Zeuge sagt aus Ofarim-Prozess in Leipzig: Hotelmitarbeiter fühlte sich bedroht

07. November 2023, 18:10 Uhr

Im Oktober 2021 berichtet der Sänger Gil Ofarim emotional in einem Video über einen angeblichen antisemitischen Vorfall in einem Hotel in Leipzig. Das Video sorgt deutschlandweit für Schlagzeilen. Doch die Aussagen bestätigen sich zunächst nicht. Der Musiker gerät unter Druck - ihm wird Verleumdung vorgeworfen. Die Verteidigung weist die Vorwürfe bei Prozessbeginn am Dienstag zurück und spricht von Diskriminierung.

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Hotelmitarbeiter fühlte sich von Ofarim bedroht

Im Verleumdungsprozess gegen Gil Ofarim ist der Hotelmitarbeiter als erster Zeuge aufgetreten. Ihm hatte der jüdische Musiker Antisemitismus vorgeworfen. Durch das Auftreten Ofarims beim Hotel-Checkin vor zwei Jahren habe sich Marcus W. bedroht gefühlt, sagte der Mitarbeiter des Leipziger Hotels vor dem Landgericht in Leipzig.

Marcus W. zufolge beschwerte sich Ofarim damals bei ihm lautstark über die lange Wartezeit und eine Bevorzugung von anderen Gästen beim Einchecken. Der Musiker habe von einem "Scheißladen" gesprochen und damit gedroht, seine Beschwerde in einem Online-Post viral gehen zu lassen.

Deswegen sei ihm der Anmeldeschein für das Hotel abgenommen worden, sagte Marcus W. Er forderte Ofarim nach eigener Aussage auf, sich zu entschuldigen, dann könne er einchecken. Der Musiker habe das zurückgewiesen. Die von Ofarim in der Folge in einem Video gegen Marcus W. geäußerten antisemitischen Anschuldigungen hätten für ihn persönlich schwere Folgen bis hin zu einer Morddrohung gehabt, sagte der Hotelmitarbeiter am Dienstag.

Anklage wegen Verleumdung und Falschaussage

Marcus W. hatte sich gegen die Beschuldigungen Ofarims gewehrt und den Musiker wegen Verleumdung angezeigt. Er fordert einen Schadensersatz von 20.000 Euro. Ofarim muss sich seit Dienstag vor dem Landgericht Leipzig wegen mutmaßlicher falscher Verdächtigung und Verleumdung verantworten. Außerdem soll Ofarim falsche eidesstaatliche Versicherungen abgegeben haben, als er an den Landgerichten Köln und Leipzig gegen Medienberichte vorging.

Anklage: Aussagen Ofarims unwahr

Die Anklage zweifelt Ofarims Darstellung an, dass der Hotelmitarbeiter ihn aufgefordert habe, seine Kette mit Davidstern abzunehmen. Ofarim habe nach eigenen Aussagen sonst nicht einchecken dürfen. "Das entspricht nicht der Wahrheit", sagte Staatsanwalt Andreas Ricken am Dienstag.

Verteidigung: Darstellung des Hotelmitarbeiters "völlig unplausibel"

Ofarims Verteidigung weist die Vorwürfe zurück. Verteidiger Rechtsanwalt Alexander Stevens sieht in dem Vorfall einen klassischen Fall von "Aussage gegen Aussage". Möglich sei, dass es sich um ein Missverständnis oder schlechten Humor handele oder aber um eine "antisemitische Anspielung" des Mitarbeiters des Leipziger Hotels, sagte Stevens am Dienstag. Wenn vor zwei Jahren ein diskriminierendes Wort gefallen sein sollte, so sei sein Mandant freizusprechen, betonte der Rechtsanwalt.

Es gehe zudem nicht um den Davidstern, sondern um die Diskriminierung, so Stevens. Es sei unerheblich, ob Ofarim seine Kette sichtbar oder unsichtbar unter seinem Hemd getragen hat. Mobbing und Diskriminierung seien schwer nachzuweisen. Der Verteidiger hält es für "völlig unplausibel", dass sich der Vorfall so abgespielt hat, wie es der Hotelmitarbeiter schilderte.

Rechtsanwalt sieht Fall von Nötigung

Die Weigerung des Hotelmitarbeiters Ofarim einchecken zu lassen, ist laut Verteidiger Stevens ein Fall von Nötigung, da sich der Sänger nach 22 Uhr hätte ein neues Hotelzimmer suchen müssen. Stevens erhob auch schwere Vorwürfe gegen das Hotel und die Medien, die seines Erachtens mit Lügen die öffentliche Meinung bestimmten und seinen Mandanten in Verruf brächten.

