"Meinung zu Gast" Bei Energiepolitik kommt es auf Akzeptanz an
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02. August 2024, 05:00 Uhr
Erfolge beim Solarausbau, Stagnation bei der Windkraft. Die sächsischen Landtagswahlen nahen und "Meinung zu Gast"-Autor Dirk Birgel blickt kritisch auf Sachsens Energiepolitik der vergangenen vier Jahre. Der Chefredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten resümiert: Ohne die Akzeptanz der Bürger funktioniert es nicht.
Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann. So lautete ein Wahlspruch der Umweltbewegung in der Alten Bundesrepublik der 1980er Jahre.
Heute könnte man sagen: Erst wenn der letzte Arbeitsplatz vernichtet, der letzte Bäcker insolvent und der letzte Brunnen versiegt ist, werdet ihr merken, dass Klima nicht satt macht. Der eine wie der andere Spruch ist nicht hilfreich. Die Welt im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen braucht beides: ein gesundes Klima und eine florierende Wirtschaft. Das eine über das andere zu stellen, wird schief gehen.
Dirk Birgel Dirk Birgel ist der Chefredakteur der "Dresdner Neuesten Nachrichten". In der Reihe "Meinung zu Gast" kommentiert er als Gastautor Transformations- und Veränderungsthemen in Mitteldeutschland.
Sachsen verfehlt Ziele zum Ausbau Erneuerbarer Energien
Insofern sollte man der Tatsache, dass der Freistaat Sachsen seine selbstgesteckten Ziele zum Ausbau der Erneuerbaren Energien klar verfehlt, mit Gelassenheit begegnen. Ein Blick auf die Ursachen hierfür ist gleichwohl interessant. Im Koalitionsvertrag hatten CDU, SPD und Grüne vor fünf Jahren vereinbart, die Erzeugung grünen Stroms bis zum Ende der Legislatur zu verdoppeln. Die ist in gut einem Monat erreicht, das Ziel aber klar verfehlt.
Konkret wollten die Koalitionspartner in Sachsen vier Terawattstunden grünen Strom jährlich zusätzlich schaffen. Ein ambitioniertes Ziel, wie es der grüne Umweltminister Wolfram Günther heute nennt. Vieles, so viel Wahlkampf darf sein, hätte gegen die CDU erkämpft werden müssen.
Jeweils die Hälfte sollten Solaranlagen und Windräder beisteuern. Bei der Photovoltaik ist dieser Plan auch voll aufgegangen. Die Anzahl der Anlagen habe sich zwischen 2019 und 2024 verdreifacht, die Leistung verdoppelt, sagt Günther. Viele kleine Anlagen bis hin zu Balkonkraftwerken zeigten, dass es hier gelungen sei, die Bevölkerung mitzunehmen. Insgesamt werden den Angaben des Ministeriums zufolge Ende 2024 in Sachsen etwa 3,4 Terawattstunden Strom mehr aus Solarmodulen kommen als 2019.
Meinung zu Gast In der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.
Sorgen bereitet hingegen die Windkraft. Ende 2019 gab es in Sachsen 885 Windräder mit einer installierten Leistung von rund 1.272 Megawatt. Heute seien es 873 Windräder mit insgesamt 1.366 Megawatt. Das ist nicht einmal ein Plus von 100 Megawatt oder anders ausgedrückt: ein Tropfen auf den heißen Stein. Sachsen ist neben den Stadtstaaten und dem Saarland bundesweit Schlusslicht bei der Windkraft.
Bei Energiepolitik kommt es auf Akzeptanz an
An diesem Vergleich sieht man sehr deutlich, worauf es in der Energiepolitik vor allem ankommt. Auf Akzeptanz. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kann ein Lied davon singen. Seine Bruchlandung mit der Wärmepumpe sollte allen Grünen eigentlich eine Warnung sein. Der Bevölkerung etwas gegen deren Willen überhelfen zu wollen, ist in aller Regel zum Scheitern verurteilt.
Wer Politik, nicht nur Energiepolitik, ideologisch betreibt, muss damit rechnen, Schiffbruch zu erleiden. Ähnlich verhält es sich beim Elektroauto. Auch hier zeigt die Mehrheit der Deutschen der Politik die kalte Schulter. Gleichwohl halten die Grünen trotzig am Aus für den Verbrennermotor im Jahr 2035 fest, lehnen E-Kraftstoffe rundherum ab. Was das für die Automobilindustrie in Deutschland, das Rückgrat unserer Volkswirtschaft, bedeuten könnte, kann man sich leicht ausmalen.
Aber zurück nach Sachsen und den dortigen Klimazielen. Mit Solaranlagen hat die Bevölkerung kein Problem – eher der Denkmalschutz. Die erwähnten Balkonkraftwerke können als Beleg dafür dienen, auch wenn deren Wirtschaftlichkeit in Frage zu stellen ist. Aber das ist Sache der Balkonbesitzer.
Akzeptanz von Windkraft abhängig von Gewinnbeteiligung der Kommunen
Bei der Windkraft sieht das anders aus. Sobald ein neuer Standort bekannt wird, bläst auch schon der Gegenwind. Die riesigen Anlagen machen Lärm, sind kein schöner Anblick und stehen bei Flaute still. Dennoch verweist Wolfram Günther stolz auf die 139 Windkraftanlagen, die sich im Genehmigungsverfahren befinden. Wenn diese in den nächsten Jahren tatsächlich ans Netz gingen, würden sie rund ein Million Privathaushalte mit Strom versorgen können.
Ein Schlüssel zum Erfolg dürfte sein, wie man die Kommunen künftig am wirtschaftlichen Erfolg dieser Anlagen beteiligt. Ein Bürgermeister, der mit der Windkraft nur einen Teil seiner Bürger gegen sich aufbringt, wird kaum Begeisterung entwickeln. Ein Bürgermeister, dem Windkraft Geld in die Stadtkasse spült, dürfte da empfänglicher sein und hätte obendrein ein Argument gegen die Kritiker.
So oder so ist die Politik gut beraten, die ideologischen Schützengräben zu verlassen. Man soll so viel Erneuerbare Energien wie möglich produzieren, wo es sinnvoll ist. Man soll aber auch darauf achten, dass Energie bezahlbar bleibt und die Wirtschaft keinen Schaden nimmt. Denn was hätten wir davon, wenn Deutschland Klimaweltmeister wird, aber die einstige Exportnation Nummer eins nach hinten durchgereicht wird.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 02. August 2024 | 06:00 Uhr