Insolvenz Waggonbauer zu Werksschließung in Niesky: "Es ist ein absolutes Trauerspiel"

30. August 2023, 11:29 Uhr

Mehr als 100 Jahre wurden in Niesky Waggons gefertigt. Ende des Monats soll damit Schluss sein. Dann wird der Betrieb wegen Insolvenz eingestellt. Für viele Angestellte bedeutet dies eine Katastrophe. Der Waggonbau war für sie mehr als nur ein Arbeitgeber.

Die grauen Wolken hängen tief über dem Werk von Waggonbau Niesky an diesem ungewöhnlich kalten Augusttag. Das trübe Wetter passt zur Stimmung von Steffen Beier, der gerade von einem Treffen mit seinem ehemaligen Team kommt. "Wenn man sich mit den Kollegen sieht, dann kommen schon ein paar Tränchen", sagt er. An das Werkstor hat jemand ein Skelett in schwarzem Umhang angebracht. Es steht wohl für den Tod des Werkes. Beier steht davor, den Kopf leicht gesenkt, die Augen traurig und müde, fast wie auf einer Beerdigung, während es ihm in feinen Fäden auf die grauen Haare nieselt.

Waggonbau Niesky war sein Leben für 44 Jahre, jetzt soll damit Schluss sein. "Das Werk war für mich fast wie ein Zuhause", sagt er. Die Arbeit machte ihm Spaß und mit vielen Kollegen verbinden ihn Freundschaften. 1979 hat der heute 60-Jährige seine Lehre als Maschinen- und Anlagenmonteur in dem Betrieb begonnen. Seitdem arbeitet er dort im Vorrichtungsbau. Schon sein Großvater arbeitete dort, auch seine Mutter und sein Sohn, aber der hat schon einen neuen Job gefunden.

Auf der anderen Seite des Tores stehen zwei beladene Lkw mit slowakischen Kennzeichen. Auf den offenen Ladeflächen liegen wahrscheinlich Vorrichtungen für die Fertigung von Waggons für den Eurotunnel, vermutet Beier aus einigen Metern Entfernung.

Slowakischer Mutterkonzern transportiert Vorrichtungen ab

"Es ist traurig zu sehen, wie dieser Betrieb zerlegt wird", sagt er. Mitarbeiter des slowakischen Mutterkonzerns Tatravagónka würden Arbeitsmittel und Vorrichtungen mitnehmen und in die Slowakei abtransportieren. "Das geht richtig ans Herz".

2019 hatte Tatravagónka den Nieskyer Betrieb übernommen. Nachdem die Waggonbauer zunächst große Hoffnungen in den neuen Eigentümer gesetzt hatten, spitzte sich vor allem in den vergangenen Monaten ein Konflikt zwischen Belegschaft und Geschäftsführung zu.

Es habe an Materialien und Werkzeugen gefehlt, berichteten damals einige Waggonbauer. Ein effizientes Arbeiten sei unmöglich gewesen. Die Geschäftsführung hatte den Mitarbeitern wiederum vorgeworfen, sie seien zu langsam und würden zu viel Geld fordern. Beier wird wütend, wenn er daran denkt.

Waggonbauer wütend: "Der Gipfel der Frechheit"

Die Mitarbeiter hätten immer ihre Arbeit gemacht, ihnen seien aber immer wieder von der Geschäftsführung Steine in den Weg gelegt worden. "Teilweise war kein Diesel da für die Fahrzeuge, mal wurde etwas Falsches bestellt. Immer wieder war etwas, das die ganze Produktion hemmte", sagt Beier. "Und dass man dann noch sagt: 'Die sind faul!' - das ist der Gipfel der Frechheit." Von Tatravagónka sei er "total enttäuscht".

Jetzt muss Beier sich eine neue Arbeit suchen. "Mit 60 ist das schwierig", vermutet er. Aber um nichts zu tun, fühle er sich noch zu fit. Für die Jüngeren dürfte es einfacher sein, eine neue Arbeit zu finden, aber auch viele von ihnen sind von der Schließung extrem mitgenommen. "Das Ganze schlägt mehr als aufs Gemüt", sagt der 34-jährige Manuel Zaplata, einer von Beiers Kollegen.

Auch er hat sein ganzes bisheriges Berufsleben hier gearbeitet, 18 Jahre lang. Mit 16 hat er seine Ausbildung als Konstruktionsmechaniker begonnen und sich bis zum Produktionsleiter hochgearbeitet. Noch bis Ende des Monats ist er Linienleiter für die Fertigung von Waggons für den Eurotunnel.

Arbeitsplatz mit familiärer Atmosphäre geht verloren

"Es ist nicht bloß ein Arbeitsplatz, den man verliert" sagt er. Für ihn sei der Betrieb wie eine Familie gewesen. "Die meisten Mitarbeiter hier sind mit Herz und Seele mit dem Werk verbunden." Fünf Generationen seiner Familie hätten schon in dem Traditionsbetrieb gearbeitet, erzählt Zaplata.

Wo er in Zukunft arbeiten wird, weiß er noch nicht. "In dem Metier ist es schwierig, etwas in der Region zu finden", glaubt er - trotz des Fachkräftemangels. Doch Umziehen kommt für den Nieskyer Familienvater nicht infrage, er sei regional zu sehr verwurzelt.

Während Zaplata spricht, fährt ein weiterer Lkw mit slowakischem Kennzeichen durch das Werkstor. "Hier sieht man es ja wieder, ein Lkw nach dem anderen kommt hier an, um die Demontage dieses Werks voranzutreiben", sagt er. Viele der Hallen seien schon leer. "Es ist ein absolutes Trauerspiel."

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 25. August 2023 | 19:00 Uhr

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