Jubiläum Bautzen: Wie das erste sorbische Theater Deutschlands entstanden ist
Hauptinhalt
01. Dezember 2023, 04:00 Uhr
In Bautzen werden am Samstag zwei große Jubiläen gefeiert: Vor 75 Jahren wurde das Sorbische Volkstheater und vor 60 Jahren das Deutsch-Sorbische Volkstheater gegründet. Auf dem Programm stehen aus diesem Anlass eine Erstaufführung, eine Ausstellung und ein Film. Über die Geschichte und Bedeutung des Theaters für die deutsch-sorbische Kultur haben Intendant Lutz Hillmann und seine Stellvertreterin Madlenka Scholze bei MDR KULTUR gesprochen.
- Das Sorbische Theater wurde in Bautzen als erste professionelle sorbische Kulturinstitution in Deutschland gegründet.
- Zu DDR-Zeiten wurden das Sorbische und das Bautzener Stadttheater aus inhaltlichen Gründen fusioniert.
- 60 Prozent des Schauspielensembles in Bautzen fühlen sich der Sorbischen Identität zugehörig.
MDR KULTUR: 1948 gründet sich das Sorbische Theater Bautzen – das ist drei Jahre nach dem Krieg und interessanterweise ein Jahr vor Gründung der DDR. Wie war denn damals die Situation der Sorben?
Madlenka Scholze: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1948 das sächsische Sorben-Gesetz verabschiedet. Und als erste Auswirkung dessen wurde die erste professionelle Kulturinstitution, nämlich das Theater, gegründet. Das muss eine große Aufbruchsstimmung gewesen sein.
Was war die Idee für so ein Theater? Ging es da vor allem erstmal um Tradition und Folklore, oder gab es auch schon aktuelle Themen wie den Braunkohletagebau?
Scholze: Die Idee war, sich zu professionalisieren. Jan Krawc, Johannes Schneider, hieß der erste Intendant. Er war Dramaturg und Schauspieler. Nach dem Krieg ist er in der Lausitz aufgetreten und ihm wurde die Aufgabe übergeben, dieses sorbische Volkstheater zu gründen, zu initiieren.
Da hat er sich Talente gesucht auf den sorbischen Dörfern, und die erste Maßgabe war einfach gutes Theater. Gut spielen. Und da wurde natürlich Weltliteratur ins Sorbische übersetzt. Das waren nicht original sorbische Stücke. Das kam erst allmählich dazu, dass man Autoren gefunden hat, neue Stücke entwickelt hat. So klein wie das Volk, so ist auch die Dramatik.
1963 wurde das Sorbische Theater dann fusioniert mit dem Deutschen Theater zum Deutsch-Sorbischen Volkstheater. Wie war da der Vorgang?
Lutz Hillmann: Ja, genau, das war im Grunde genommen der Vorgang. Beide Theater hatten ihre Nöte. Das sorbische Volkstheater hatte kein eigenes Haus, fuhr auf die Dörfer und spielte in den Dorfsälen. Das Bautzner Stadttheater hatte natürlich ein großes, damals noch sehr repräsentatives Haus, kam aber, wie alle anderen Theater damals in der DDR, schon in Probleme. Also in Städten dieser Größenordnung wurden die Theater brutal geschlossen. [...] Man hatte natürlich Angst um das Bautzener Stadttheater.
Aber man hatte andererseits auch Angst um das sorbische Volkstheater, was gegen die Allmacht des Fernsehens damals anfing, anzuspielen. Die Leute kauften sich Fernseher, und die Säle waren nicht mehr ganz so voll, sodass diese Fusion aus, will ich mal sagen, inhaltlichen Gründen erwogen, organisiert und dann durchgeführt wurde. Anders als die Fusionen, die es heutzutage gibt, die aus rein finanziellen Gründen gemacht werden und damit natürlich eigentlich nicht gut gehen können.
Welche gesellschaftliche Relevanz konnte das Theater erlangen, auch mit Blick auf den Kohleabbau in den 70er- und 80er-Jahren? War das Deutsch-Sorbische Volkstheater auch so ein Ort der Kritik, die auf der Bühne geäußert werden durfte?
