Kathrin Uhlemann
Kathrin Uhlemann ist die einzige Frau im Stadtrat von Niesky und gleichzeitig das Stadtoberhaupt. Sie bemüht sich, andere Frauen für Kommunalpolitik zu begeistern. Bildrechte: Tine Jurtz

Kommunalpolitik Oberbürgermeisterin von Niesky: "Ich bin im Stadtrat die einzige Frau"

06. Juni 2024, 10:00 Uhr

Kathrin Uhlemann stammt aus der Lausitz und hat beruflich viele Bürgermeister bei Förderanträgen beraten, bis sie vor drei Jahren entschied, sich selbst zur Wahl zu stellen. Seit 2021 leitet sie als Oberbürgermeisterin die Geschicke der ostsächsischen Stadt Niesky. Mittlerweile lag ein abgetrennter Schweinskopf vor ihrer Tür und ein Haushaltseklat schwebt im Raum. Trotzdem glaubt die Nieskyer Oberbürgermeisterin an ihre Visionen.

Vor Ihrer Wahl wollten Sie frischen Wind mitbringen und neue Wege gehen. Hat das geklappt?

Kathrin Uhlemann: Meine Tatkraft ist ungebrochen. Allerdings muss ich gestehen, dass an manchen Stellen Ernüchterung, Realismus und Erschöpfung eingetreten sind. Ich habe Lehrstunden absolviert und Spielregeln kennengelernt. Doch neue Wege zu gehen und andere Lösungen jenseits der üblichen Pfade zu suchen, werde ich mir nicht abgewöhnen. Nur wenn wir hinterfragen, haben wir die Chance auf gute und nachhaltige Lösungen.

Ernüchterung – der Job ist also nicht ganz so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?

Ich glaube, das trifft auf jeden Job zu, dass der ersten Euphorie Erkenntnis und auch Ernüchterung folgen. Wenn ich auf die engagierten Menschen in meiner Stadt blicke, bin ich sehr zuversichtlich. Allerdings gibt es auch eine Art Anspruchsdenken: Wenn manche Bürger und Bürgerinnen nicht gleich bekommen, was sie möchten – beispielsweise eine Tempo-30-Zone – sind sie enttäuscht von der Demokratie. Entscheidungen lassen sich nicht einfach bestellen. Wir können lebendig und gemeinsam entscheiden, ob und was wir uns leisten wollen und auf den Weg bringen. Weniger Dienstleistungskommune, sondern mehr echte Bürgerkommune zu sein, ist unser Ziel. Dafür braucht es Zeit. Kurzum: Mein Job macht mir noch immer Spaß, ich würde es immer wieder tun.

Blick auf den Markt mit dem Rathaus und dem Kirchturm der Kirche "Zu unserer lieben Frauen" dahinter. 129 min
Roßwein in Mittelsachsen ist stellvertretend für viele Gemeinden, in denen sich Menschen für ihre Stadt ehrenamtlich engagieren. Bildrechte: picture alliance/dpa | Robert Michael
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Ihr Ziel war, die Stadtgesellschaft wieder enger zusammenrücken zu lassen. Wie gelingt Ihnen das?

Ein Zusammenrücken geschieht am besten im gemeinsamen Tun. Sehr viele engagierte Menschen kommen auf uns zu und bringen ihre Ideen ein, es gibt Fragen und Überlegungen. Wenn es uns gelingt, jenseits des üblichen Verwaltungsalltags genau hinzuhören, können wir die Stadt wirklich gemeinsam entwickeln und voranbringen.

Gehen Sie auf die Bürgerinnen und Bürger von Niesky zu?

Selbstverständlich. Gleich zu Beginn meiner Amtszeit haben wir die Stadtratssitzungen in unser Kulturhaus verlegt. Dadurch sind sie viel sichtbarer und deutlich präsenter. Es kommen viel mehr Nieskyer als vorher. Ich persönlich spreche regelmäßig mit Bürgerinnen und Bürgern auf dem Wochenmarkt oder in kleinen Läden in der Stadt. Wie es in Kleinstädten so ist, man wird erkannt und angesprochen. Unter zwei Stunden komme ich aus keinem Laden heraus, sicher ist das eine oder andere Gespräch dann auch geführt.

