Diskussion Geständnis und Vergleich im Fall Ofarim: Was hat es damit auf sich?
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01. Dezember 2023, 19:12 Uhr
Im Landgericht Leipzig hat der Musiker Gil Ofarim zugegeben, gelogen zu haben. Der von ihm zwei Jahre lang beschuldigte Hotelmanager soll ihn doch nicht antisemitisch beleidigt haben. Entschuldigung. Das Gerichtsverfahren wurde vorläufig eingestellt. Ofarim muss 10.000 Euro an Vereine zahlen und Schmerzensgeld an den Hotelmanager. MDR-Nutzer wundern sich über diesen juristischen Ausgang: "So leicht kommt man davon? Das war's?", fragen viele. MDR SACHSEN hat noch einmal nachgehakt.
Stand der juristischen Dinge
Das Geständnis im Gerichtssaal des Landgerichts Leipzig hatte keine Minute gedauert, als der Angeklagte Gil Ofarim sagte: "Die Vorwürfe treffen zu." Und: "Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen." Damit war der Nebenkläger gemeint, ein Hotelmanager eines Leipziger Hotels, dem Ofarim in einem Videoclip und zweimal an Eides statt antisemitische Beleidigungen vorgeworfen hatte. Der Hotelmanager nahm die Entschuldigung an.
Eine Entschuldigung, ein Geständnis, das erst erfolgt, wenn das Verfahren eindeutig gegen ihn läuft, ist in meinen Augen nichts wert. Glück hat er nur, dass der Hotelmitarbeiter offensichtlich weitaus mehr Charakter hat, als Ofarim selbst.
Beide Seiten einigten sich auf einen Vergleich mit Schmerzensgeldzahlung, über die nichts bekannt ist. Das Verfahren gegen den Sänger wurde vorläufig gegen Zahlung von 10.000 Euro eingestellt. Bezahlt der Angeklagte die innerhalb des nächsten halben Jahres an die Jüdische Gemeinde zu Leipzig und an den Trägerverein des Hauses der Wannseekonferenz, "wird das Verfahren endgültig eingestellt", so das Landgericht.
Dem Landgericht Leipzig ist derzeit nicht bekannt, ob die 10.000 Euro schon überwiesen worden sind (Stand: 01.12.)
Das Hotel, der Angestellte, die Stadt und das Bundesland wurden wochenlang beschimpft und in die hinterste rechte Ecke gestellt. Also, da sind 10.000 Euro und eine Entschuldigung wenig.
Das war's? Warum gab es kein richtiges Urteil?
Die Verfahrenseinstellung begründet die Strafkammer so: Im Prozess gegen Ofarim ging es "vor allem um die zuverlässige Feststellung des Sachverhalts". Nach glaubwürdigen Zeugenaussagen und Auswertungen der Videoaufnahmen und des Gutachtens stand fest, dass die Diskussion am Hoteltresen im Jahr 2021 so nicht stattgefunden haben kann, wie Ofarim behauptete. Das sei vom "Angeklagten auch glaubhaft eingeräumt worden. Damit sind alle Zweifel und Spekulationen in dieser Sache endgültig beseitigt."
Das Strafverfahren ist eingestellt worden, weil aus Sicht der Kammer, aber auch der weiteren Verfahrensbeteiligten, eine Strafe nicht mehr erforderlich oder geboten war.
Der Sprecher des Landgerichts, Johann Jagenlauf, erläutert weiter: "Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage erhoben, weil sie davon ausgegangen ist, dass eine strafbare Handlung vorgelegen hat. Eine strafbare Handlung erfordert aber nicht zwingend eine Verurteilung."
In der Strafprozessordnung gebe es mehrere Möglichkeiten, ein Verfahren auch ohne Urteil zu beenden, zum Beispiel durch Einstellen gegen Geldauflage. Das hätten die Strafkammer und die Prozessbeteiligten als geeignet und ausreichend angesehen, um das Verfahren zu beenden.
