten als sie. Die wolle sie einbeziehen: "Ich werde Politik für die kleinen Leute machen, weil ich selbst ein kleiner Leut' bin."
Ich werde Politik für die kleinen Leute machen, weil ich selbst ein kleiner Leut' bin.
Aus Liebe zur Umwelt
Es ist kurz vor Ladenschluss. Draußen ist es längst dunkel und Strecker sitzt mit drei Mitgliedern des grünen Kreisverbands im Laden. Regen plätschert gegen das Schaufenster, während sie einen Wahlkampfflyer besprechen. Auf den einzelnen Seiten des Faltblatts sollen regionale Themen die Wähler ansprechen: So sei etwa die geplante Südumgehung für Mühlhausen nach neusten Verkehrszählungen nicht mehr nötig. Dafür solle der zweigleisige Ausbau samt Elektrifizierung der Bahnstrecke Erfurt-Göttingen vorangetrieben werden.
Während die Parteimitglieder so diskutieren, wird es an der Kasse plötzlich etwas lauter. Ob es denn keine Plastiktüte gebe, fragt ein älterer Herr unwirsch. Tochter Rebecca erklärt ihm, dass der Laden aus Liebe zur Umwelt nur Tüten aus Recyclingpapier habe. "Und damit soll ich jetzt raus in den Regen?", keift er zurück. "So ein Quatsch. Das ist genau wie mit diesem Elektroauto-Mist!"
Noch bevor er sich völlig in Rage redet, ist Strecker zur Stelle: "Wollen wir das hier ausdiskutieren?", fragt sie unverblümt und bringt den älteren Herren damit sichtlich aus dem Konzept. "Sehen sie mal, der Regen hat ja schon fast wieder aufgehört", sagt sie freundlich und hält ihm die Tür auf. Er murmelt noch etwas, während er raus auf die Straße tritt. "Ihnen auch ein schönes Wochenende", ruft ihm Strecker hinterher und schließt die Ladentür.
MDR (ask)
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/f807d014-451b-4b5f-959e-d96753dd2a4c was not found on this server.