Reaktionen auf Geständnis Ofarim-Lüge: "Schade, dass er so viel Zeit gebraucht hat, das zu gestehen"

30. November 2023, 18:41 Uhr

Nach dem Geständnis des jüdischen Musikers Gil Ofarims im Prozess am Landgericht Leipzig gibt es viele Reaktionen. Diskutiert wird auch darüber, ob Politiker, Journalisten und andere vorschnell urteilten, als sie Ofarim Glauben schenkten. Einige von ihnen würden heute anders handeln. Andere bleiben bei ihrer Position von vor zwei Jahren.

"Ich freue mich, dass er endlich Mut gehabt hat, zuzugeben, dass er gelogen hat," sagte der Vorsitzende der israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Küf Kaufmann, MDR SACHSEN. Als er das erste Mal das Video von Ofarim gesehen habe, sei er sofort sicher gewesen, dass er lügt. "Aber schade, dass er so viel Zeit gebraucht hat, das zu gestehen."

Nach der Einstellung des Ofarim-Verfahrens habe die Gemeinde zu Leipzig lange diskutiert, ob sie den vom Gericht zugewiesenen Geldbetrag überhaupt annehmen soll. "Das Verhalten von Gil Ofarim war überhaupt nicht koscher. Daher ist das Geld negativ belastet." Man habe sich schließlich doch dafür entscheiden, das Geld annehmen zu wollen.

Das Verhalten von Gil Ofarim war überhaupt nicht koscher.

Küf Kaufmann Vorsitzender der israelitischen Gemeinde zu Leipzig

"Wir werden es für die Vertiefung und Verbreitung der interreligiösen Arbeit verwenden", kündigte Kaufmann an. Der 41 Jahre alte Ofarim muss als Auflage 10.000 Euro zahlen - je zur Hälfte an die israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig und an die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin.

Sachsens Regierungs-Politiker zeigen Reue

Nicht alle hatten Ofarims Lüge im Oktober 2021 sofort als solche erkannt wie Küf Kaufmann. Viele Menschen, darunter Politiker, Journalisten oder auch das Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz, positionierten sich deutlich für Ofarim und müssen sich das heute in den sozialen Netzwerken vorwerfen lassen. So twitterte Sachsen Wirtschaftsminister Martin Dulig damals zu Ofarim:

Inzwischen hat der SPD-Politiker seine Meinung geändert. Er bedauere den Tweet von damals, teilte Dulig auf Anfrage von MDR SACHSEN mit. Er habe den damals unter dem Eindruck der "unfassbaren Meldung" verfasst. "Das Eingeständnis der Falschaussage darf aber nicht von dem eigentlichen Problem ablenken, dass wir in Deutschland ein großes und aktuell wachsendes Problem mit Rechtsextremismus und Antisemitismus haben."

Das Eingeständnis der Falschaussage darf aber nicht von dem eigentlichen Problem ablenken, dass wir in Deutschland ein großes und aktuell wachsendes Problem mit Rechtsextremismus und Antisemitismus haben.

Martin Dulig Wirtschaftsminister Sachsen

Auch Sachsens Justizministerin Katja Meier von den Grünen würde ihren Tweet von damals heute nicht mehr so verfassen. "Persönlich zeigt mir der Ausgang des Verfahrens sehr deutlich auf, dass meine vorschnelle Einordnung in einer so komplexen Angelegenheit fehl am Platz war, auch wenn ich sie zu so einem essenziellen gesellschaftlichen Thema wie dem Kampf gegen den Antisemitismus getroffen habe." Sie bedauere die besondere Belastung, der die Verfahrensbeteiligten durch die aufgeheizte politische Debatte ausgesetzt gewesen seien.

Persönlich zeigt mir der Ausgang des Verfahrens sehr deutlich auf, dass meine vorschnelle Einordnung in einer so komplexen Angelegenheit fehl am Platz war.