Hillmann: Wenn man das jetzt mal über die Geschichte des sorbischen Theaters seit 1948 betrachtet, ist es relativ spät erst dazu gekommen, dass es auch auf der Bühne kritische Töne gab. Die Sorben haben sehr lange und sehr duldsam alles ausgehalten. Es ist kein aufmüpfiges Volk. Es hat niemals einen sorbischen Aufstand gegeben in der gesamten Geschichte. Grund hätte es genug gegeben, denn das Land ist den Sorben weggenommen worden, und damit ist es faktisch gleichnishaft für die Abbaggerung der sorbischen Identität in der Gegend hier.
Wie sieht der Alltag heute aus? Das Theater ist ja noch existent. Es musste Sparten wie das Musiktheater abgeben. Aber wie muss man sich dieses Deutsche und Sorbische konkret vorstellen?
Hillmann: Es gibt, das ist auch ganz bewusst so gemacht, eigentlich keine Trennung der Ensembles, wie das vielleicht früher mal war. Sondern, das war auch mein Bestreben, dass alle den gleichen Vertrag haben und man im Grunde genommen, selbst wenn man nicht in der Gegend geboren und aufgewachsen ist, auch die Verpflichtung hat, im sorbischen Spielplan mitzuwirken.
Es gibt nur ein einziges Theater in Deutschland, an dem man sorbisch, obersorbisch und niedersorbisch professionell spielen kann. Und wenn man das kann und will, dann hat man die Chance nur hier.
Aber es gibt natürlich Schauspielerinnen und Schauspieler, die das insbesondere können, weil sie Muttersprachler sind, weil sie es später gelernt haben und sich auch zugehörig fühlen. Und das sind ungefähr 60 Prozent des Schauspielensembles. Das ist bemerkenswert, finde ich. Das ist der Kern unseres Ensembles.
Das macht das Ensemble auch aus, weil sorbische Schauspieler haben nie so eine hohe Fluktuation wie an anderen Theatern. Es gibt nur ein einziges Theater in Deutschland, an dem man sorbisch, obersorbisch und niedersorbisch professionell spielen kann. Und wenn man das kann und will, dann hat man die Chance nur hier und geht natürlich nicht weg. Und wir müssen auch unsere qualifizierten Leute hier halten und können nicht leichtsinnig sagen: Naja, hier mal eine Nichtverlängerung oder so, sondern wir müssen uns dann eher sehr intensiv um unser Ensemble kümmern.
Wie sieht die Zukunft für ein Theater in Bautzen aus? Theater sind Orte, wo man direkt miteinander in Kontakt kommt, und nicht in digitalen Blasen unterwegs ist. So etwas spielt womöglich eine immer größere Rolle?
Hillmann: Ja, wenn das nicht so wäre, hätten wir ja schon lange aufgehört, das zu betreiben. Dann hätte man keine Lust mehr dazu. Wir hatten wieder eine Aufführung vom "Volksfeind", wo ich dann den Glauben wieder zurückbekomme und sage: Ja, das ist richtig, was wir da machen, das gibt es vorm Fernseher nicht. Kneipen gibt es auch kaum mehr welche, wo man sich unterhält.
Und dann gibt es dort gerade im "Volksfeind" eine Stelle, wo die Leute auch gebeten sind, sich einzumischen und etwas zu sagen. Wenn das dann da hoch hergeht und man sich aber gut unterhält und auch wirklich zu neuen Erkenntnissen kommt, dann ist das im Grunde genommen die Aufgabe von Theater. Und da kann man dann wieder ein bisschen idealistischer und ein bisschen träumerisch werden.
Das Interview für MDR KULTUR führte Theaterredakteur Stefan Petraschewsky. Redaktionelle Bearbeitung: vp
Mehr Informationen zur Festveranstaltung
Die Festveranstaltung zum Jubiläum 75 Jahre Sorbisches Volkstheater und 60 Jahre Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen findet am 2. Dezember 2023 statt.
Adresse:
Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen
Seminarstraße 12
02625 Bautzen
Programm:
18 Uhr: Deutsche Erstaufführung des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters von "Schierzens Hanka" von Esther Undisz nach Motiven von Jurij Koch
Im Anschluss Festveranstaltung, u.a. mit Plakat-Ausstellung und Film.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Spezial | 01. Dezember 2023 | 18:05 Uhr