Was ist das Geständnis wert?
Im Gespräch mit dem MDR sagte der Jurist und Ex-Präsident des Oberlandesgerichts Dresden, Gilbert Häfner, zum Ausgang: "Am Ende ist das Geständnis viel mehr wert. Denn gegen das Geständnis wird auch nicht ein Teil der Bevölkerung sagen können, es ist ein Falschurteil." Jetzt sei der Rechtsfrieden hergestellt. Es sei unbestritten, dass der Hotelmanger am Check-in zu Unrecht verdächtigt wurde. Die vollständige Argumentation sehen Sie im Video:
Und was hat es mit dem Vergleich auf sich?
Gerichtssprecher Jagenlauf differenziert das Verfahren gegen Gil Ofarim in zwei Teile: die strafrechtliche und die zivilrechtliche Seite. Das Strafrechtliche verfolgte die Staatsanwaltschaft mit der Anklageerhebung und der vorläufigen Einstellung gegen Geldauflage.
"Ein zweiter Teil des Verfahrens lag darin, dass der Nebenkläger auch zivilrechtliche Ansprüche gegen Herrn Ofarim geltend gemacht hat. Diese zivilrechtlichen Ansprüche sind aber nicht mehr Gegenstand einer Entscheidung gewesen", erklärte Sprecher Jagenlauf. Der Hotelmanager hatte sich mit Ofarims Anwälten zivilrechtlich geeinigt und einen Vergleich geschlossen.
Zwei Jahre zog er diese Lüge durch, zwei Jahre musste der Hotelmitarbeiter mit diesen Anschuldigungen leben. Und für 10.000 Euro soll alles gut sein?
Keine Details zu Schmerzensgeld-Höhe bekannt
Für den Vergleich sei auch die öffentliche Entschuldigung des Angeklagten wichtig gewesen. "Damit ist der Hotelmanager zudem wirkungsvoller rehabilitiert worden, als es durch ein Urteil möglich gewesen wäre", betonte der Vorsitzende Richter Andreas Stadler.
Details zur Höhe des Schmerzensgeldes und Schadensersatzes nannte die Nebenklage - der Anwalt des betroffenen Hotelmanagers - nicht. Nur so viel: "Wir sind soweit mit dem Abschluss zufrieden und dabei bleibt es auch. Was Besseres hätte uns nicht passieren können."
Wer bezahlt die Gerichtskosten?
Darüber entscheidet die Strafkammer, wenn Gil Ofarim spätestens im Mai 2024 die Geldauflage von 10.000 Euro bezahlt hat und das Verfahren eingestellt werden kann, sagte Jagenlauf. Dann gebe es drei Möglichkeiten: Entweder Ofarim zahlt die Gerichtskosten oder die Staatskasse kommt dafür auf - also die Steuerzahler - oder es wird differenziert.
Aktuell seien noch nicht alle Gerichtskosten und Kosten für sechs Verhandlungstage, Gutachten und Zeugeneinladungen aufgelistet, sagte Sprecher Jagenlauf, der selbst auch Richter ist. Sie sollen sich aber im fünfstelligen Bereich bewegen.
Wer die Justiz mutwillig so an der Nase rumführt, wird hoffentlich ordentlich zur Kasse gebeten.
Fünfstellig dürften nach Jagenlaufs Einschätzung auch die Kosten für Ofarims vier Anwälte sein. Mit Verweis auf die Strafprozessordnung (§ 467 Absatz 5) muss Ofarim die selber zahlen. Denn im Gesetz heißt es: "Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird."
Unklar ist, wie sich das Leipziger Hotel verhält, das wegen der Rufschädigung seines Mitarbeiters am Check-in ebenfalls wochenlang in den Schlagzeilen war. Es könnte Ofarim noch verklagen und seine Kosten für eigene Ermittlungen oder mögliche Umsatzeinbußen verlangen.
MDR (kbe/kk)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR UM 4 | 30. November 2023 | 16:00 Uhr