Der Schauspieler und ehemalige politische Häftling Jochen Stern steht in der Gedenkstätte Bautzen hinter einem Gefängnisgitter
Der Schauspieler und ehemalige politische Häftling Jochen Stern ist zum 75. Jahrestag des Häftlingsaufstandes von Bautzen an den damaligen Ort der Ereignisse zurückgekehrt- Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

75 Jahre Häftlingsaufstand Bautzen Jochen Stern: Vom politischen Häftling zum Schauspieler

06. April 2025, 11:07 Uhr

Schauspieler und Buchautor Jochen Stern ist 96 Jahre alt, als er an einen Schreckenort aus seinem früheren Leben zurückkehrt - die Justizvollzugsanstalt Bautzen, auch "Gelbes Elend" genannt. Dort war er sieben Jahre aus politischen Gründen eingesperrt und erlebte den Häftlingsaufstand von 1950. Für MDR SACHSEN lässt er die damaligen Ereignisse Revue passieren, erzählt über sein Leben danach sowie das lange Vergessen und Verschweigen dieses dunklen Kapitels der deutschen Nachkriegsgeschichte.

  • Schauspieler Jochen Stern saß sieben Jahre als politischer Häftling im "Gelben Elend" in Bautzen.
  • Mit zwei Aufständen revoltierten Häftlinge in Bautzen 1950 gegen ihre Haftbedingungen.
  • In der BRD baute sich Stern ein neues Leben auf und verdrängte lange die Erinnerung an seine Haftzeit.

Schauspieler Jochen Stern war Ekel Alfreds einziger Freund in "Ein Herz und eine Seele", ein Butler in "Verbotene Liebe", ein Nachbar von Lehrerin Christiane Kerner in "Good Bye, Lenin!" - und fast sieben Jahre politischer Gefangener in der sowjetischen Besatzungszone und der jungen DDR. Er war 19 Jahre alt und Mitglied in der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, als er 1947 vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und wegen angeblicher Zugehörigkeit zu einer Spionageorganisation verurteilt wurde. Die Strafe: 25 Jahre Zwangsarbeit in der Justizvollzugsanstalt Bautzen, bekannt als "gelbes Elend". Dort erlebte er den Häftlingsaufstand 1950.

Ein Mann sitzt vor Häusern im Miniaturmaßstab. 1 min
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Unter der Volkspolizei wurde es noch schlimmer

Kurz zuvor hatte die sowjetische Verwaltung die Verantwortung für das Speziallager an die Volkspolizei der DDR übergeben, erzählt der heute 96-Jährige im Gespräch mit MDR SACHSEN. Doch statt der erhofften besseren Verpflegung und medizinischen Versorgung wurden die Lebensmittelrationen noch mehr gekürzt. Das erhoffte Wiederaufrollen der politisch motivierten Prozesse blieb aus. Stattdessen seien die politischen Häftlinge wie die schlimmsten Verbrecher behandelt worden, erinnert sich Stern: "Und das brach in uns auf. Das gab eine gewisse innere Widerstandskraft."

Wir hatten Spezialisten, die konnten an einem Stück Brot drei, vier Stunden kauen. Das muss man erstmal können. Weil man das Gefühl hatte, dadurch den Hunger zu besiegen.

Jochen Stern 1947-54 politischer Häftling in Bautzen

Am 13. März 1950 begehrten die Gefangenen das erste Mal auf. Sie kletterten auf Barackendächer, schwenkten weiße Tücher und riefen "Wir rufen die UNO" und "Wir sind unschuldig". "Das war ein gewaltiger Aufschrei", sagt Stern. Weil dieser weitgehend ungehört verhallte, kam es am 31. März 1950 zum zweiten Aufstand. Doch diesmal hätten sich die Volkspolizisten nicht versteckt, sondern brutal zurückgeschlagen, blickt Stern zurück und berichtet, wie seine Mitgefangenen und er gezielt niedergeknüppelt wurden.

Ein Mann sitzt in einer nachgebauten Gefängniszelle. 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ein kompletter Neuanfang im Westen

Ein wenig besser sei die Lage im "Gelben Elend" dann aber doch geworden, erinnerte sich Jochen Stern und vermutet dahinter Druck von der sowjetischen Kontrollkommission. Die Insassen durften erstmals Lebenszeichen an ihre Angehörigen senden und später von ihnen Versorgungspakete empfangen. Stern wurde 1954 in die Bundesrepublik Deutschland entlassen. Er hatte kein Abitur, seine Zeit als Neulehrer bis zu seiner Verhaftung wurde nicht anerkannt. Also drückte er als 22-Jähriger nochmal die Schulbank, studierte mehrere Semester Jura. Letztlich landete er aber dank Schauspielunterricht und glücklichen Umständen auf der Theaterbühne und vor der Kamera. Stern schätzt, dass er in fast 300 Produktionen mitgespielt hat - noch im vergangenen Jahr in einer Folge der ZDF-Krimireihe "Marie Brand".

Blick auf die Justizvollzugsanstalt Bautzen, das sogenannte "Gelbe Elend"
Den Spitznamen "Gelbes Elend" erhielt die Justizvollzugsanstalt Bautzen wegen ihrer gelben Ziegelfassade außen und ihrer schlechten Haftbedingungen innen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mit der deutschen Einheit kamen die Erinnerungen zurück

Und seine Nachkriegserlebnisse? "Ich habe im Grunde genommen gar nicht so häufig über mein Schicksal geredet", sagt Jochen Stern. Dafür sei er in den Jahren danach zu beschäftigt gewesen: "Viele seinerzeitigen Kameraden, die konnten mit diesem Erlebnis nicht fertig werden, aus vielerlei Gründen. Mein Beruf hat mir geholfen, mich davon abzuwenden. Ich habe also ein paar Jahrzehnte lang nichts damit zu tun gehabt." Erst bei der Wiedervereinigung kamen die Gedanken wieder ihm auf. Und als er gefragt wurde, ob über seine Vergangenheit in Bautzen sprechen würde, tat Stern das und zwar sehr gezielt: in Schulen vor Jugendlichen, die von dieser Zeit kaum etwas wissen.

Ein Mann steht in einem Gefängnistrakt. 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Sind die Menschen im Westen zu sorglos?

In der heutigen Zeit sieht der ehemalige politische Häftling Jochen Stern gefährliche Parallelen zu seinen Erlebnissen im "Gelben Elend" in Bautzen. Wenn er in Richtung Ukraine blickt, sieht er Menschen sterben, die nichts verbrochen haben. Und er mahnt zu Wachsamkeit, damit Andere in der Zukunft nicht seine Vergangenheit selbst erleben müssen.

Wir erleben den Alltag glücklicherweise in einer Form freiheitlich und demokratisch und begreifen manchmal gar nicht, dass eine große Gefahr vom Osten her kommen könnte, wenn wir uns nicht dementsprechend verhalten und verteidigen. Das heißt, das Gestrige, was vor 75 Jahren geschah, sollte eigentlich vermieden werden, dass es sich heutzutage oder morgen oder übermorgen wiederholt. Das ist meine Bitte, dass wir uns dementsprechend so verhalten.

Jochen Schreiber Schauspieler und ehemaliger politischer Häftling

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 30. März 2025 | 19:00 Uhr

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