Umstrittene Veranstaltung Wirbel um Klemperer-Lesung der Freien Wähler in Dresden

06. November 2023, 15:50 Uhr

In Dresden gibt es Streit um eine von den Freien Wählern geplante Lesung am 9. November. Dabei sollen Dresdner wie der Kabarettist Uwe Steimle aus dem Buch "LTI" des jüdischen Literaturwissenschaftlers Victor Klemperer lesen. Der Reclam Verlag als Rechteinhaber wollte die Lesung zunächst verhindern – und genehmigte sie am Montag schließlich doch. Allerdings will die Stadt Dresden – anders als ursprünglich vereinbart – keine Räume mehr dafür bereitstellen, weil sie einen Imageschaden befürchtet.

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Die Fraktion der Freien Wähler hat in Dresden für den 9. November eine Lesung aus Victor Klemperers Buch "LTI – Notizbuch eines Philologen" angekündigt. Darin befasst sich der jüdische Literaturwissenschaftler und Holocaust-Überlebende Klemperer (1881–1960) mit der Sprache des Nationalsozialismus. Bei der Veranstaltung sollen bekannte Dresdner wie der CDU-Politiker Arnold Vaatz, die ehemalige Grünen-Politikerin Antje Hermenau und der Kabarettist und Schauspieler Uwe Steimle aus Klemperers Buch lesen.

Uwe Steimle, ein Mann mit bloden Haaren, er trägt eine Brille mit schwarzem Rahmen und einen dunklen Pullover.
Der Schauspieler und Kabarettist Uwe Steimle soll bei der Veranstaltung der Freien Wähler lesen. Bildrechte: Lebensläufe/MDR FERNSEHEN

Ob die Lesung stattfindet, war jedoch über Tage unklar. Vergangene Woche hatte der Reclam Verlag, der die Rechte des Werkes inne hat, die Lesung zunächst untersagt. Am Freitag teilte Reclam dann mit, man prüfe die Anfrage der Fraktion Freie Wähler/Freie Bürger. Dasselbe gelte für eine Anfrage der Jüdischen Kultusgemeinde Dresden und des Sächsischen Staatstheaters, die im Staatsschauspiel am selben Tag ebenfalls eine öffentliche Lesung mit Klemperer-Texten planen. In einer Mitteilung hieß es, dem Reclam Verlag sei es wichtig, "dass das Werk Victor Klemperers angemessen gewürdigt und im historischen Kontext diskutiert wird."

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Zusage des Verlags nach langem Zögern

Am Montagnachmittag schließlich teilte Reclam MDR KULTUR mit, man habe gemeinsam mit dem Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb die Freigabe für beide Lesungen erteilt. Zur Begründung hieß es: "Der Reclam Verlag und der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb stehen für Diskurs, Diskussion und Reflexion. Wir halten eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Werk Klemperers für wichtig, denn Bücher sind für alle da."

Die geplanten Lesungen sollten das Verständnis für das Unrecht und das Leid, das die Nazi-Diktatur über Deutschland und die Welt gebracht habe, fördern und Klemperers Vermächtnis, insbesondere in seiner Heimatstadt Dresden, wachhalten, so Reclam.

Dem Reclam Verlag ist es als Autorenverlag wichtig, dass das Werk Victor Klemperers angemessen gewürdigt und im historischen Kontext diskutiert wird.

Reclam Verlag

Kulturbürgermeisterin Klepsch untersagt Lesung im Stadtmuseum

Weiterhin unklar ist der Ort für die Lesung der Freien Wähler. Sie sollte ursprünglich im Stadtmuseum Dresden stattfinden. Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) teilte MDR KULTUR am Montag mit, zum Zeitpunkt der Raumzusage seien aber weder der konkrete Inhalt der Veranstaltung noch die Podiumsgäste bekannt gewesen. Deshalb habe sie bereits am 1. November im Einvernehmen mit dem Leiter des Amtes Museen der Stadt entschieden, die Raumzusage zurückzuziehen.

In dem Schreiben der Kulturbürgermeisterin heißt es zur Begründung, man wolle einen "drohenden Imageschaden für die Landeshauptstadt Dresden hinsichtlich der personellen Besetzung des Podiums" abwenden. Bei Teilen des Podiums sei davon auszugehen gewesen, "dass diese nach diversen Auftritten im rechten politischen Spektrum mit einer Lesung von Klemperer-Texten – einem während der NS-Diktatur verfolgten Dresdner Juden – öffentlich als Verunglimpfung von Holocaustopfern wahrgenommen werden könnte."

Annekatrin Klepsch
Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch will nicht, dass die Klemperer-Lesung im Städtischen Museum Dresden stattfindet. Bildrechte: imago/Sven Ellger

Gegen die Entscheidung der Kulturbürgermeisterin protestieren nun wiederum die Freien Wähler. Susanne Dagen, Stadträtin der Fraktion, sagte MDR KULTUR, dass die Äußerungen von Klepsch ihrer Auffassung nach strafrechtlich relevant seien. "Wir haben sie dafür angezeigt", so Dagen.

Autor Jan Kuhlbrodt betont Stärke von Klemperers Buch

Victor Klemperers "LTI" analysiert die Sprache des Nationalsozialismus und entlarvt die Sprach-Manipulation während der Hitler-Herrschaft. Der in Karl-Marx-Stadt geborene Schriftsteller Jan Kuhlbrodt betonte im Gespräch mit MDR KULTUR die Aktualität des Werkes. Eine Kritik am Sprachgebrauch sei nach wie vor angebracht. Ein Verbot der von den Freien Wählern geplanten Klemperer-Lesung befürwortete er aber nicht: "Ich denke, das Buch ist stärker als Steimle", so Kuhlbrod. Man solle dem Werk von Klemperer vertrauen.

Quelle: MDR KULTUR, redaktionelle Bearbeitung: lig, hki

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. November 2023 | 07:30 Uhr

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