Literarischer Herbst Leipzig "Wir schon wieder" oder was es bedeutet, jüdisch zu sein
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24. Oktober 2024, 13:18 Uhr
Die drei Autorinnen Dana von Suffrin, Adriana Altaras und Slata Roschal haben am Mittwochabend in Leipzig ihre Anthologie "Wir schon wieder" präsentiert. In den Texten und Gesprächen sprechen sie darüber, was jüdische Identitäten ausmacht und welche Auswirkungen der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Reaktionen Israels heute haben. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Literarischen Herbstes Leipzig statt.
- In Leipzig sprachen und lasen am Mittwoch drei jüdische Autorinnen darüber, was es bedeutet, jüdisch zu sein.
- Für den Blick auf die Juden und Jüdinnen, aber auch deren Debatten untereinander, war der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 eine entscheidende Zäsur.
- Die Literatur und ein gewisser Wortwitz seien aber ein Mittel, um der schwierigen Situation zu begegnen.
Sie sind genervt davon, immer wieder nach "dem Jüdischen" gefragt zu werden und wissen doch, dass dieses Jüdische derzeit ihr Leben so drastisch bestimmt wie selten zuvor in ihren Biografien. Die Texte von Dana von Suffrin, Adriana Altaras und Slata Roschal, die sie am Mittwochabend im UT Connewitz vortrugen, kreisen um genau diesen Konflikt.
Jüdisch als Kompliment
Es geht um eine Identität, die sich kaum einheitlich fassen lässt, nicht über die Herkunft, nicht über den Lebensstil, noch nicht mal über die Erfüllung bestimmter religiöser Regeln oder Gewohnheiten. "Ich war noch nie in meinem Leben in einer Synagoge" heißt es in dem an diesem Abend von Slata Roschal vorgetragenen Text – und doch ist Slata Roschal, einst als sogenannter Kontingentflüchtling aus Russland nach Deutschland gekommen, eine Jüdin.
Beeindruckend ist es dann, wenn die drei jüdischen Frauen im Gespräch und in ihren Texten ihre immer neuen Anläufe beschreiben, dieses Jüdisch-Sein als ein modernes und waches In-der-Welt-Sein zu begreifen. Sie machen ihren Wunsch klar, dass diese Eigenschaft des Jüdisch-Seins doch einfach nur ein Kompliment wäre, mit dem einem Menschen seine Melancholie genauso wie sein Einfallsreichtum attestiert würde.
Zäsur 7. Oktober
Und zugleich leuchtet – oder besser: dunkelt – in den Texte der drei Autorinnen immer wieder eines auf: Sie wissen, dass ihnen eine solche, ungefährdete Lebensgelassenheit derzeit (und womöglich für lange) nicht vergönnt sein wird: Für die jüdische Community in Deutschland hat sich seit dem 7. Oktober 2023, seit dem Überfall der Hamas und den darauf folgenden Reaktionen des Staates Israel, der Alltag grundlegend verändert.
Lesungen, so erzählen die drei Autorinnen, müssen zum Teil von der Polizei geschützt werden, aber auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft wird härter gestritten als früher. Adriana Altaras merkt an, dass die übermächtige Gegenwart heute alle Debatten bestimmt, während das früher stets verbindende und für alle verbindliche Thema Shoah zur Zeit gar keine Rolle mehr spielt.
Dabei sei die Zerrissenheit der Gesellschaft bis in die Texte dieses Buches hinein spürbar, so sagt Dana von Suffrin, die Herausgeberin der Anthologie "Wir schon wieder". Der Sorge um das Land Israel ist zugleich die Sorge um die Demokratie im Land beigegeben und manche Freundschaft zerbricht an der Frage, wie denn die Strategien des israelischen Regierungschefs Netanjahu zu bewerten seien.
Auch jüdische Menschen aus Deutschland oder anderen westlichen Ländern, die sich bislang vor allem über ihre Nationalität oder über kulturelle und soziale Merkmale definiert haben, werden nun nach ihrer Position zu Israel befragt und nicht selten auch beurteilt.
Literarische Gegenkraft
Es ist eine Situation, die jüdische Menschen belastet und die zugleich eine Art von Ausweg, von Kompensation hervorbringt, die auch früher schon in den Texten jüdischer Autoren auszumachen war: Ein spezieller, auf den Intellekt und die Kraft von Sprache und Rhetorik setzender Humor, der an diesem Abend in jedem der gelesenen Texte herausstach.
Als literarische Mittel – das ist mitzunehmen von diesem Abend – gehören Witz und Wachheit zu den wichtigsten Instrumenten der (deutschen) jüdischen Literatur. Die drei Autorinnen stehen dafür ebenso wie Eva Menasse, Maxim Biller oder Dmitrij Kapitelman.
Dazu, so war bei dieser Lesung ebenfalls zu erfahren, gesellt sich bei vielen die Hoffnung auf Versöhnung – oder doch wenigstens Verständigung – und also auf ein baldiges Ende des Krieges. Zumindest an diesem Abend, der in einer gelösten Stimmung und ohne jede Störung über die Bühne ging und an dem tatsächlich viel gelacht wurde, gab es auf das Ende des Krieges einen Ausblick.
Redaktionelle Bearbeitung: tis
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. Oktober 2024 | 08:40 Uhr