Das Leipziger Hotel hatte Stevens zufolge nicht ergebnisoffen und fair ermittelt. Zudem bezweifelt der Ofarim-Anwalt, dass es ein faires Verfahren geben wird. Der Fall sei von Anfang an ein Kampf um die Wahrheit gewesen.

Ofarim verzichtet zunächst auf Aussage

Ursprünglich wollte der Musiker selbst zum Prozessauftakt zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen. Da der Verteidigung aber Akten fehlten, verzichtete Ofarim zunächst auf eine Aussage. Rund 30 Zeugen sind zu dem Prozess geladen. In dem Prozess soll auch das Gutachten eines Digitalforensikers vorgestellt werden, der die Überwachungsvideos analysiert hat.

Prozess unter erhöhten Sicherheitsbedingungen

Aufgrund des großen Medieninteresses wurde der Prozess, der ursprünglich am Amtsgericht verhandelt werden sollte, ans Landgericht verlegt. Die Anwälte Ofarims hatten dagegen Einspruch erhoben. Die Maßnahme entspreche aber dem Gerichtsverfassungsgesetz, so eine Prozessbeobachterin des MDR.

Der Prozessauftakt fand wegen der aktuellen politischen Lage unter strengen Sicherheitskontrollen. Der Abstand zwischen Publikum und Anklagebank wurde vergrößert, wodurch sich die Zahl der Sitzplätze von 100 auf 85 verringert hatte. Es gab verschärfte Kontrollen. Die Nutzung von Handys waren nur Medienvertretern erlaubt.

exactly Gil Ofarim – Opfer oder Täter? 26 min
exactly Gil Ofarim – Opfer oder Täter? Bildrechte: MDR

Antisemitismusbeauftragter mahnt zur Vorsicht

Vor Prozessbeginn hatte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, vor Vorverurteilungen gewarnt. Die Gesellschaft sollte auf Meldungen aus sozialen Netzwerken mit etwas mehr Vorsicht reagieren, bis gesicherte Erkenntnisse vorliegen, sagte Klein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Das hilft dabei, Beteiligte wie Unbeteiligte vor Hass und Hetze zu bewahren."

Was bisher geschah

Die Ausgangslage

Der Musiker Gil Ofarim schildert in einem Instagram-Video, er sei am 4.10.2021 Opfer eines antisemitischen Vorfalls in einem Leipziger Hotel geworden. Ein Mitarbeiter habe ihn am Empfang aufgefordert, seine Kette mit einem Davidstern-Anhänger einzupacken. Dann dürfe er einchecken. Zuvor seien andere Gäste nach Aussage des Sängers in der langen Schlange am Hotelempfang vorgezogen worden.

So reagierte das Hotel

Ein Sprecher des Hotels teilt daraufhin mit, man sei sehr besorgt über den Bericht und nehme die Angelegenheit extrem ernst. Wenig später werden zwei Mitarbeiter beurlaubt. Das Hotel stellt eigene Nachforschungen an und befragt Gäste und Zeugen des Vorfalls.

Juristische Aufarbeitung

Die Staatsanwaltschaft Leipzig nimmt die Ermittlungen auf und stellt das Geschehen vor Ort nach. Der Hotelmitarbeiter erstattet unterdessen Anzeige wegen Verleumdung. Er schildert den Vorfall deutlich anders als der Künstler. Erst Tage später erstattet auch Ofarim Anzeige. Nachdem mehrere Videos von Überwachungskameras ausgewertet wurden, teilt das Hotel mit, man werde keine Maßnahmen gegen den beschuldigten Mitarbeiter vornehmen. Aus einem 118 Seiten langen Gutachten gehe hervor, dass keine "objektivierbaren" Anhaltspunkte vorlägen, die straf- oder arbeitsrechtliche Schritte gegen den Mitarbeiter rechtfertigten.

Die Wende in dem Fall

Anfang April erhebt die Staatsanwaltschaft Leipzig Anklage wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung gegen den Künstler. Bei umfangreichen Ermittlungen sei herausgekommen, dass sich der angebliche Antisemitismus-Vorfall in einem Leipziger Hotel nicht so zugetragen habe, wie Ofarim es in dem Video geschildert hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Hotelmitarbeiter wird eingestellt. Monate später lässt das Landgericht Leipzig die Anklage zu. Zehn Verhandlungstermine sind bis zum 7. Dezember angesetzt. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahren gilt die Unschuldsvermutung.

Was droht Ofarim bei Verurteilung?

Bei einer Verurteilung Ofarims wegen falscher Verdächtigung oder öffentlich begangener Verleumdung droht laut Strafgesetzbuch eine Geldstrafe. Im äußersten Fall kann es auch zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren kommen.

MDR dpa/afp/KNA/(ltt/phb/sys)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 07. November 2023 | 19:00 Uhr

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