Katja Meier Justizministerin Sachsen

"Mir ging es damals insbesondere darum, auf die Notwendigkeit einer breiten gesellschaftlichen Debatte zur Bekämpfung von Antisemitismus hinzuweisen - ein Thema, das mich als Demokratieministerin in Sachsen sehr bewegt. Meier hatte damals geschrieben:

Ausländerbeauftragter Mackenroth: Neigung zur schnellen Nachricht ist gefährlich

Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth rät indes zu mehr Vorsicht bei der Bewertung solcher Vorfälle. Der CDU-Politiker sagte MDR AKTUELL, man müsse das Bedürfnis nach umgehender Meinungsbildung und abgeschlossenem Urteil hinterfragen.

Die Neigung zur schnellen Nachricht sei das eigentlich Gefährliche. Natürlich solle man nicht immer die Klappe halten. "Mitunter ist es aber besser zu warten, bis Polizei und Justiz ihre Arbeit gemacht haben". Als besonders problematisch bezeichnete es Mackenroth, wenn Vorverurteilungen von hohen Regierungsbeamten kämen.

Kritik an Urteil und Vorverurteilungen in sozialen Netzwerken

In den sozialen Netzwerken kritisieren viele die Einstellung des Verfahren gegen die Geldauflage als "zu milde". Eine Nutzerin schreibt im MDR SACHSEN-Instragam-Kanals: "Das ist wirklich eine billige Geschichte. Das Hotel, der Manager, der Angestellte, die Stadt und das Bundesland wurden wochenlang beschimpft und in die hinterste rechte Ecke gestellt. Außerdem ist das ein ganz schlechter Zug für alle jüdischen Menschen. Also, da sind 10.000 Euro und eine Entschuldigung wenig."

Eine andere Nutzerin meint: "Nicht zuletzt auch sehr peinlich für die Lemminge, die sofort vor dem Hotel aufgetaucht waren, nachdem die Lügen gepostet wurden, jajaja nicht jedem sofort alles glauben, den man nicht wirklich kennt und auf jeden Zug mit aufspringen! Eine schöne Vorlage für ein Theaterstück-Drehbuch!"

Leipziger SPD-Politikerin zu Demo für Ofarim: "Wir würden das immer wieder tun"

Doch es gibt auch andere Stimmen. So hält die Leipziger SPD-Politikerin Irena Rudolph-Kokot die Solidaritätsdemo für Gil Ofarim unmittelbar nach seinem Antisemitismus-Vorwurf auch im Nachhinein für richtig. "Der Musiker hat mit seiner Falschaussage allen Betroffenen einen Bärendienst erwiesen", sagte Rudolph-Kokot dem MDR. Dennoch müsse Menschen, die von Antisemitismus oder rechter Gewalt gegen ihre Person berichteten, auch weiter Glauben geschenkt werden. Die Zivilgesellschaft müsse sich dann auch direkt klar positionieren.

Rudolph-Kokot verwies darauf, dass das Aktionsnetzwerk "Leipzig nimmt Platz" damals den Protest in Absprache mit dem Hotel organisiert habe, in dem sich der Vorfall zugetragen haben sollte. Wörtlich sagte Rudolph-Kokot: "Wir würden das immer wieder tun."

Fall Ofarim: "Erfundener Einzelfall schadet wahren Opfern"

Auch der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, sagt: "Ofarims Lüge ist klar zu verurteilen". Sein Verhalten ändere aber "so wenig am gravierenden Antisemitismusproblem, wie eine einzelne erfundene Vergewaltigung die reale Problematik sexualisierter Gewalt infrage stellen würde".

Das Tragische sei, dass diese erfundenen Einzelfälle oft weitaus größere Aufmerksamkeit erhielten und so den wahren Opfern schaden würden, sagte Mendel. Tatsächlich Betroffene berichteten immer wieder davon, dass ihnen ihre Erfahrungen antisemitischer, rassistischer, sexistischer Gewalt abgesprochen würden. "Es darf aber nicht sein, dass die Lügen Einzelner jene Menschen in Misskredit bringen".

MDR (kbe)/epd/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 29. November 2023 | 19:00 Uhr

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