Kommunalwahl 2024 "Kommunalpolitik kann auch geil sein" – warum sich junge Menschen politisch engagieren
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07. Juni 2024, 08:07 Uhr
Was bewegt junge Menschen, sich in diesen so bewegten Zeiten in der Kommunalpolitik zu engagieren? In welch einem Klima machen sie ihre ersten politischen Schritte? Und welche Hürden gibt es? Drei Menschen aus Sachsen-Anhalt erzählen von ihren Erfahrungen.
- Hannes Kreschel (SPD, Halle) sagt: "Wir als junge Menschen vor Ort können Politik mitbestimmen."
- Julia Lehnert (Bündnis 90/Die Grünen, Magdeburg) sagt: "Mir war es wichtig, dass die Wahl-Listen voll sind."
- Nicklas Kurzweil (Die Linke, Burgenlandkreis) sagt: "Die Stimmung hat sich ein Stück weit aufgeheizt."
Manchmal muss man etwas mit eigenen Augen sehen, um es verändern zu wollen. So wie im Fall von Hannes Kreschel. Vor ein paar Jahren arbeitete der heute 20-Jährige bei einem großen Versandhändler im Logistikzentrum. "Zu erleben, wie die Kolleginnen und Kollegen dort arbeiten mussten, hat mich dazu geführt, dafür kämpfen zu wollen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern", sagt er heute im Blick zurück. Das sei der Punkt gewesen, an dem er entschieden habe: "Ich engagiere mich in der Kommunalpolitik!"
Vier Jahre später kandidiert Kreschel in Halle für die SPD nun erstmals für den Stadtrat. Und er sagt: "Ich mache das, weil ich einfach Bock drauf habe und mich für die Leute in Halle einsetzen möchte."
Was bewegt junge Menschen, sich in diesen so bewegten Zeiten in der Kommunalpolitik zu engagieren? In welch einem Klima machen sie ihre ersten politischen Schritte? Und welche Hürden gibt es? Drei Menschen aus Sachsen-Anhalt erzählen von ihren Erfahrungen.
Im zweiten Teil des Schwerpunkts hatte MDR SACHSEN-ANHALT mit jungen Politikerinnen und Politikern von CDU, AfD und FDP gesprochen.
Begeisterung für Kommunalpolitik über Social Media schaffen
Wer Hannes Kreschel auf Instagram folgt, erhält regelmäßig Einblicke in seinen politischen Alltag. Knapp 2.500 Menschen sind dabei. Der 20-Jährige teilt Videos oder Fotos von Aktionen, die er begleitet. Er äußert seine Meinung zu aktuellen Themen, erklärt Zusammenhänge aus seiner Sicht. Das alles in Form und Format modern aufbereitet und zeitgemäß.
"Ich glaube, das ist sehr wichtig", sagt Kreschel über sein Social-Media-Engagement. "Kommunalpolitik hat immer noch den Ruf, dass es Altherrenparlamente gibt: meistens alt, weiß und männlich. Das müssen wir aber ändern. Wir müssen zeigen: Wir als junge Menschen vor Ort können Politik mitbestimmen. Wir können sie mit entscheiden."
Wir müssen zeigen: Wir als junge Menschen vor Ort können Politik mitbestimmen. Wir können sie mit entscheiden.
Deshalb versuche er, die Leute mit seinem Social-Media-Auftritt zu begeistern und dazu anzuregen, dass sie sich engagieren und sehen: "Kommunalpolitik kann halt auch geil sein. Und Kommunalpolitik ist auch geil." Was das Geile daran sei? "Dass sie direkt vor Ort ist", sagt Kreschel. "Und dass man direkt sehen kann, was passiert und was gemacht wird. Das finde ich geil."
Politik-Interesse "hängt stark vom Thema ab"
Vor vier Jahren trat Hannes Kreschel in die SPD ein. Nun stellt er sich erstmals zur Wahl. Warum er sich in diesen politisch so schwierigen Zeiten dafür entschieden hat? "Im Grunde kam das von außen, dass andere mich gefragt haben, ob ich mir das nicht vorstellen könne, weil junge, engagierte Leute gebraucht werden", erzählt der Jura-Student.
Die Entscheidung, sich zur Wahl zu stellen, sei ihm mit der Unterstützung im Rücken nicht schwer gefallen. "Ich mache das, weil ich Bock darauf habe und weil ich mich für die Leute hier einsetzen möchte."
