Ulrike Saß steht erklärend vor einem kleinen eingerahmten Gemälde. 4 min
Viele Museen recherchieren die Herkunft ihrer Objekte. In Sachsen gibt es jedoch nur eine festangestellte Provenienzforscherin: Ulrike Saß vom MdbK Leipzig. Bildrechte: Alexander Schmidt/Punctum
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Viele Kunstmuseen recherchieren die Herkunft ihrer Objekte, in Sachsen gibt es jedoch nur eine festangestellte Provenienzforscherin. Blanka Weber hat sie getroffen und gefragt: Wie bilanziert sie ihre Arbeit?

MDR KULTUR - Das Radio Mo 07.04.2025 21:35Uhr 04:00 min

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Tag der Provenienzforschung Raubkunst: MdbK Leipzig gibt Einblicke in Forschung

09. April 2025, 04:00 Uhr

Am 9. April, dem Internationalen Tag der Provenienzforschung, geben Museen Einblicke in die Herkunft ihrer Sammlungsobjekte. In Leipzig bietet Ulrike Saß vom Museum der Bildenden Künste (MdbK) eine Führung an. Sie ist die einzige festangestellte Provenienzforscherin in einem sächsischen Kunstmuseum und untersucht derzeit unter anderem, ob ein Werk von Caspar David Friedrich als NS-Raubkunst in den Museumsbestand gelangt sein könnte.

Viele Museen und Sammlungen schauen mittlerweile kritisch auf ihren Bestand, doch immer noch vergehen mitunter Jahrzehnte bis zur Restitution von Raubkunst. Darum wird am 9. April, dem Internationalen Tag der Provenienzforschung, an die immer noch bestehenden "Grauzonen" in den Depots und Archiven aufmerksam gemacht – und auf die Bemühungen, sie zu klären. In Leipzig etwa gibt es eine Führung mit Ulrike Saß vom Museum der bildenden Künste (MdbK).

So erforscht das MdbK Leipzig die Herkunft von Kunst

Das MdbK hat nach eigenen Angaben bislang rund 1.200 Objekte an frühere Eigentümer restituiert. Vor allem in den 1990er- und 2000er-Jahren seien viele Anträge auf Rückerstattung gestellt worden, durch ehemalige Besitzerinnen und Besitzer oder deren Nachkommen. Diese Anträge betreffen Eigentum aus den Jahren bis 1945, aber auch die Zeit danach. 

Ulrike Saß liest in einem Katalog Eintragungen zu Max Klinger.
Am MdbK wird seit Mitte der 1990er-Jahre Provenienzforschung betrieben.  Bildrechte: Alexander Schmidt/Punctum

Neben der verfolgungsbedingten Enteignung von jüdischem Besitz im Nationalsozialismus geht es um das Eigentum derer, die nach der Republikflucht aus der DDR, erzwungener Ausreise oder anderweitiger Enteignung im Osten beispielsweise Kunstgegenstände verloren. In größeren Museen gibt es Expertinnen und Experten, die sich meist in befristeten Verträgen oder projektbezogen mit den Sammlungen beschäftigen und sie einem Erstcheck unterziehen.

Ulrike Saß vom MdbK Leipzig hat die einzige feste Personalstelle als Provenienzforscherin in einem sächsischem Kunstmuseum, um "pro-aktiv" der Herkunft von Kunstwerken auf die Spur zu gehen. Ihren Alltag bestimmen dabei nicht die Picassos oder andere teure Gemälde der klassischen Moderne, wie sie betont. Oftmals seien es die kleinen, unscheinbaren Objekte oder Skizzen, mitunter aber auch tatsächlich Werke namhafter Künstler.

Rätsel um Bild von Caspar David Friedrich

So gebe ihr ein Aquarell von Caspar David Friedrich Rätsel auf: "Ich weiß aus dem Inventarbuch, dass wir es bei Curt Naubert erworben haben. Aber ich weiß nicht, wo es Curt Naubert 1936 erworben hat. Und das ist der springende Punkt für mich." Zumal der Preis ihr recht niedrig erscheint.

