Tag der Vielfalt Delitzscher Christian Gwenner kämpft für bessere Wege - auf der Straße und im Miteinander
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28. Mai 2024, 08:00 Uhr
Der 42-jährige Christian Gwenner ist Delitzscher und nennt die Stadt mittlerweile wieder sein Zuhause. Politisch interessiert und aktiv ist er schon seit Jahrzehnten. Nun ist er der Erste im Rollstuhl, der sich in den Stadtrat der nordsächsischen Kleinstadt wählen lassen will. Im Gespräch mit MDR SACHSEN berichtet er von den Hürden, die das mit sich bringt und warum Barrierefreiheit eigentlich ganz viele Menschen betrifft.
Wenn Christian Gwenner mit Rollstuhl und Handfahrrad vorn dran durch die Altstadt in Delitzsch fährt, grüßt er alle Leute, die er sieht - und sie grüßen freundlich zurück. Kaum zu glauben, dass er vor knapp zwei Wochen noch ernsthaft überlegt hatte, seine Kandidatur für den Stadtrat niederzulegen.
Denn: Eines seiner Plakate in der Delitzscher Innenstadt war mit einem Hakenkreuz und mit Hitlerbart beschmiert worden. "Da war mir physisch schlecht. Ich musste wirklich mit mir ringen", erzählt er. Sofort seien auch Gedanken an den Angriff auf den Parteikollegen und SPD-Europakandidaten Matthias Ecke hochgekommen. "Es macht etwas mit einem, wenn so ein Symbol mitten im Gesicht ist." Nach einer kurzen Meldung über die sozialen Medien hat er sich ein paar Tage Auszeit genommen.
Als Rollstuhlfahrer ist man verletzbarer
Am Pfingstsonntag hatte er außerdem spätabends beobachtet, wie Vermummte ein Plakat der Linken herunterrissen und dann bedrohlich nah mit ihren Fahrrädern auf ihn zufuhren: "Im Rollstuhl ist man verletzbarer, aber das trifft auch gerade auf die Kandidatinnen zu. Ich habe mich die letzten Jahre daran gewöhnt, dass die Situation im Rollstuhl für das Bedrohungsgefühl nicht den entscheidenen Unterschied ausmacht", erzählt er.
Doch vor allem weil Gwenners Mutters, eine seiner größten Unterstützerinnen, sich um die körperliche Unversehrtheit ihres Sohnes sorgte, hat er sich die Entscheidung, in der heißen Wahlkampfphase dabei zu bleiben, nicht leicht gemacht: "Das verändert alles. Man kann selber sagen, ich bin nicht aus Zucker, oder etwas ironisch, dass an mir nicht mehr viel kaputtgehen kann. Aber wenn jemand anderes so unmittelbar beteiligt ist, ist das etwas völlig anderes und verändert alles."
Wofür steht der Diversity-Tag? Den Diversity-Tag gibt es seit 2012 in Deutschland. Er soll darauf aufmerksam machen, dass Vielfalt und Inklusion in der Gesellschaft gefördert werden müssen. Menschen sollen die Möglichkeit haben - trotz physischer Einschränkungen oder chronischer Erkrankungen - offen und vorurteilsfrei in der Arbeitswelt und in der Freizeit teilzuhaben. Am Aktionstag beteiligen sich Privatmenschen und Organisationen.
Viele positive Erlebnisse auf der Straße
Durch seine aufgeschlossene Art gelingt es Christian Gwenner leicht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Dass er im Rollstuhl sitzt, habe zwar viele Nachteile, aber auf der Straße habe er auch die Beobachtung gemacht, dass es angespannte Situationen befrieden könne: "Gerade wenn ich mit dem Handfahrrad unterwegs bin, da hat man schnell einen Gesprächspunkt. Alle bis zwölf Jahre und alle ab 60 Jahren finden es spannend oder wollen wissen, wie ich es zusammengebaut habe", schmunzelt er. Die Mehrzahl der Gespräche beschreibt er als freundlich und respektvoll. Abfällige Gesichtsausdrücke und Bemerkungen gebe es jedoch auch.
Barrierefreiheit: Ein Thema nicht nur für Rollstuhlfahrer
Eigentlich wollte sich der studierte Historiker gar nicht unbedingt auf eine Partei festlegen, sondern war lange überparteilich unterwegs. Vor mehr als zwei Jahren ging es dann los, dass er sich intensiv mit dem Zustand der Gehwege in Delitzsch beschäftigte. Vor wenigen Monaten dann sagte ihm während einer Bahnfahrt jemand, er sollte doch in die Politik gehen. "Das war kurz bevor hier die Kandidaten für die Wahl zusammengestellt wurden", so Gwenner. Die SPD spiegele dabei seine Werte am ehesten wieder.
"Ich wollte eigentlich nie in erster Linie für barrierefreie Themen stehen. Ich habe Tausend Interessen und bin selbst ein verhältnismäßig fitter Rollstuhlfahrer, der mit Geschick, Einfallsreichtum und Duldsamkeit viel lösen kann." Aber es gebe Menschen, denen es nicht so geht und dass Hürden immer auch individuell sind.
Es ist schwierig und es gibt viele Leute bei der Stadt, die tolle Arbeit machen. Aber wenn man ein bisschen dafür sorgen kann, dass man das neu denkt, dann lohnt sich das.
Gwenner berichtet beispielsweise von einer älteren Frau, die täglich mit dem Rollator am Wallgraben unterwegs ist, um eine Freundin zu besuchen. "Durch die großen Gehwegplatten und die Lücken zwischen ihnen bleiben die Räder hängen", erläutert er. Diese Problematik betreffe nicht nur ältere Menschen, sondern auch Leute mit Kinderwagen. "Es ist schwierig und es gibt viele Leute bei der Stadt, die tolle Arbeit machen, aber wenn man ein bisschen dafür sorgen kann, dass man das neu denkt, dann lohnt sich das."
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 28. Mai 2024 | 20:00 Uhr