Für Kreschel steht allerdings auch fest: "Dieses Gefühl vieler Menschen, dass 'die da oben' eh machen, was sie wollen, wirkt sich auch auf die Kommunalpolitik aus. Ich habe manchmal das Gefühl, es gibt Angebote, aber sie werden nicht wahrgenommen. Zum Beispiel, dass sich Bürgerinnen und Bürger die Stadtrats-Sitzungen anschauen können. Da muss man sie einfach drauf hinweisen und das mache ich regelmäßig bei Veranstaltungen auch."
Sein Ziel sei deshalb, Politik für alle, nicht nur die jungen Menschen zu machen: "Es geht um die Seniorinnen und Senioren. Es geht um die Azubis, um die Studierenden, um die Beschäftigten." Aber: "Wenn da ein Teil, die jungen Menschen, nicht in der Kommunalpolitik abgebildet ist, fehlt da was. Da fehlt vor allem eine Perspektive. Ich glaube, dass das Interesse an Politik nicht weniger geworden, aber heutzutage ein anderes ist: Es geht mehr um einzelne Themen. Davon hängt das stark ab."
Kandidatur aus "demokratischem Grundgefühl"
Auch Julia Lehnert hat ihre Themen. Vor allem die Entwicklung des Radverkehrs liegt der 33-Jährigen am Herzen. Deshalb engagiert sie sich seit mehreren Jahren beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Sachsen-Anhalt. "Dadurch bin ich dann auch in die politische Richtung gekommen und vor ein paar Jahren Mitglied bei den Grünen geworden", erzählt Lehnert.
Für Bündnis 90/Die Grünen wird sie nun in Magdeburg erstmals für den Stadtrat kandidieren. Warum sie sich dazu entschieden hat? Ihre Begründung ähnelt der von Hannes Kreschel: "Das war erstmal nicht meine eigene Idee", sagt sie. "Ich wurde gefragt, ob ich mir das vorstellen könne, um die Wahl-Liste zu füllen und genug Kandidierende für den Stadtteil zu finden. Ich habe dann darüber nachgedacht, ob ich öffentlich dort auftreten will, ob mir das behagt."
Schließlich entschied sich Lehnert dafür: "Aus einem demokratischen Grundgefühl heraus war es mir persönlich wichtig, dass die Wahl-Listen voll sind." Lehnert sagt: "Vielleicht braucht es auch frischen Wind durch jemanden, der das zum ersten Mal macht. Und warum sollte nicht auch ich versuchen, das Umfeld, in dem ich lebe, politisch mitzugestalten?"
"Ehrenamt wird selten gesehen"
Dass die Stimmung auch gegenüber der Kommunalpolitik teils rauer geworden ist, hat auch Lehnert registriert. Zumal sie sagt: "Kommunalpolitik sehe ich als ganz schwieriges Feld, weil das ehrenamtliche Tätigkeiten sind. Es gibt ein bisschen Entschädigung, aber vorrangig hast du sehr viel Arbeit und sehr viel Papierkram, wenn du es ernst betreibst und erhältst dafür wenig Gegenliebe."
Lehnert, die als Jugendbildungsreferentin im Bistum Magdeburg arbeitet, sagt: "Alle Stadträtinnen und Stadträte sind woanders im Hauptberuf tätig und auch sehr eingespannt. Das ist etwas, was sich Leute sehr selten bewusst machen, dass die Stadträtinnen und Stadträte das in ihrer Freizeit tun. Das wird selten gesehen."
Warum sollte nicht auch ich versuchen, das Umfeld, in dem ich lebe, politisch mitzugestalten?
Ein Dankeschön, das habe sie von mehreren aktuellen Stadträtinnen und Stadträten gehört, gebe es selten zu hören. "Vielleicht ist Kommunalpolitik ein hartes Brot", sagt Lehnert, "aber damit muss man leben." Aus ihrer Sicht lohne sich das kommunalpolitische Engagement trotzdem, denn: "Für den normalen Menschen ist Landes-, Bundes- oder Europapolitik oft sehr weit weg. Bundespolitisch kann ich zum Beispiel nicht entscheiden, ob in meinem Stadtteil ein Zebrastreifen vor der Schule gebraucht wird oder nicht. Lokalpolitisch macht das sehr viel Sinn, sich für so etwas einzusetzen, weil es den Alltag von vielen Leuten hoffentlich sehr stark verbessert."