Ein Gemälde
Das Aquarell von Caspar David Friedrich könnte als NS-Raubkunst ins Mdbk gekommen sein. Bildrechte: MdbK Leipzig

Curt Naubert war ein Kunsthändler aus Leipzig. Gerne wüsste Ulrike Saß mehr über ihn und die anderen rund zehn Kunsthändler und Galerien, die es damals gegeben hat. Hier gebe es "eine Forschungslücke", so Saß. So wisse sie nicht, wie seine Position zum NS-System gewesen sei oder aus welchen Quellen er seine Kunst bezogen habe. Fest steht: Die Leipziger Sammlung, in der sie heute forscht, hat etliche Stücke von ihm übernommen.

Gute Provenienzforschung dauert und braucht langen Atem.

Ulrike Saß Provenienzforscherin

Dass es diese Lücken gebe, sei typisch und keine Ausnahme, sobald sich Provenienzforschung intensiv mit der Herkunftsgeschichte von Sammlungsobjekten auseindersetze, so Ulrike Saß. "Das können Personen sein, wo wir nicht mal die Biografie kennen. Das können Institutionen sein, deren Geschichte wir nicht kennen. Und so können wir auch nicht die Geschichte des Kunstwerkes rekonstruieren." Gute Provenienzforschung brauche langen Atem.

Aktenmappen zu Künstlern und Kunstsammlern wie Max Liebermann und Kirstein.
Bildrechte: Alexander Schmidt/Punctum

Geschichte von Herkunft und Verlust erzählen

Aber es gibt eben auch Glücksfälle, wie Saß erzählt: Wenn Kunstwerke an Familien zurückgegeben werden, komme es nicht selten vor, dass die neuen Eigentümer sie den Museen als Leihgabe überließen oder sogar schenkten. "Manchmal möchten Nachfahren einfach nur, dass die Geschichte erzählt wird." Es sei wichtig, die Geschichten, die hinter Herkunft und Verlust liegen, zu erzählen, betont die Provenienzforscherin:

Wenn wir die Geschichten nicht erzählen, erzählt sie niemand. Wir leisten auch Erinnerungsarbeit.

Ulrike Saß Provenienzforscherin

So prüfe Provenienzforschung nicht nur, ob Werke rechtmäßig in Besitz seien, stellt Ulrike Saß fest: "Wir leisten auch Erinnerungsarbeit."

Außenansicht des Museums der bildenden Künste Leipzig.
Das MdbK untersucht gezielt seine Bestände nach NS-Raubkunst sowie nach Kunstwerken, die in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR enteignet wurden. Bildrechte: MDR/Bertram Kober

Wie umgehen mit DDR-Raubkunst?

Ein Kapitel steht allerdings noch am Anfang: Der Entzug von Eigentum nach 1945. Berücksichtigt wurden Personen, die in den 1990er-Jahren einen Antrag gestellt haben, doch mittlerweile sind Fristen verstrichen, Ämter für offene Vermögensfragen geschlossen und manche ehemalige Besitzer sehen wenig Chance, hier einen Dialog zu führen – auch, weil der juristische Rahmen derzeit nicht ausreichend ist. Auch für das Leipziger Museum der bildenden Künste stelle sich die Frage, "wie wir mit solchen Entzügen umgehen, wir können nicht einfach etwas aus einem Bestand weggeben."

Saß hofft auf eine Lösung, zumal in manchen Fällen vermutlich doppeltes Unrecht geschehen sei: weil die Objekte den Eigentümerinnen und Eigentümern zweifach entzogen worden seien, "zuerst im Kontext des Nationalsozialismus, später dann zum Beispiel aus Gründen der Republikflucht".

Weitere Informationen zur Führung

Führung zum Tag der Provenienzforschung
"Opportunistischer Kunsthandel"
mit Ulrike Saß und Lina Frubrich

9. April, 17 Uhr

Treffpunkt: Stadtgeschichtlliches Museum Leipzig | Haus Böttchergäßchen

Redaktionelle Bearbeitung: ks,vp

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. April 2025 | 08:40 Uhr

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