Ein Gebäude von außen.
Die Schließung des Waggonbau Niesky ist ein großer Rückschlag für die Stadt in Ostsachsen, sagt Kommunalpolitikerin Uhlemann. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Nach Angriffen auf Politiker und Polizisten sprechen viele über die aufgeheizte Stimmung. Wurden sie selbst schon bedroht?

Bedroht nicht direkt, doch es gab stille Botschaften, die mir Unbekannte vor die Haustür legten, auf die ich auch gern verzichtet hätte. Ich hänge es nicht gern an die große Glocke, eines Tages lag ein Schweinskopf vor meiner Tür. Da sind radikalere Entwicklungen, die man auch persönlich spürt. Ich musste einmal schlucken, es betrifft am Ende meine ganze Familie. Das ist für mich ein Zeiger, wo sich die Gesellschaft aktuell befindet. Einzelne erkennen ihre Grenzen nicht mehr und überschreiten sie.  

Das ist keine schöne Diagnose!

Ich möchte das Ereignis nicht symptomatisch für die Stadtentwicklung und die Stadtgesellschaft sehen. Es wird immer schnell von Polarisierung gesprochen, von Niesky will ich das grundsätzlich nicht so behaupten. Einige haben sich von einem konstruktiven Dialog verabschiedet und sind nicht mehr erreichbar. Das ist etwas anderes als Polarisierung. Das macht mir jedoch am meisten Angst. Das sind diejenigen, die sich letztendlich aus den Prozessen der Geschichte, Haltung und des demokratischen Aushandlungsprozesses herausgenommen haben.

Was kann man hier tun?

Oft fehlen mir hier Antworten. Ich versuche, in der Stadt mit Engagierten zusammenzuarbeiten und Vorbild zu sein. Ich bleibe im Dialog, unterhalte mich mit jedem und gehe auf jeden zu. Manche Gespräche sind schwieriger, vielleicht lässt sich persönlich nicht jeder erreichen. Wenn in der Nachbarschaft Menschen mit Gestaltungswillen und Ideen sind, wird das über den Gartenzaun sichtbar. Vielleicht öffnet sich der eine oder andere durch Einflüsse von außen wieder.

Apropos streiten. Gerade haben Sie gegen Ihren eigenen Haushalt gestimmt. Was war da los?

Das war für mich eine bewusste, aber keine einfache Entscheidung. Einerseits bin ich Verwaltungschefin und in dieser Rolle habe ich selbstverständlich große Anerkennung für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einen Haushalt aufgestellt haben, der durchaus des Sparens willig ist. Aber auf der anderen Seite bin ich Stadträtin. Hier müssen wir noch viel intensiver diskutieren, wo die Reise hingehen kann. Wir stehen kurz vor den Wahlen. Alles, was der jetzige Stadtrat nicht bereit ist, zu sparen, geht am Ende aber auf das Konto derjenigen, die ab August antreten und Niesky gestalten werden.

Was ist Ihre größte Niederlage?

Mir ist es gelungen, zügig die Verwaltung umzustellen, die Führungsstruktur zu straffen und wirklich gute Fachkräfte einzustellen. Dass wir als Team noch besser zusammenwachsen müssen, ist für mich eine große Baustelle, die wir dringend angehen müssen. Kraft haben wir alle nicht zu verschenken.

Eine zweite Niederlage oder Herausforderung ist der wirtschaftliche Niedergang durch die Schließung des Waggonbaus in Niesky. Das ist ein schwerer Verlust für die Stadt und ihre Identität. Wir sehen es in anderen Städten, dass Unternehmen schließen und kein Nachfolger in Sicht ist. Diese Entwicklung wird nicht einfach umkehrbar sein. Doch mit klaren Prioritäten, Mut und Pragmatismus werden wir neue Lösungen finden.

Kurz vor der Wahl: Wie motivieren Sie andere, sich für Kommunalpolitik in Niesky zu engagieren?

Ich bemühe mich, besonders um weibliche Kandidaten. Ich bin im Moment im Stadtrat die einzige Frau. Insofern ist das mein Hauptthema, im zukünftigen neuen Stadtrat auch die weibliche Perspektive, vertreten zu wissen.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 04. Juni 2024 | 20:00 Uhr

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