"Gemeinsam Wege aus der Krise finden"
Auch bei Nicklas Kurzweil war es die Entwicklung in seiner Heimat, die ihn in die Politik geführt hat. Seit sechs Jahren ist der mittlerweile 26-Jährige nun bereits Mitglied bei den Linken. "Meine Politisierung hat bereits während der Flüchtlingssituation 2015 und dem Aufkommen rechtsextremen Gedankenguts angefangen", sagt Kurzweil, der dann auch Politikwissenschaften in Halle studierte.
Seit 2019 ist Kurzweil auch Mitglied im Gemeinderat Kretzschau im Burgenlandkreis. Und er will dort weitermachen, erneut kandidieren, denn: "Ich bin auf dem Land aufgewachsen und bin deshalb auch dorthin zurückgegangen, als ich angefangen habe, mich kommunalpolitisch zu engagieren." Warum? "Gerade im ländlichen Raum, wo die Bevölkerung viel homogener und konservativer ist, sollten junge Leute, vor allem progressiv eingestellte junge Leute, aufstehen und sich organisieren und Flagge zeigen müssen", sagt Kurzweil. "Progressive Ansichten sollten auch dort eine Stimme und ein Gesicht haben."
Weiter sagt Kurzweil: "Ich komme ja nun aus einer AfD-Hochburg. Mein Wahlkreis ist der einzige bei den vergangenen Landtagswahlen gewesen, in dem die AfD das Direktmandat bekommen hat. Ich will diesen Leuten aber nicht kampflos das Feld überlassen. Weil ich eben doch aufzeigen will: Es gibt Alternativen zu Hass und Hetze auf Migranten, Flüchtlinge, Queere."
"Wir sitzen alle ziemlich in der Scheiße"
Aus seiner bereits mehrjährigen Erfahrung in der Kommunalpolitik kann Kurzweil sagen: "Die Stimmung hat sich ein Stück weit aufgeheizt. Nicht nur in der Hinsicht, dass gerade im ländlichen Raum offen demokratiefeindliche Positionen immer normaler werden, immer akzeptierter werden." Gerade als Linken-Politiker habe er es in seiner Region oft nicht leicht, sagt Kurzweil. Wobei er auch sagt: "Es ist ein Unterschied, ob die Leute vor einem stehen oder sich nur online mit einem auseinandersetzen. Im direkten, persönlichen Kontakt laufen Diskussionen meistens konstruktiv ab. Online kommt es dagegen schneller zu Hass und Hetze."
Natürlich würde sich Unzufriedenheit mit der Bundespolitik auch in den Kommunen widerspiegeln, sagt Kurzweil. Zumal die Auswirkungen auch in der Kommunalpolitik spürbar seien. Ein Beispiel seien die Schulsanierungen im Burgenlandkreis: "Wir müssen überlegen, ob wir dort mit Öl und Gas weitermachen oder ob wir auf Wärmepumpen umstellen und schauen, was da langfristig für uns als finanzschwache Kommune überhaupt möglich ist."
Ich will den Leuten, die noch ein Stück weit Hoffnung darin haben, dass man im demokratischen Miteinander leben kann, eine Plattform geben und die Gelegenheit, das auch in politischen Wahlergebnissen zu zeigen.
Überhaupt sagt Kurzweil: "Die Finanzsituation schwebt über allem. Dort spürt man am stärksten die Auswirkungen von Landes- und Bundespolitik. Ich kenne keine einzige Kommune bei uns, die nicht insolvent ist. Gelinde gesagt: Wir sitzen alle ziemlich in der Scheiße. Wenn sich die Bundesregierung zerfetzt, während wir darauf warten, dass man uns Geld gibt, damit wir zumindest unsere Pflichtaufgaben erfüllen können, beschäftigt uns das."
Und trotzdem, oder gerade deshalb, sei es wichtig, sich als junger Mensch in der Kommunalpolitik zu engagieren, sagt Nicklas Kurzweil.
MDR (Daniel George) | Erstmals veröffentlicht am 18.02.2024
Dieses Thema im Programm: FAKT IST! aus Magdeburg | 19. Februar 2024 | 22:10 Uhr
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