Ein Jahr nach Winnetou-Debatte Wie man in Sachsen Karl May neu entdeckt
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06. September 2023, 09:38 Uhr
Die Winnetou-Debatte von 2022 hat ihre Spuren bei den Karl-May-Spielen in Deutschland hinterlassen. Das sagt der Autor und Karl-May-Bühnen-Experte Nicolas Finke im Gespräch mit MDR KULTUR. Er hat die erste Spielzeit nach den Diskussionen um rassistische Stereoytpe und kulturelle Aneignung beobachtet. Sie ist gerade zu Ende gegangen - mit Rekorden und ersten Veränderungen. Diese betreffen auch die Museen, die sich mit Karl May und dessen Werk befassen.
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- Bühnen-Experte Finke beobachtet im sächsischen Bischofswerda einen sensiblen Umgang mit der Debatte.
- Auch andere Karl-May-Spiele in Deutschland nehmen behutsame Veränderungen vor.
- Die sogenannte "Winnetou-Debatte" von 2022 beschäftigt auch Museen.
Ein Jahr nach der Winnetou-Debatte vermelden mehrere Karl-May-Spiele in Deutschland Besucherrekorde. Die größten Festspiele in Bad Segeberg lockten bis zum ersten September-Wochenende mehr als 430.000 Besucher an - die kleinste Bühne im sächsischen Bischofswerda konnte in der zurückliegenden Spielzeit 13.500 Zuschauer vermelden.
Nicolas Finke ist Experte für Karl-May-Spiele und Co-Autor einer Buchreihe über alle deutschsprachigen Bühnen, die sich dem sächsischen Autor verschrieben haben. Finke hat dieses Jahr viele von ihnen besucht, um sich ein Bild zu machen. Sein Urteil: Die Debatte um kulturelle Aneignung und rassistische Stereotype, die sich im vergangenen Jahr um den Film "Der junge Häuptling Winnetou" entsponnen hatte, hat Inszenierungen vielerorten geprägt.
Die Bühne in Bischofswerda nimmt eine Vorreiterrolle ein
Die Auseinandersetzung mit der aktuellen Debatte in Bischofswerda findet Finke gelungen. Er verweist im Gespräch mit MDR KULTUR darauf, dass die Macher der dortigen Karl-May-Spiele einen indigenen Berater hinzuzogen haben: Kendall Old Elk gehört der Apsáalooke Nation an und ist einer von wenigen Native Americans, die in Deutschland leben. Seine Tipps, etwa Formulierungen im Textbuch zu ändern oder wegzulassen, habe man in Bischofswerda aufgeriffen, so Finke.
Der Autor betont zudem, dass die Winnetou-Geschichte auf der kleinen Waldbühne eingeordnet wird. Man habe auf dem Festspielgelände Infotafeln angebracht. Diese klären über Karl May, dessen Lebensumstände und echte Apachen auf, berichtet Nicolas Finke. Im Gespräch mit MDR KULTUR verweist der Experte auf die Bedeutung des Dialogs angesichts der emotional geführten Debatte. Mit Blick auf Bischofswerda ist er optimistisch, dass dieser Früchte trägt: "Man führt den Dialog weiter - mit Kritikern, Vertretern der Karl-May-Szene, dem Stammpublikum und Vertretern des indigenen Nordamerikas."
Bischofswerda ist ein Vorreiter aller Karl-May-Bühnen, wenn es darum geht, innerhalb der aktuellen Debatte die eigenen Aktivitäten zu reflektieren.
Im vergangenen Sommer tobte eine zum Teil heftige Debatte über kulturelle Aneignung und Rassismus rund um das Werk Karl Mays. Sie entstand, nachdem der Ravensburger Verlag ein Begleitbuch zum Film "Der junge Häuptling Winnetou" zurückgezogen hatte. Manche witterten daraufhin übertriebene Kritik an überlieferten Stoffen.
Finke: Mit behutsamen Veränderungen Karl-May-Fans mitnehmen
Die Karl-May-Festspiele seien zwar vielerorts ein riesiger Erfolg - das heiße aber nicht, dass sie sich nicht verändern könnten oder sollten, findet Finke. Um gestandene Karl-May-Fans nicht zu verprellen, rät er zu behutsamen Veränderungen. Auch hier sieht der Sachbuchautor Bischofswerda als Vorbild: "Wenn man diesen Weg so ähnlich geht, also sich mit den eigenen Aktivitäten kritisch auseinandersetzt, mit Menschen in einen Dialog tritt und dann Entscheidungen trifft, dann bietet das auch eine Chance."
Die Winnetou-Debatte beschäftigt auch Karl-May-Museen
Wie sich Karl May und dessen Werk einordnen und vermitteln lassen, beschäftigt nicht nur die Bühnen. Im Geburtshaus des Schriftstellers in Hohenstein-Ernstthal ist in diesem Jahr eine Sonderausstellung über die Entwicklung der Figur des Winnetou zu sehen. Die Schau zeige Winnetou als Brückenbauer, der generationsübergreifend Sympathien für die Indigenen in Nordamerika ausgelöst habe, berichtet Finke.
Das Karl May Museum in Radebeul lobt der Autor für seine differenzierte Auseinandersetzung mit der Debatte. "Man setzt auf Dialog", sagt Finke und verweist unter anderem auf ein Positionspapier, an dem das Museum mitgearbeitet hat.
"Karl May auf der Bühne - Band III"
Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke
Karl-May-Verlag 2023
400 Seiten, 59 Euro
ISBN: 978-3-7802-0145-4
Quelle: MDR KULTUR (Julia Hemmerling), Redaktionelle Bearbeitung: td
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Spezial | 05. September 2023 | 18:05 Uhr