Jüdisches Leben Gröbzig: Dauerausstellung in alter Synagoge zeigt Kippa und Co. zum Anfassen
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25. November 2024, 16:29 Uhr
Am Montag wird das Museum in der ehemaligen Synagoge Gröbzig im Landkreis Anhalt-Bitterfeld wiedereröffnet. In dem Zuge wird auch die Dauerausstellung eingeweiht. Sie lädt ein, jüdische Kultur und Religion in all ihren Facetten kennenzulernen und zu erleben – und damit ein besonderes Stück anhaltischer Geschichte. Dem vorausgegangen war eine umfangreiche Sanierung des im 18. Jahrhundert errichteten Gebäudeensembles.
- Mit der Einweihung der Dauerausstellung wird das Museum Synagoge Gröbzig nach Jahren der Sanierung wiedereröffnet.
- Die Schau soll u.a. mit spielerischen Elementen die Vielfalt jüdischer Kultur verdeutlichen.
- Die Besucherinnen und Besucher sollen aber auch für das Thema Antisemitismus sensibilisiert werden.
Konzerte, Quizabende, Tanz-Workshops oder Taschenlampen-Führungen – mit der Eröffnung der Dauerausstellung im Museum Synagoge Gröbzig will man zukünftig in allen Facetten dem jüdischen Leben nachspüren und versuchen Klischees vorzubeugen.
Jüdischer Rap und modernes Hebräisch
Anett Gottschalk, die Leiterin des Museums, möchte in ihrem Haus die Vielfalt jüdischer Kultur zeigen: "Viele kennen die Musikrichtung Klezmer. Aber es gibt auch einen jüdische Rapper, es gibt ganz viele Richtungen und man darf sich nicht so versteifen." Zwar sei das Judentum eine sehr alte Religion, aber auch sie lebe in der Moderne. Das zeige sich auch an der Sprache, findet Gottschalk. "Also es gibt das moderne Hebräisch, niemand spricht im Alltag Bibel-Hebräisch. Das den Leuten näher zu bringen, ist unsere Mission."
Dennoch beginnt die modern eingerichtete Ausstellung im alten Synagogenkomplex mit der Geschichte, die viel über die Gegenwart erzählt. Als die Synagoge 1796 errichtet wurde, gab es in Gröbzig die größte jüdische Gemeinde im Umkreis. "Im Schnitt gab es in Anhalt so sechs Prozent jüdische Einwohner in den Orten. Wir hatten 15 Prozent", erläutert Anett Gottschalk.
Synagoge Gröbzig überdauerte NS-Zeit als Heimatmuseum
Mit der Reichsgründung 1871 bekamen Jüdinnen und Juden die Möglichkeit, ihren Wohnort und Beruf frei zu wählen. Anett Gottschalk schildert, dass dies zu einer Landflucht im gesamten Reich geführt habe, die auch vor Gröbzig nicht halt gemacht habe. "Dadurch hatten wir 1934 nur noch neun Jüdinnen und Juden. Sie haben dann freiwillig die Synagoge an die Stadt abgegeben und die hat aus der Synagoge das Heimatmuseum gemacht. Das hat die Synagoge gerettet."
Den Museumsbetrieb bewerkstelligt seit Jahren ein Verein von Engagierten – mit finanzieller Unterstützung durch das Land Sachsen-Anhalt, die Stadt Südliches Anhalt und den Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Schließlich unter Denkmalschutz gestellt, wurde das Ensemble in den vergangenen sechs Jahren komplett saniert. Dächer, Fenster, Toiletten, Fahrstuhl – alles wurde von Grund auf erneuert.
Kippa und Tallit zum Anprobieren
Schon im Museumsshop wird deutlich, dass das jüdische Leben hier zwar gewissenhaft und kritisch, aber in freundlich und durchaus humoriger Atmosphäre erzählt werden soll. Davon zeugen u.a. die kleinen Rabbiner in Form von Quietsche-Entchen, die man erwerben kann.
Auch in der Schau wird es spielerisch und durchaus bunt, zeigt Museumsleiterin Anett Gottschalk: "Alles, was blau ist, ist Religion. Alles, was weiß ist, ist Geschichte. Und dann gibt es in jedem Raum ein Exponat, was beides verbindet" – etwa eine Talmudausgabe, die von der jüdischen Gemeinde im Ort stammt. "Alles, was orange ist, darf man anfassen. Da kann man ein Tallit, also einen Gebetsmantel, umlegen, oder eine Kippa aufsetzen."
Um möglichst alle Alters- und Bildungsstufen zu erreichen, setzen Gottschalk und ihr Team auf kurze verständliche Texte. Auch viele Hörstationen sind vorhanden. An diesen wird von realen Personen erzählt oder erklärt, was "Schabbat", "Purim" und "Tefillin" bedeuten oder wie sich Harry Potter auf Jiddisch anhört. Was "koscheres" Essen ist, kann man dagegen in einem Kühlschrank nachschauen.
Antisemitismus-Quiz soll Museumsbesucher sensibilisieren
Ein weiteres Anliegen des Museums ist es, über Antisemitismus aufzuklären. Auch hier setzt Museumsleiterin Anett Gottschalk auf interaktive Elemente: "Es gibt ein Quiz mit Aussagen, wo die Besucher entscheiden sollen, ist das Antisemitismus, was ich jetzt sage? Oder ist es eine Aussage, die politisch neutral ist, die man sagen darf, um da auch ein bisschen zu sensibilisieren."
Sensibilisieren scheint das Zauberwort in der neuen Dauerausstellung zu sein. Und dazu gehört mehr Wissen: Über den heutigen Alltag von Jüdinnen und Juden und ihre Geschichte. Dabei helfen die wenigen verbliebenen Originale der jüdischen Gemeinde Gröbzig – darunter ein Stempel "von Schönchen Goldstein", erklärt die Museumsleiterin, "die als Frau schon um 1900 allein ein Geschäft betrieben hat. Ihr Sohn hat mitgearbeitet, aber es war auf ihren Namen. Also Frauenpower."
Geschichten über jüdische Traditionen
Das Herzstück der Ausstellung ist die Synagoge selbst. Obwohl sie nicht mehr religiösen Zwecken dient, ist sie original eingerichtet, mit Tora-Schrein. Hier können Besucher auch die Ritualgegenstände sehen – den Mantel und daneben die Schriftrolle mit Schild, oder die Chanukkia als Lichthalter. Dort gibt es außerdem ein Theater: 14 Mitglieder des Museumsvereins spielen immer mal wieder Stücke des Heimatdichters Leo Löwenstein, und schaffen in ausverkauften Aufführungen Bewusstsein für das jüdische Leben.
Das sanierte Museum in der Synagoge Gröbzig mit der neuen Dauerausstellung ist nach der feierlichen Eröffnung ab Dienstag für alle Besucherinnen und Besucher geöffnet.
Mehr Informationen
Museumsverein Gröbziger Synagoge e.V.
Lange Straße 8/10
06388 Südliches Anhalt OT Gröbzig
Öffnungszeiten
Montag | geschlossen
Dienstag und Mittwoch | nur Gruppenführungen
Donnerstag bis Sonntag | 10-17 Uhr
Redaktionelle Bearbeitung: tis
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 25. November 2024 | 07:40 Uhr